Die Kraft der zwei Welten

Der Hamburger Regisseur Fatih Akin weiß selbst nicht genau, ob er deutscher Türke oder türkischer Deutscher ist. Solch hybride Naturen sind auch seine Filme.

Es regnet, Wind peitscht die Tropfen an die Fensterscheiben: jenes berüchtigte Schmuddelwetter, vor dem Besuchern immer gewarnt wird. „Hamburg ist zum Leben der beste Ort“, sagt Fatih Akin, Sohn türkischer Einwanderer, der im multikulturell geprägten Stadtteil Altona aufgewachsen ist und dort noch immer wohnt. In Turnschuhen, Jeans und schwarzem Kapuzenpullover wirkt er eher wie ein Autonomer statt wie ein Regisseur, der auf der Berlinale schon den Goldenen Bären erhalten hat, in die Jury der Filmfestspiele von Cannes berufen und dort nun im Wettbewerb mit „Auf der anderen Seite“ fürs beste Drehbuch prämiert worden ist. Akin gehört zu Deutschlands aufregendsten Filmemachern, mehr Instinktmensch als Intellektueller, der seit seinem Kinodebüt „Kurz und schmerzlos“ (1998) mit emotionalen Geschichten die Selbstfindung seiner Generation thematisiert.

Wenn deutsche Politiker panisch von Parallelgesellschaften reden, könnte man Akin, der mit einer Deutschmexikanerin verheiratet und Vater ist, als Musterbeispiel dagegensetzen. Doch das greift zu kurz, nicht nur weil er als Jugendlicher „ja mal halbwegs kriminell war“. Der 34-Jährige ist sich seiner Identität selbst nicht sicher. „Ich bin islamisch erzogen, die türkische Kultur war immer Teil meines Lebens. Momentan würde ich mich als deutscher Türke definieren, da ich zuletzt viel in der Türkei gedreht habe. Aber ich verspüre oft ein Vakuum durch das Pendeln zwischen den Systemen.“

Im Heimatort der Großeltern engagiert Akin sich im Kampf gegen eine Mülldeponie, und er überlegt, am Bosporus ein Haus zu kaufen. Habe er genug Geld, wolle er aber ein Apartment in New York. „Erzähle ich dort, dass ich aus Deutschland komme, sagt keiner: „You don’t look German.“ Sehen Sie sich eher als deutscher Regisseur oder als Regisseur aus Deutschland?

„… ich bin ein deutscher Regisseur. Ich drehe mit deutschem Geld, schreibe in deutscher Sprache und arbeite hauptsächlich mit einer deutschen Crew. In Hollywood wäre ich ein Regisseur aus Deutschland, der amerikanische Filme dreht.

Die Deutschen sind in Cannes lange ignoriert worden. Als Sie eingeladen wurden, haben Sie sich als Botschafter des deutschen Films empfunden?

Es gibt schon ein Kollektivgefühl. Aber ich habe nicht in den Spiegel geguckt und gesagt: Du vertrittst jetzt den deutschen Film. Leider ist der Austausch recht gering. In Deutschland teilt man ungern. Jede Großstadt hat ihre eigene Szene. Vielleicht müsste ich nach Berlin ziehen…

Dort steht die Filmakademie, die Sie kürzlich mit anderen Kollegen verlassen haben, aus Protest gegen das neue Wahlverfahren des Deutschen Filmpreises.

Eine Jury macht sich die Mühe, die Filme auf Leinwand zu sehen und darüber zu diskutieren. Heute bekommen alle Mitglieder an die 50 Vorschläge auf DVD zugeschickt und entscheiden vorm Fernseher per Ankreuzen, nicht nur über die Lola, sondern auch eine halbe Million Euro Steuergelder. Das wollte ich qualitativ und kulturell nicht verantworten.

Gehen Sie privat ins Kino?

Nur für deutsche Filme. Die schlechten Synchronfassungen amerikanischer Filme tue ich mir nicht mehr an. Da ziehe ich dann auch die DVD vor.

Eine Super-8-Version von Bruce Lees „Todesgrüße aus Shanghai“ war für ihn mit acht, neun Jahren ein prägnantes Erlebnis. „Mein Cousin projizierte es auf eine weiße Schrankwand. Wir fühlten uns wie auf Speed.“

Er nahm Filme, die er nachts nicht sehen durfte, auf VHS auf und guckte sich in der Videothek einer Bekannten seiner Eltern durch Kung-Fu- und Zombiefilme. „Danach dreht man durch oder wird Regisseur.“ Akin studierte Visuelle Kommunikation und half bei der „Wüste Filmproduktion“ aus, die ihm „Kurz und schmerzlos“ finanzierte. Um nicht auf das Türkenghetto festgezurrt zu werden, wagte er sich gleich ans große, übergreifende Kino wie die Liebeskomödie „Im Juli“ (2000) und das italienische Einwandererepos „Solino“ (2002), trotz Moritz Bleibtreu mit bescheidenem Erfolg. Sein Drama „Gegen die Wand“ über eine junge Deutschtürkin, die mit selbstzerstörerischer Konsequenz aus ihrem traditionellen Familienumfeld ausbricht, machte ihn 2003 zum Star eines neuen, jungen deutschen Kinos. „Dieser Erfolg öffnete mir Türen, stand mir aber auch im Weg“, sagt Akin. „Ich setzte mich unter Druck.“ Nach der Musik-Doku „Crossing The Bridge – The Sound Of Istanbul“ (2005) begann er sein „spirituellstes“ Projekt. In „Auf der anderen Seite“ sucht ein deutschtürkischer Germanistikdozent in der Türkei die Tochter einer kurdischen Prostituierten, die sein Vater im Affekt erschlagen hat. Das politisch aktive Mädchen ist aber nach Deutschland geflüchtet, wo es sich in eine Studentin verliebt. Am Ende führen alle Wege der allegorischen Tragödie über „Modernität und Tradition, Dogmen und Demokratie, EU und Grenzen“ nach Istanbul.

Interpretieren Sie die deutschtürkische Integration als gescheitert oder geglückt?

Sie ist noch lange nicht abgeschlossen. Es ist ein Prozess, der erst vor 40 Jahren begonnen hat und von Strömungen beeinrlusst wird. Für mich ist das nicht nur eine innenpolitische, sondern auch globale Frage. Wenn es Deutschland wirklich ernst ist mit der Integration, muss es dafür stimmen, die Türkei in die EU aufzunehmen.

Geograf isch gehört die Türkei zu Vorderasien.

Natürlich, wir Türken sind eigentlich Asiaten, ein Reitervolk vor den Toren Europas. Aber die Kontinentalplatten sollten keine Grenze darstellen. Wer kann denn sagen, dass der Westen in Griechenland beginnt und in L.A. aufhört, während Asien von Istanbul bis China reicht? Das ist Unfug.

Bundeskanzlerin Merkel plädiert eher für eine privilegierte Partnerschaft.

Die Türkei wird von der EU so nuttig behandelt: Vielleicht oder auch nicht, irgendwann, wir wissen es nicht. Dieses Hinhalten fördert nationale und extreme Kräfte in der Türkei. Und wo Nationalismus herrscht, ist Faschismus nicht weit.

Europa sorgt sich eher, dass die Machtfülle von Erdogans AKP und des neuen Präsidenten Gül islamistische Tendenzen verstärken.

Gefährlich sind die Militärs und Kemalisten. Die verharren mental noch im Ersten Weltkrieg und schüren die Paranoia, dass Mächte von außen die Türkei spalten könnten. Von denen will keiner Menschenrechte und Pressefreiheit. Das Volk hat sich für eine zwar islamisch geprägte Partei entschieden, aber gegen das Militär. Das ist ein demokratischer Schritt. Die Türkei war jahrzehntelang auf einem destruktiven Weg, aber mit Erdogan und Gül kann man eher einen Dialog führen. Joschka Fischer zum Beispiel hat Steine auf Polizisten geworfen und ist trotzdem Außenminister geworden.

Keine Angst vor einer schleichenden Islamisierung der Türkei?

Ich verstehe das Misstrauen. Aber der Islam schreibt zum Beispiel ein Alkoholverbot vor. Das ist in der Türkei nicht durchsetzbar, die Leute würden die Wände hochgehen. Dafür wurde die Alkoholsteuer stark angehoben. Ist das schon eine schleichende Islamisierung oder nennt man es Gesundheitspolitik? Oder das Kopftuchverbot. Sollte das aufgehoben werden – wäre das mehr Freiheit und Demokratie oder schleichende Islamisierung?

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