Die kleinen Dinge mit Megaphon anpreisen: Here We Go Magic im Interview
Am 16. Oktober erscheint "Be Small", das neue Album von Here We Go Magic. In unserem Interview sprachen Luke Temple und Mike Bloch über Globalisierung, Progressive Rock, die Schönheit im Detail - und über New York.
Eigentlich verwundert es fast, dass Here We Go Magic überhaupt noch existieren. Nach der Veröffentlichung von „A Different Ship“, das vom Radiohead-Haus-und-Hof-Produzenten Nigel Godrich aufgenommen wurde, brach die amerikanische Band auseinander. So kündigten Gründungsmitglieder an Flughäfen während der Tour zum Album. Übrig blieben Gitarrist Mike Bloch und Sänger und Songwriter Luke Temple. Nach Soloausflügen und einer längeren Schaffenspause hat sich das Duo allen Unzulänglichkeiten zum Trotz zusammengerauft, um sich neuem Material zu widmen.
Die Ergebnisse erscheinen nun in Form des neuen Albums „Be Small“. Zwischen groovigem Synth-Pop, anspruchsvoll arrangiertem Progressive Rock und experimentellem Ambient entstande dennoch überraschend eingängige Songs. Über die Herausforderung bei der Produktion sprachen wir mit den sichtlich übernächtigten Luke Temple und Mike Bloch, die trotz Müdigkeit und einigen anstrengenden Festivalauftritten sehr lange und ausführliche Antworten gaben.
Ihr habt jetzt ein paar Konzerte in Frankreich und England gegeben und dort sicherlich auch ein paar Songs von „Be Small“ gespielt. Wie ist es denn für euch, die neuen Stücke live zu spielen, die das Publikum noch nicht kennt?
MIKE BLOCH: Ich mag das gerne und für uns war das insgesamt sehr aufregend. Wir spielen auch mit ein paar neuen Bandmitgliedern und wir hatten wirklich das Gefühl, dass alles zusammenkommt … Man bekommt auch eine ganz andere Ahnung davon, wie die Leute unsere Musik hören, wenn sie die Studioaufnahme noch nicht kennen.
Funktionieren die neuen Songs denn gut auf der Bühne?
LUKE TEMPLE: Ja. Vielleicht waren es sogar gerade die neuen Stücke, die am besten ankamen. Aber es ist schwer zu sagen, ob es an der Qualität der Songs liegt oder sie uns einfach am meisten Spaß machen, eben weil sie neu sind. Aber so oder so klappen sie wirklich gut.
Die Platte klingt allerdings so detailreich, dass ich mir vorstellen könnte, es sei sehr schwer, sie live aufzuführen.
TEMPLE: Wir vereinfachen die Songs schon, aber der Sound in einem Live-Setting ist ohnehin ganz eigen. Manchmal glaube ich, dass es auf der Bühne besser sein kann, simpler zu spielen, anstatt jeden komplexen Part unterzubringen. Denn wenn die Musik ohnehin sehr laut ist, kann das Gehör einfach nicht so viele Informationen aufnehmen. Live ist es also wirklich nur der Kern der Songs – was wir kommunizieren wollen, kommunizieren wir auch und überlassen den Rest der Vorstellungskraft der Zuhörer. Und ich glaube auch, dass keinem, der die Platte kennt und uns anschließend live sieht, wirklich auffällt, dass etwas fehlt.
BLOCH: Die Songs bekommen oft eine ganz eigene Dynamik, wenn man sie physisch spielt. Da verfolgen wir einfach einen anderen Weg, als im Studio. Wir lassen auch genug Raum, damit sich die Kompositionen auf der Bühne weiterentwickeln können.
Um auf „Be Small“ zu sprechen zu kommen, hat sich schon viel verändert in Bezug auf Stil und Tempo…
TEMPLE: Ist das so? (lacht)
Zumindest für meine Ohren, ja. Insofern wollte ich wissen, ob Dein letztes Soloalbum, „Good Mood Fool“, das neue Material beeinflusst hat.
TEMPLE: Möglicherweise, ja. Vielleicht haben wir dem ‚Groove‘ mehr Nachdruck verliehen. Einiges ist sehr groovend und funky geworden, mehr zumindest als zuvor. Es war allerdings sicherlich kein bewusster Vorgang.
Auch das Line-Up hat sich ja drastisch geändert und nach „A Different Ship“ hättet ihr euch ja fast aufgelöst…
TEMPLE: Oh, das haben wir. (lacht) Die Band hat sich eigentlich aufgelöst. Mike und ich sind die einzigen, die noch übrig sind…
BLOCH: Wir und die ganzen Geister der Here We Go Magic-Familie. (lacht) Aber ja, wir zwei sind die einzigen Gründungsmitglieder, die noch übrig sind.
„Dass wir diesmal ohne Produzent gearbeitet haben, ist sicherlich auch der Grund dafür, dass wir auf „Be Small“ einen größeren Fokus auf Synthesizer gelegt und mehr auf Studiotechnik vertraut haben“
Inwieweit seit ihr unter diesen Voraussetzungen anders an die Aufnahmen herangegangen?
TEMPLE: Nun, man passt sich einfach neuen Situationen an, da denkt man gar nicht lange drüber nach. Wenn man über ein paar Jahre hinweg in derselben Besetzung spielt, gewöhnt man sich sehr schnell aneinander. Selbst wenn nur einer von fünf Leuten geht, verändert sich das sehr, und bei uns waren es direkt drei. Es ist einfach eine andere Situation, ein wenig wie der Umzug in eine fremde Stadt oder neue Lebensmittel zu essen. Man passt sich an, obwohl es im Kern derselbe Prozess bleibt.
Gleichzeitig habt ihr „Be Small“ selbst produziert, während ihr zuvor mit Nigel Godrich gearbeitet habt. Wie unterscheiden sich diese Arbeitsweisen?
TEMPLE: Es ist nicht ganz so effizient, wenn man alleine arbeitet. Die ganzen Entschlüsse benötigen einfach mehr Zeit, wenn man kein objektives Paar Ohren hat, das direkt beurteilt, ob etwas funktioniert oder nicht. Sobald man alleine oder zu zweit mit jemand anderem arbeitet, kann es Ewigkeiten dauern, um sich zu einigen, weil man sehr demokratisch über alles reden muss. Auf „A Different Ship fungierte Nigel als Produzent ein wenig wie ein künstlerischer Leiter und traf all die harten Entscheidungen, die innerhalb der Band niemand treffen wollte, weil man keine Gefühle verletzten wollte.
BLOCH: Damals war es auch wesentlich leichter, zusammen im Studio zu spielen. Nigel stellte sicher, dass die Aufnahmen technisch einwandfrei funktionierten, suchte die richtigen Takes raus und so. Die Essenz der Band konnten wir somit ganz anders einfangen, ohne dass jemand aus seiner Rolle als Musiker schlüpfen musste. Das ist sicherlich auch der Grund dafür, dass wir auf „Be Small“ einen größeren Fokus auf Synthesizer gelegt und mehr auf Studiotechnik vertraut haben.
Hattet ihr da irgendwelche klanglichen Referenzen?
TEMPLE: Oh ja, sowohl Brian Eno als auch Robert Wyatt haben uns sehr beeinflusst. „The Ann Steel Album“ von Roberto Cacciapaglia ist ein weiterer Favorit von mir. Er ist so ein italienischer Synthesizer-Guru, vom Typ Giorgio Moroder, und er arbeitete mit diesem sehr exzentrischen Model zusammen. Eine bizarre Platte! Die Stücke klingen wie alte Broadway-Kompositionen, nur eben mit Synthesizern aufgenommen. Das war ein Maßstab für das neue Material.
Aber im Prinzip sind Synths sehr einfach zu benutzen. Auf „Be Small“ haben wir alles direkt in den Computer eingespielt, sodass wir meistens mit Kopfhörern gearbeitet haben. Das kam uns sehr zugute, da wir beide in Apartments leben, wo sich sicherlich die Nachbarn wegen der Lautstärke beschwert hätten. (lacht)
BLOCH: Ganz viele Plug-Ins und virtuelle Amps… (lacht)
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