Udo Lindenberg findet den Absprung nicht

Die Ideen tun es den Haaren gleich: Trotzdem tut Udo Lindenberg unverdrossen weiter und findet inmitten allen Reproduzierens den Absprung nicht

Für Menschen, die sich keinen Urlaub auf Sylt leisten können, oder aber auch für Menschen, die gerade mal kurz von Sylt herübergejettet sind, um ein wenig an der Börse zu spekulieren oder in der Anwalts-Kanzlei nach all den Rechten zu schauen, gibt es im Hamburger Hauptbahnhof eine Filiale des Sylter Meeresbewohnerverarbeiters „Gösch“. Gösch ist Bestandteil der „Schlemmermeile“ und also in direkter Nachbarschaft zu einem weit bodenständigeren Gastronomiebetrieb verortet, dessen kulinarisches Angebot sich vornehmlich aus Kartoffeln rekrutiert. Dort also schwankte ich unlängst zwischen Kartoffeln und Krabben und beriet mich mit einer Mitesserin, da schwankte auch Udo Lindenberg herbei. Gemeinsam mit der Sängerin Katja O’Kay (25) drehte er (49) sich im Kreis, grüßte willenlos in die Menge, als er froh meine Begleitung (20) samt mir (21) focussierte, waren wir doch die einzigen im Chor der schmatzenden Meute, die ihn beachteten, obschon er mehrmals ,,n‘ Abeeend“ in den Raum gesummt hatte. Und dann tänzelte Udo auf uns zu und wiederkäute: „Kombiniere, kombiniere…“, woraufhin ich, stets der Höflichkeit verpflichtet, aushelfen mußte:, Ja, als Du im letzten Jahr wieder einmal eine Platte vollgesungen hattest, da haben wir ein bißchen darüber gesprochen.“ „Richtig, kombiniere, kombiniere; und sonst, immer fleißig und alles roger?“ Zum Glück erwartete Udo Lindenberg – wie immer – keine Antwort, Kommunikation heißt für ihn nur, daß das Gegenüber aushält, wenn er draufhält; sonst nämlich hätte ich sanft errötend wie eine Krabbe drei Tische weiter eingestehen müssen, daß ich bestimmt nicht so fleißig bin wie er, was auch gar nicht möglich ist, obwohl ich (21) zwar sein (49) Sohn, nicht aber der seiner Freundin (25) sein könnte: Hast Du gerade eine Lindenberg-Platte verkraftet, kommt schon die nächste und obendrein Compilarionen ohne Unterlaß. Aber er wollte sich eben nur selbst ein bißchen sprechen hören, und so fragte ich abschließend: „Wir überlegen gerade, ob wir Fisch oder Kartoffeln essen sollen, was meinst Du denn?“ „Waswaswas? Ja, Fisch, fliegender Fisch, Kartoffeln machen müde und Fische machen schnell, okayokay, alle Jahre wieder…“ Und dann zog er fort, schnell wie eine Bratkartoffel, aber gelenkig wie eine Krabbe -jeder Schritt eine Verbeugung vor sich selbst und eine Hommage an die „Schleuderknie“. Einige Wochen später traf ich ihn schon wieder und schrieb in mein Notizbuch „Die Welt ist wirklich klein“. Da war er schon fast 50, aber immer noch 49. Im Erotic-Art-Museum wurde die Vernissage zu seiner großen Ausstellung „Arschgesichter und andere Gezeichnete“ begangen. Es gab Frei-Getränke. Den Titel der Ausstellung fand ich so doof, daß ich ihn nicht in mein Notizbuch schrieb, aber gemerkt habe ich ihn mir trotzdem, und das ärgert mich beinahe. Ganz viele Bilder hat Udo Lindenberg gemalt, bunte Strichzeichnungen von den Lümmeln aus der letzten Bank, so scheint’s, doch seine Altmänner-Pornophantasien hat Lindenberg selber gemalt, klarer Fall, ein Phall für Udo. Und zur Eröffnung gab es eine „Performance, ganz klar“: Ein von wem auch sonst erdachter Apparat namens „Ejakulator“ (wahr!) spritzte, durch Schlagzeuggedresche animiert, ja erregt, einiges an Farbe auf eine Leinwand, so daß diese danach aussah wie die Deutsche Bank nach einer Farbbeutelschneiderei. Also ganz große Klasse. Professor Markus Lüpertz sprach einige einleitende Worte und bezeichnete darin Lindenbergs Zeichnungen eher unbewußt treffend als „Begleitumstände“, die wegen all dem Rock und aber auch Roll als mildernd bewertet werden dürfen, meinetwegen. Vor allem, da nun das „Udo Lindenberg-Jahr“ über uns hinwegsaust, wie das eher zu künstlerbetreuender Übertreibung neigende denn im Ruf einer kritischen Instanz stehende Branchenblatt „Musikwoche“ brav vermeldete. Schließlich werde Lindenberg in diesem Jahr 50 Jahre alt, und Altrocker, Vordenker und Sie wissen schon, und außerdem die Ausstellung und zwei Bücher und wieder eine Tournee und hier die Daten. Lindenbergs zumindest jährlich erscheinenden neuen Platten gerieten in den letzten Jahren mehr und mehr zum Ärgernis, zu deren Vermarktung es großer Worte bedurfte – oder eben Jubiläen, Jubeljahren, Jubelarien. Langsam jährt sich das Eichhörnchen, irgendwas jährt sich immer, und so wurde vor anderthalb Jahren Lindenbergs „25jähriges Bühnenjubiläum“ begangen, mit Tribut-Album und großer Feier. Und dem Gesetz folgend, daß man im Zusammenhang mit Udo Lindenberg stets das schlechteste Wortspiel zu präferieren habe, hieß die Sause „Hut ab“. Unglaublich penetrant, das ewigunddreihundert Jahre lange Hochhalten vom geistesschlanken, allein der Alliteration und dem Schnellreim verpflichteten Vokabular, das immer wieder Seemannsjargon beleiht: Der „Lindische Ozean“ wehte laut Plattenfirma auch diesmal wieder im Studio, und es galt, durch ihn zu „navigieren“. Das Jahr also des „oft kopierten, nie erreichten, unvergleichlichen Udo L. aus H.“ – so L. über L. Und da ihm kurz vor 50 neben den Haaren langsam auch die in den letzten Jahren ohnehin raren Ideen ausgingen, hat Lindenberg das Werkdes von einem kleinen Kreis Eingeweihter schwer verehrten Berliner Liedermachers Funny van Dannen hier muß man Härte walten lassen kastriert. Sooft wurde Lindenberg kopiert, von sich selbst in erster Linie, daß er nun seinerseits kopiert; kapiert: „Ich verstehe mich als Jahrhundertmaßnahme, nicht als Mann fürs Tagesgeschäft“, raunt Lindenberg gerne – und da ja nun dieses Jahrhundert bald vorbei ist, wollen wir gerne noch mal jedem Deutschrocker sein Jahr widmen, dann ist es ja bald vorbei, und das Tagesgeschäft kann endlich das tun, was es ohnehin schon tut: ehrlich sein. Auch mal vergessen, daß da mal was war. Lindenbergs Pionierrolle in der deutschen Popmusik ist unstrittig. Seine frühen Platten stehen noch heute für lässigen Umgang mit Wort und Musik, schöne Geschichten und einfache, einfach gute Lieder. Und daß sich Lindenberg nunmehr aufs trostlose Nachgejaule seiner selbst beschränkt, störte bisher kaum. Wenn er sich nicht an gleich zwei Songs von Funny van Dannen vegriffen hätte; das hätte er nicht tun dürfen. Van Dannen beteuert tapfer, daß das doch „nicht so wild“ sei, selbst als Lindenberg jüngst mit seiner abgeschmackten, jeden Witz plattwalzenden Version von van Dannens Hit „Nana-Mouskouri-Konzert“ ausgerechnet bei „Verstehen Sie Spaß“ hausieren ging, und seine Musiker, das Grauen komplettierend, schwarze Perücken und Brillen für eine gelungene metaphorische Umsetzung des Themas hielten. Van Dannen weint durch einen Strauß Sonnenblumen hindurch: „Meine Frau sagt immer, ich bin viel zu diplomatisch.“ Ob denn seine Frau ihn nicht dazu drängen würde, zu sagen, wie schrecklich er den Auftritt Lindenbergs fand? „Meine Frau würde sagen: Das kannst Du ruhig zugeben.“ In einem (selbstgeschriebenen) neuen Stück schwiemelt Lindenberg: „Ich schwöre, wenn’s drauf ankommt, bin ich am Start.“ Und das ist gewiß, am Start ist er immer schade nur, daß es am Ziel so leer ist

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates