Die hohe Kunst der Publikumsbeschimpfung – Dave Grohl, Morrissey, Josh Homme
Beim Foo-Fighters-Auftritt in London hat Sänger Dave Grohl bekanntlich einen Fan von der Bühne aus des Saals verwiesen. Joachim Hentschel über die Tradition der Publikumsbeschimpfung im Pop.
Eine Schlagzeile in mehrerlei Hinsicht: Als die Foo Fighters vergangene Woche beim Londoner iTunes-Festival auftraten, bahnte sich kurz vor Ende der Show (während des Stücks „Skin And Bones“) in Nähe der Bühne eine Schlägerei an. Frontmann Dave Grohl brach den Song ab, sprach den mutmaßlichen Übeltäter im gestreiften Hemd an. Und verwies ihn mit wüsten Worten aus der Halle: „Bei meinen Konzerten wird sich nicht geprügelt, sondern verdammt noch mal getanzt, du Arschloch!“ Der Live-Mitschnitt musste an der Stelle mit Unmengen von Piepsern zensiert werden – die nicht jugendfreie Originalversion von Grohls überraschender Tirade gehört derzeit zu den beliebtesten Musikvideos im Netz.
Darf ein Musiker das? Einen Zuschauer, der ihm nicht passt, einfach aus der Halle werfen? Grohl würde wohl mit dem Sicherheitsrisiko argumentieren – dabei ist die Publikumsbeschimpfung, die er sich hier geleistet hat, gleichzeitig auch ein Showeffekt.
Den Begriff hat Peter Handkes gleichnamiges Theaterstück bekannt gemacht: „Sie werden kein Schauspiel sehen/ Ihre Schaulust wird nicht befriedigt werden“, so beginnt das 1966 uraufgeführte „Publikumsbeschimpfung“. Handke ging es darum, die Sicherheit zu zerbrechen, den die Zuschauer beim Anschauen eines moralisch einwandfrei ausbalancierten Theaterabends empfinden – und ganz Ähnliches passiert, wenn Rockmusiker plötzlich ausflippen und ihr eigenes Publikum attackieren.
Der Servicecharakter, den ein Rockkonzert in den Augen vieler zahlender Zuschauer hat, wird durchbrochen. Ebenso die Illusion, dass man im Publikum sicher wäre vor der brachialen Energie, die sich auf der Bühne entlädt. Als die Rolling Stones im Dezember 1969 beim berüchtigten Altamont-Konzert mit ansehen mussten, wie die als Ordner angestellten Hells Angels das Publikum verdroschen, versuchte Mick Jagger zumindest zaghaft, ins Geschehen einzugreifen. Den Punks und Rockern der Folgegeneration gelang das besser, wie die Galerie unten gleich zeigt.
Die Kehrseite: Natürlich schwingen Dave Grohl und Genossen sich zur absoluten Autorität auf, wenn sie, quasi ohne Widerrede, ihre Fans aus dem Saal schmeißen. Wie der Rest des Publikums reagiert? Mit Schadenfreude und – wie man in einigen Videos sieht – demütigem Applaus. Man ist besonders stolz, dass man bleiben darf. Völlig zu Unrecht.
Auch Henry Rollins ist dafür bekannt, sein Publikum manchmal rüde anzupacken. Der junge Mann in diesem Live-Video aus den frühen 80er-Jahren hat sich allerdings selbst zuzuschreiben, was ihm widerfährt.
Die verspielte Version: Als Green Day beim „Woodstock ’94“ -Festival aus dem Moshpit mit Schlamm beworfen werden – werfen sie zurück! Eat this!
Als ein Fan per Bierwurf die große Nummer von Angus Young kaputt macht, wehrt der sich gleichzweifach: Er zwirbelt ihm die Nase. Und lässt ihn abführen.
Die beleidigte Aktion von Morrisey bei seinem Konzert in Hamburg ist legendär: Nach einem Witz über den Doppelsinn des Wortes „Hamburger“ ruft ein Fan: „Fuck you!“ Keine gute Idee. Die Reaktion erscheint dünnhäutig – und der Rest des Saals applaudiert besonders demütig.
Die mit Abstand blumigste Fluchrede gegen einen jungen Becherwerfer bietet allerdings Josh Homme bei einem Festivalsauftritt der Queens Of The Stone Age in Oslo. „You 12 year old dickless fucking turd!“ – fast schon wieder eine Ehre, von seinem Idol so betitelt zu werden.
Wie – Mike Patton ist gar nicht in der Liste? Äääh: doch.
Und zum Ausklang noch eine Kostprobe von Gallows-Sänger Frank Carter (der eben angekündigt hat, die Band zu verlassen). Der persönliche Einsatz beim Bekämpfen frecher, aufsässiger Fans gehört bei ihm zum Show-Alltag. Immer und immer wieder.