Die Hirn-Akrobaten
Mit Fantasie, Kompromissfähigkeit und nie versiegendem Spaß an der Sprache haben Die Fantastischen Vier wieder ein vergnügliches Album zusammengereimt
In einem beschaulichen Vorort von Stuttgart, zwischen uralten Fachwerkhäusern und Kaufmannsläden, steht in einem lauschigen Garten ein großer Ghettoblaster. Er spielt in einer Endlosschleife acht Songs vom neuen Album der Fantastischen Vier, das erst am 7. April veröffentlicht v/erden soll. Offensichtlich haben die Musiker keine Angst, dass hinter einem der Fenster ein Internet-User mit einem großen Mikrofon sitzt, um die Stücke demnächst online zu stellen. Paranoia ist hier nicht zu Hause. Und dafür, dass die letzten drei Stücke zwei Wochen vor Abgabetermin immer noch nicht fertig sind, ist die Band auch sonst erstaunlich entspannt.
Wir befinden uns in einem kleinen Studio, in dem die Fantas ihre Lieder abmischen, und Andy hat jetzt eben deshalb leider keine Zeit, Interviews zu geben. Was ihm freilich recht ist, er redet ja nicht so gern. Die anderen drei stellen ihre Notebooks bereitwillig mal für ein paar Minutenweg. Zwischen Anwalts-Terminen, Strategie-Besprechungen und kurzen Abstechern zu Andy, um die Fortschritte zu checken, erzählen sie von „Fortuna“, ihrem siebtenAlbum.
Das letzte Werk „Viel“ ist auch schon wieder drei Jahre alt, da wäre theoretisch genug Zeit gewesen, um in Ruhe Songs zu schreiben und aufzunehmen. Aber dann gab es ausgedehnte Tourneen und dies und das, und jetzt wurde es doch wieder ein bisschen hektisch. Thomas D kann über die knappe Planung noch lachen: „Uns kickt ja nichts mehr. Wir haben alles erlebt, alles gesehen, also haben wir uns gedacht:
Wir schaffen erst mal eineinhalb Jahre nichts und drehen dann kurz vor der Veröffentlichung durch.“ Tatsächlich waren sie lange mit vielen Ideen nicht zufrieden, warfen mehr Samples und Session-Ergebnisse weg denn je, engagierten diverse Produzenten – und gaben sich einfach ganz viel Mühe. Im Ohrwurm „Einfach sein“, bei dem Herbert Grönemeyer mitsingt, heißt es: „Was du brauchst, ist Vertrauen und Fantasie.“ Das gilt auch für die Herangehensweise an ein neues Album. Ruhe ist ebenfalls gut, weshalb die vier gern zusammen wegfahren „Fornika“ wurde nicht nur in Thomas Ds Mars-Kommune und Berlin erdacht, sondern auch auf Juist und in Vorarlberg, beim „klassischen gemeinsamen Kreativ-Urlaub“, wie Thomas es nennt. Da widerspricht Michi Beck gleich zum ersten Mal: „Urlaub ist ja vielleicht nicht das richtige Wort.'“ – „Wie nennt man es dann?“ – „Workshop?“ – „Sag es treffender!“ – „Dienstreise!“
Man bekommt einen schönen Eindruck davon, wie es im Studio zugeht: Hier wird nicht einfach irgendwas dahingesagt, da steht jedes Wort unter Beobachtung. Die Fantastischen Vier wohnen inzwischen an vier verschiedenen Orten – Smudo in Hamburg, Thomas D in der Eitel, Michi Beck in Berlin, Andy in Stuttgart. Wenn sie zusammenkommen, dann längst nicht mehr aus Langeweile oder aus finanziellen Gründen, sondern weil sie wissen, dass sie gemeinsam etwas schaffen können. Egal, wie viele Rapper es in Deutschland inzwischen gibt und ob manche moderner oder provokanter wirken – auf jeden Fall klingt keiner wie die Fantastischen Vier. Sie haben einen tatsächlich unnachahmlichen Stil gefunden, aber der entsteht nicht durch Faulenzerei. Auch Wortwitz will trainiert werden.
Stichwort „Kinderzimmer“.
Thomas D über das Leben jenseits der 35, wenn sich nicht mehr alles um die Band dreht: „Der Vorteil daran, dass jetzt jeder ein eigenes Leben hat, ist: Wenn wir uns treffen, dann ¿wissen wir umso mehr, warum wir uns treffen. Früher hingen wir einfach in Andys Kinderzimmer rum…“
Smudo unterbricht mit gespielter Babystimme: „Kinderzimmer!“
Thomas: „Jugendzimmer ist aber auch ein blödes Wort.“
Michi: „Kinderzimmer trifft es doch eigentlich.“
Smudo: „Aber das ist doch mit Wiege und Rasseln und so…“
Thomas: „Das ist ein Babyzimmer!“
Smudo: „Aber es war ein Jugendzimmer.“
Michi: „So ein konstruiertes, modernes Wort.“
Smudo: „Nein, das ist ein ganz altes Wort aus der Möbelbranche.“
Thomas: „Es war jedenfalls Andys… Zimmer, in dem wir angefangen haben, weil wir nichts Besseres zu tun hatten. Heute arbeiten wir viel effektiver.“
Man glaubt es kaum. Bestimmt diskutieren die endlos über zwei Zeilen. Oder? Michi Beck verneint: „Halbe Sätze – halbe Stunde. Ganze Sätze – ganze Stunde, das kommt hin.“
Dass es sich lohnt, sieht man an irren Liedern wie „Niki war nie weg“, in dem es um den Stoff Nicki, den Rennfahrer Lauda und die Hilton-Tochter geht. Nebenbei werden Falcos „Amadeus“, ‚Markus‘ „Ich will Spaß“ und Eminems „Slim Shady“ verwurstet.
Die Grundrichtung für „Fornika“ war von Anfang an klar: „mehr Nach-vorne-Songs“. Danach begannen die Kompromisse, die in einem Quartett von solch unterschiedlichen Menschen zwangsläufig gemacht werden müssen, auch wenn ihr Motto laut Michi von Anfang an war: „Bei uns kann jeder machen, was er will. Wir sind ja alle komplett anders, haben einen anderen Style, hören andere Musik.“ Und haben im Laufe von 18 Jahren viel Toleranz entwickelt und die Fähigkeit, auf die doch vorhandenen Gemeinsamkeiten zu bauen, ohne die Unterschiede wegzuschleifen. Thomas D wird immer der Esoteriker bleiben, Michi Beck der Frauentyp, Smudo der Schlaue. Aber es muss jetzt nicht jeder unbedingt einen eigenen Song haben, die Charaktere werden eher in gemeinsame Lieder eingearbeitet. Alles ist möglich. Und so haben es nun doch zwei Balladen auf das Album geschafft. Sagt Smudo leichthin. Michi zieht die Augenbrauen hoch: „Balladen?“ Oh-oh. Es schließt sich eine kurze Debatte an, was Balladen sind, ob love song es nicht besser trifft oder ob es einfach langsamere Stücke sind. „Auf jeden Fall wollten wir abgehen auf dem Album“, beendet Thomas die Diskussion. „Und deshalb haben wir nur 1,5 Balladen“, ergänzt Smudo. Oder doch zwei „ruhige Stücke“? „Romantische“ gar? Schluss jetzt.
Es gibt viel zu lachen bei den Fantastischen Vier, und auf“Form%T auch. Aber bitte nicht nach dem Albumtitel fragen. Da erfährt man von Michi nur Geheimnisvolles wie: „Es geht um die Töne zwischen den hörbaren Tönen, das Spürbare zwischen den sichtbaren Dingen.“ Die Stücke selbst sind greifbarer – wie das stupend krachende „Yeah Yeah Yeah“, das von einer infantil-hedonistischen Generation handelt, mit der die Fantas nicht mehr viel gemein haben: „Nichts haben und immer gut aussehen/ Nichts machen und immer nur ausgehen/ Nichts raffen und immer nur rausreden…“ Oder das Kuriosum „Du und sie u nd wir“, in dem sich ein Paar über die Fantastischen Vier kennenlernt. Die Geschichte ist nicht das Verrückte, sondern die Tatsache, dass es hier „zwei 24er-Strophen mit lauter Doppelreimen“ gibt, wie Michi Beck begeistert ausruft. Thomas D nennt das „Hirnakrobatik“ Und: „Sehr harte Arbeit. Vielleicht fällt das irgendwem da draußen im Schlaf ein, aber ich bezweifle es. Wir dachten beim 40. Reim: Vielleicht gibt es gar nicht mehr! Aber dann fällt einem noch einer ein, und man freut sich tierisch.“
Jetzt muss Michi schnell weg und sich einen Track anhören, dafür kommt Smudo, der gerade schnell ins Studio nebenan geflitzt war, schon wieder zurück. Andy schaut auch kurz vorbei, macht einen Scherz über den „Neu-Geil-Effekt“ und verschwindet wieder. Was das bedeutet: Ein Song muss schon gleich richtig toll sein, damit man ihn auch nach vielen Tagen im Studio zumindest noch einigermaßen toll findet. Einer ihrer neuen Reime ist vielleicht nicht der tollste, aber er bleibt im Ohr hängen: „Du und sie und wir sind ein Team/ Music is the key um zu lieben/ Fanta 4 we represent/ Garantiertes Happy End.“ Da kann ausnahmsweise keiner widersprechen.