Die Handtasche lebt
Kaum jemand kann so herrlichen Unsinn verzapfen wie Heidi Klum. Sie plappert nicht nur einen ziemlichen Mumpitz zusammen, wenn sie für Fastfood, Autos oder eine atemberaubende Müffelmittel-Kette wirbt — sie verrät auch gerne mal, dass ihre Brüste deutsche Namen tragen. Was der besseren Leitung ihrer Liebhaber, zu denen ja schon gelegentlich orientierungsschwache Persönlichkeiten wie Chili Peppers-Sänger Anthony Kiedis und das Formel-I-Pummelchen Flavio Briatore zählten, dienlich gewesen sein mag, ist für die breitere Öffentlichkeit von eher kleinem Informationsgehalt, zumal Frau Klum nicht einmal verrät, auf welcher Seite ihrer Front denn nun Franz angebracht ist und auf welcher Hans. Aber et Heidi, die rheinisch-bergische Frohnatur vom Blondinendienst, kann noch besser. „Die Kandidatinnen steigen sofort in. das echte Model-Leben ein“, verkündet sie zu ihrer am 21. Februar startenden Staffel von „Germany’s Next Top Model“.
Doch allein schon die Kombination von „echt“ und „Model-Leben“ birgt einen derart eklatanten Widerspruch in sich, dass es jeden mit einem IQ über Raumtemperatur gesegneten Menschen schütteln müsste. Aber was sollte La Klum auch anderes sagen? Hätte sie verraten sollen, dass es auch in der dritten Staffel wieder nicht um den Jubel der Siegerin geht, sondern vor allem um die Tränen der Verliererinnen, um deren Qual und Not, die richtigen Staksschritte zu beherrschen und auf dem Laufsteg nicht auszusehen, als versuchten sie, Frösche totzutreten? Nein, das darf sie nicht verraten. Sonst könnte ja irgendjemand glauben, der neuerliche Wettbewerb sei genau die Seelenfischerei, für die man ihn halten könnte und unterscheide sich kaum vom parallel laufenden RTL-Zirkus um den nächsten schnell zu vergessenden Superstar.
Bisher war das wenigstens zuweilen der Fall, denn „Germany’s Next Top Model“ hatte etwas, was die „Superstar‘-Maschinerie nicht zu bieten hatte, quasi den Gegenentwurf zur Schmähschleuder Dieter Bohlen: Bruce Darnell. Der gebürtige New Yorker sorgte für die feminine Komponente im Wettbewerb. Während Heidi mit ihrer beinahe schon waffenscheinpflichtigen Quäkstimme die Kandidatinnen ebenso erschreckte wie die Zuschauer vor dem Schirm, heulte Bruce Rotz und Wasser mit den Misshandelten im Mode-Guantanamo.
Der 50-Jährige übernahm die Rolle als Mutter aller Models und lieferte den Beweis, dass man in Deutschland auch sprachbildend wirken kann, wenn man es mit grammatikalischen Konstruktionen nicht so hat. Seine Anfeuerungsrufe „sexy, sexy, sexy“ oder „Drama. Baby, Drama“ sind ebenso in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen wie sein zum Klassiker geadelter Imperativ „Die Handetasche müsse lebendig sein“.
Nun fehlt Bruce künftig bei Heidis Mädchenaufmarsch, und es wird sich zeigen, ob die Show ohne ihr Herz und ihren wirklichen Star noch auf den respektablen Zielgruppenmarktanteil von 21 Prozent kommt wie in der zweiten Staffel. Schließlich funktionieren Shows immer auch nach dem Prinzip der verteilten Rollen. Es braucht einen Bösen, es braucht einen Guten, und es braucht ein vermittelndes Element, das die Spannung erkennt und am vorzugsweise glücklichen Ende herausnimmt.
Bruce Darnell war dieser Vermittler, war die Unschuld, der niemand irgendein Kalkül unterstellen mochte. Er war ein eminent wichtiger Teil der Show, die ohne ihn nicht mehr Wärme vortäuschen kann und daher kaum noch funktionieren dürfte wie vorher.
Möglicherweise hat sich Frau Klum ja leichtfertig von einem Star getrennt, der rasch größer wurde als sie. Inzwischen werden dem Deserteur die Werbeverträge nur so nachgeworfen, und es scheint, als entwickele er sich zu einer Art männlicher Verona Pooth. Schlechtes Deutsch und clevere Vermarktung finden bei Bruce Darnell auf jeden Fall eine hervorragende Schnittstelle.
Das hat auch die ARD erkannt und Darneil rasch zu Germany’s Next Top Host gekürt. Noch vor Heidis Neustart bei Pro Sieben legt das Erste am 12. Februar mit „Bruce“ nach. Im Mittelpunkt der Vorabendshow sollen weibliche und männliche Kandidaten stehen, die mit sich unzufrieden sind und vom Moderator und einer Armada aus Stylisten gecoacht werden.
Vorerst hat die ARD nur 20 Folgen in Auftrag gegeben. Danach will man weitersehen, ob das Konzept funktioniert. So ganz bombensicher ist man sich des neuen Stars aber nicht, denn auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gibt es kluge Menschen, die schon vorab anmerkten, dass eine Figur, die zusammen mit anderen in einer Show funktioniere, nicht zwangsläufig auch solo den gleichen Ertrag bringe.
Ohne den Gegenpart einer gestrengen Heidi könnte Bruce schnell die Anspielfläche fehlen. Nicht länger wäre er dann der sensible Rebell, der seine Tränen einer kalten Mechanik entgegen plärrt, sondern nur noch die Heulsuse vom Dienst. Mit Genuss dürfte Stefan Raab dann wieder jenen Ausschnitt aus dem Archiv kramen, der Bruce Darnell kurz vor Ende der zweiten Top-Model-Staffel zeigte. Da zappelte er vor der Kamera herum und bekannte, er habe vor lauter Aufregung fast „Kaka in mein Hose gemacht“. Ein Vorschlag für den zugehörigen Kommentar sei hier schon mal eingereicht. „Damit sie wissen, an wen jetzt ihre Rundfunkgebühren gehen“, müsste Raab sagen. Nicht mehr, nicht weniger.