Die Hamburger Band Die Sterne beerbt Ton, Steine, Scherben und überführt den Protestsong in die Gegenwart
Diese Scheiße mit dem Geld und ihr Verlauf reibt dich nur auf…“, geißelt Frank Spilker, Sänger der Sterne, in einem Lied der neuen Platte „Posen“ das System und spielt dabei hinterhältig mit dem Medium Protestsong, indem er sich zugleich ehrlich veräußert und Plakativ-Ballast überkenntlich macht – bleibt noch die Verstimmung. So – und nur so – kann’s noch gehen.
Diese Scheiße mit dem Geld: Zwölf Mark wollen die Scheißkapitalisten vom Hamburger Fernsehturm dafür haben, daß man „Kuchen satt“-essend auf Hamburg runterguckt und, Ach, schön!“ sagt. Und der Verlauf der Scheiße mit dem Geld verwehrt Spilker beinahe den Aufstieg; zum Glück kann eine Schülerzeitungsredakteurin aushelfen, und Frank Spilker darf sich auch über Hamburg über Hamburg freuen und kuchensattessend Fragen beantworten. Ist das nun Glück?
Die Scheiße mit dem Geld geht uns alle an. Wenn man sonst lieber Hamburg von unten sieht und nicht mit den Gepflogenheiten tolldreister Fahrstuhlvorstandsvorsitzender vertraut ist, kann Folgendes passieren: „Ihr Fahrschein, bitte“ „Ich habe nicht genug Geld, aber oben wartet jemand auf mich, der…“ „Das sagen se alle“ „Nee, echt, ich muß da ein Interview…“ „Ohne Fahrschein geht nix, Ende der Durchsage.“ Da fehlt nicht viel, und man wird zum Protestsänger. Und weit und breit keine barmherzige Schülerzeitungsredakteurin.
„Fickt das System“ hieß 1992 die erste Vinyl-Verlautbarung der Sterne; Spilker später – wieder auf der Erde, satt vom Kuchen – ist heute noch amüsiert über dieses „kalkulierte Mißverständnis“: Da hätten genau die Richtigen aufgeschrien, ohne hinzuhören und die Comicform des Pamphlets zu bemerken. Parolen von Ton, Steine, Scherben selig verwenden die Sterne in der einzig noch gangbaren Art und Weise: als Versatzstücke, als Polit-Samples:“Allein machen sie dich ein.“ Schlechthinniger Zitat-Pop, der sich umsieht, bevor er Häuser besetzt. Für Spilker ist es in der Tat wichtiger, sich auch in der bürgerlichen Kuchensattwelt des Fernsehturmdrehrestaurants auszukeimen, als in die Auslage zu pinkeln. Das „Fehlen politisierter Zustände so wie in den 70er Jahren“ vermißt er, ohne dabei als Anachronist mit Schlaghose am Ist-Zustand vorbeizudämmern. Überleben heißt für ihn Nischen suchen.
Eine Heimstatt findet er in der Diaspora, im Biotop Großstadt. „Ich komme aus der Kleinstadt und will nie wieder dorthin zurück.“ Das klingt nach Ex-negativo-Glück.
Die Ausgangssituation ist verfahren, und erst da steigt Spilker ins Auto: In seinen Texten geht es ums Stranden; leicht gelangweilt, mit Frühmorgensküchentisch-Pathos wird die Ausweglosigkeit ausführlich dargelegt, die Wunden eher gesalzen denn geleckt, bevor dann doch wieder der Versuch gestartet wird, der Wand zu trotzen. Und die Musik ist eine Entsprechung dieser Collagenarbeit, hier ein Funk, da ein Rock und dazu Sprechgesang, der es haßt, bandharmonisch sich einzufügen: „Wenn wir instrumental eine schöne Melodie erzeugen, muß ich doch nicht auch noch so singen.“ Und so klingt der Gesang stets abwesend und am Rande von so vielem. „Es geht um Kontrast oder so.“ Jedem Satz fügt Spilker ein öffnendes „Oder so“ an; das ist weder Hippie-Sprengsel, noch Gleichgültigkeit – es ist die Offenlegung von Vorläufigkeit und die Wahrung von Alternativen. Spilker könnte konkretisieren, will einen aber ja auch nicht nerven. Fickt das Zwangsverständnis oder so.
Die Sterne sollen jetzt berühmt werden. Das ist nicht nur ausdrücklicher Wunsch des Autors, sondern auch ein mehr oder weniger kategorischer Imperativ, einhergehend mit dem Wechsel zu einer großen Plattenfirma. Die Arbeitsweise ist dieselbe geblieben. Und die zum Teil unappetitliche Diskussion über den „wiedererstarkten“ Popstandort Deutschland kommentieren sie distanziert: „Ich scheiß auf deutsche Texte.“ Es ist nicht leicht für eine deutsche Band. Vor kurzem wurden die Sterne von MTV interviewt und stocherten etwas hilflos im Oberschülerenglisch: „Ah look, we have nice shoes“, weil sie die programmatische Durchgedrehtheit des Moderators nicht brüskieren, aber auch nicht befolgen wollten. Bei MTV scheißt man auf Reflexion.
Natürlich sind die Sterne Außenseiter. Natürlich wollen sie das auch sein und kokettieren damit. Und natürlich ergeben vier Individualisten durch die Heftklammer Band wieder eine Gruppe. Auch mit Zwängen oder so. Das eingangs erwähnte Lied von „der Scheiße und dem Geld“ heißt „Risikobiographie“, und darin freut sich Spilker seiner Autarkie, die ein Rückzug, ein Antikompromiß ist: „Nein, Eure Suppe eß ich nicht!“ Das ist sehr pragmatisch argumentiert, denn eingebrockt hat er sie ja auch nicht. So denken Hanseaten: My home is my Suppe.
Vielleicht werden die Sterne auch nicht berühmt, aber dann kann man immer noch sagen: Sie haben es wenigstens nicht probiert.