Die größten Talente
Ende November. Schlachthol, Hamburg. STARSAILOR-Konzert. Eine Dame vom Internet-Hitradio kündigt Starsailor als „die neuen Travis“ an. Beim Konzert werden zu „Good Souls“ die Konterfeit!; von Bob Dylan, Ryan Adams, Tim Bucldey und Nick Drake aud die Leinwand hinter der Band projiziert.
Referenzen waren in diesem Jahr von großer Wichtigkeit, wenn’s um neue Talente ging, und selten hat man so viele frische, begabte Bands in den Himmel loben müssen, wie in dieser Spielzeit Es begann im März diesen Jahres, als die norwegische Band KINGS OF CONVENIENCE ein verbraucherfreundliches Plättchen auf den Markt brachte. Das Bemerkenswerteste an dem Produkt war der Titel: „Quiet Is The New Loud“. Daraus wurde im UK der nächste Hype gebastelt. Der erreichte Deutschland allerspätestens mit einem Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“. Karl Bruckmaier erklärte in dem bayrischen Szene-Blatt“ „The Optimist LP“ von den TURIN BRAKES kurzerhand zum größten Debüt-Album der letzten 20 Jahre.
Was folgte, war ein Spiel mit Referenzen: ganz viele neue Tim Buckleys – zumindest, wenn man den Platteninfos der Industrie glauben darf. Kommerziell zündeten diese Bands außerhalb des Königreiches alle nicht so richtig. Natürlich darf man Talente nicht an Verkaufszahlen messen, aber Persönlichkeit und ein eigenständiges Profil brachten die blassen Milchbubis mit ihren akustischen Gitarren nicht mit. Werden die nächsten Alben keine Hits, sind sie wohl schnell wieder vergessen. Nachdem Travis (mittlerweile ja schon alte Hasen) auch noch mal sachte zuschlugen, waren schon Mitte des Jahres alle satt. Keiner mochte es mehr hören, das akustische Gesäusei. Da kamen THE STROKES gerade recht.
Wieder ein Hype, na klar, aber auch mal wieder „richtige“ Gitarrenmusik. Einige Popschreiber waren so euphorisiert, dass sich anschließend gar Redaktionen von deren Fan-Schreibe distanzierten. Die Strokes waren Rock’n’Roll! Aber so verweichlicht waren wir alle geworden, so eingelullt in Radioheads Kunstbeflissenheit und akustische Traurige-junge Männer-Musik, dass echtes affektives Investment uns alle befremdete. Die Strokes waren eine Revolution! Klar, sie wurden wohl von Marketingstrategen ersonnen. Aber wer glaubt schon noch an eine Revolution jenseits des Marketing? Das Einzige, was die Strokes-Macher versäumten: Sie schrieben der Band keine ordentliche Geschichte auf die hippen Leiber. Zwielichte Herkunft aus den Gossen New Yorks, Sänger Julian Casablancas ist seit den Aufnahmen zu „“Is This It“ endlich clean etc. Eine Geschichte, Charakter und somit den höchsten Wiedererkennungswert hatten aber drolligerweise die GORILLAZ. Die einzige Band, bei der man jedes Mitglied beim Namen nennen konnte. Leider waren sie nur virtuell.
Dann kam mit Starsailor ein Beleg dafür, dass Promotion auch ohne Produkt‘ funktioniert. Seit Mitte des Jahres geisterten sie durch alle Gazetten, spielten soesetzung gar als Headliner auf Festivals, aber ein Album gab es nicht. Als „“Love Is Here“ dann endlich erschien, war es schon zu spät für eine neue Euphorie. Alles war bereits gesagt, es galt in gewissen Kreisen schon als uncool, Starsailor zu mögen. Manchmal braucht es eben mehr als eine gute Platte.
Ende des Jahres hatte man dann richtig Sehnsucht nach echten Stars und wandte sich lieber wieder Pulp und Dylan zu. Statt Talentschuppen nun doch wieder year ol Gebissprothese? Glücklicherweise gab es einige Talente mit Profil und Geschichte, die in Gehörgängen und Gedächtnis hängen blieben -RYAN ADAMS beispielsweise. Aber auch die WHITE STRIPES lieferten ein abenteuerliches Konzept. Jack White, Sänger und Songschreiber, nimmt sich das Leben der alten Bluesmusiker zum Vorbild, die Songs des Albums „White Blood Cells“ speisen sich aus vielen Quellen, doch insgesamt hört sich alles sehr eigenwillig an.
Wer von den Talenten 2001 ein echter Stern (Star) am Pophimmel wird und wer verglüht, wird sich zeigen — Adams und die White Stripes scheinen jedenfalls ebenso wie RUFUS WAINWRIGHT (wohl auch, weil sie allesamt schon länger dabei sind) bereits ihre eigenen Stimmen gefunden zu haben. Starsaiior mussten bei der eingangs erwähnten Touree den Gig in München absagen – Stimmprobleme. Maik Brüggemeyer