Die Gewalt der Wiederholung
Es gibt zwei Jon Spencer. Der eine hält seinen Finger in die Steckdose, springt und spuckt und zuckt. Das ist Jon Spencer auf der Bühne. Der andere hockt zusammengesackt auf einem Stuhl und reibt sich die hängenden Augenlider. Das ist Jon Spencer, wenn der Strom abgestellt ist, also der in den Backstage-Räumen dieser Welt. Heute aber gibt es gar noch einen dritten Jon Spencer. Der erzählt angeregt eine Anekdote nach der nächsten. Vielleicht liegt es daran, daß er endlich mal nicht über Boss Hog sprechen muß, seine glamouröse Zweitband, die er mit Freundin Cristina Martinez leitet und die nicht zuletzt für ihre offen ausgetragenen Streitigkeiten berühmt geworden ist. Nein, nur die debilsten Schreiber bohren heute nach Boss Hog. Es gibt genug zu seiner Blues Explosion zu fragen und zu seinen Kooperationen mit den beiden Blues-Senioren Rufiis Thomas und R. L. Burnside. Denn natürlich ist Spencer, der den Blues in den Achtzigern mit der Formation Pussy Galore in seine Einzelteile zerlegt hat, um ihn in den Neunzigern mit der Explosion wieder zum Laufen zu bringen – natürlich ist dieser Spencer stolz auf die Arbeit mit den alten Helden. Auch wenn er das nicht herausschreit. Dafiir ist er zu sehr Fan lakonischer Pulp-Literatur, dafür ist er auch zu sehr Geschäftsmann. „Man sollte diese Kooperationen nicht überbewerten. Rufiis Thomas und R. L. Burnside they are in it thefor the money. Gut, vielleicht nicht nur, aber ohne Bezahlung rühren die keinen Finger. Was ja auch absolut richtig und völlig okay ist.“ Rufiis Thomas traf der New Yorker in Memphis, wo er einen Teil des neuen Explosion-Albums „Now I Got Worry“ aufgenommen hat. „Wir arbeiteten an diesem unfertigen Song, den wir ,Chicken Dog‘ getauft hatten. Der Titel ist einfach mit Rufus zu assoziieren: Er hatte den Hit ,Funky Chikken und seine erste Single, ,Bear Cat‘, war bekanntlich eine Antwort auf Bie Mama Thorntons ,Hound Dog‘. Der Journalist Robert Gordon besuchte uns im Studio. Er hat Rufus gefragt, ob er nicht mal rüberkommen und mit uns ,Chicken Dog‘ spielen wolle.“ Einen Nachmittag wurde gejammt, dann dachte sich Thomas die Lyrics aus. Auf deutsch: Er bellte und krähte, was die Stimmbänder eines Endsiebzigers noch hergeben. Die Zusammenarbeit mit R. L. Burnside war umfassender. Im letzten Jahr nahm Spencer den Veteran, der mehr von den Einkünften als Pachtfarmer lebt denn von seinen eher sporadischen Veröffentlichungen, als Vorprogramm mit auf Amerika-Tournee. Danach gingen sie gemeinsam für einen Tag ins Studio. Burnside als Boß, die Blues Explosion als die Backing-Band. Das Resultat, ein Album mit dem Titel „Ass Pocket Of Whiskey“, tritt dem Hörer in den Arsch. Oder besser: in den Kopf. R. L. Bumside spuckt Flüche en masse aus und gibt sich auch der einen oder anderen Gewaltphantasie hin, während die Band an heißen Rhythmus-Schleifen malocht. Obwohl dabei John Lee Hookers „Boogie Chillen'“ verarbeitet wird, haben die Aufnahmen absolut nichts mit einem gemütlichen Veranda-Abend gemein. Kein „Howdy!“ Nur: „I kick you in the head!“ Jon Spencer spielt selbst gerne mal das Arschloch – auf der Bühne. Zum Vibrato seiner Lenden stößt er hübsche Verwünschungen aus. Wer hat mehr dirty words auf Lager? „R. L., eindeutig. Er kann ein sehr höflicher Mensch sein. Aber wenn er mal schlechte Laune hat und dazu noch etwas getrunken, ist dieser Mann zu allem fähig. Ehrlich, ich würde mich nie mit ihm anlegen.“ Auf dem neuen Album der Blues Explosion gibt’s eine Hommage an den Giftspritzer, „R. L. Got Soul“. Verhältnismäßig simple Rhythmus-Muster bilden die Basis, und insgesamt kommt das Werk geradliniger daher als alles, was die Band zuvor gemacht hat „Erst durch R. L. habe ich gelernt, welche Wirkung du erzielen kannst, wenn du dich konsequent beschränkst“, sagt Spencer. „Das war mir im Prinzip natürlichschon früher bewußt, aber erst durch das Touren mit ihm habe ich den Mut gefaßt, selber so zu arbeiten.“ Die Blues Explosion ist in kurzer Zeit einen langen Weg gegangen. Alle bisherigen regulären Alben, hierzulande bei Crypt Records erschienen, lohnen die Anschaffung. Dem entschlackten Trashbilly auf „Crypt Style“ von 1991 folgte „Extra Width“, auf dem durch Dekonstruktion neue Formen der Dynamik entwickelt werden. Soul, aber verzwackt. 1994 erschien dann „Orange“, das Jon Spencer in den USA zum Star der Alternative machte. Der Meister greift Elemente des HipHop auf und leuchtet sie im neuen Kontext aus. „Blues-Hop“ kann man es trotzdem nicht nennen, weil keine echte Synthese der Stile stattfindet Vielmehr strahlen sie wie Scherben eines zerbrochenen Spiegels hervor. Gefahrlich und großartig! „Now I Got Worry“, in Europa bei Mute veröffentlicht, ist keine Rückkehr zum Blues. Die Explosion war dort ja auch nie beheimatet, sie hat sich nur aus der Ferne dorthin gesehnt. Der krasse Sound – teilweise wurde benutztes Bandmaterial einfach überspielt, Störgeräusche bleiben – treibt jedem Nostalgiker den Angstschweiß auf die Stirn. Aber strukturell steht Spencer hier seinen alten Helden näher denn je. „Durch Wiederholung entsteht Gewalt“, weiß der Artist inzwischen. Die Gitarren von Spencer und seinem Kollegen Judah Bauer spielen diesmal synchron auf den Punkt zu, wo der Blues, ja: explodiert. Der Bauch bleibt dabei übrigens unversehrt. Kick head!