Patti Smith: Die Geisterbeschwörerin des Rock
Patti Smith, die Schamanin, Sängerin, Lyrikerin und Performancekünstlerin, feiert Geburtstag. Auf dieser Welt gibt es keine zweite Musikerin wie sie.
Es kommt auf die Wahrnehmung an. Auf das, was die Seele zitternd mit der Welt anstellt, wenn sie sich vor uns in ihrer ganzen Pracht enthüllt. In „Just Kids“, vielleicht das bedeutendste literarische Werk, das jemals einem Rockstar aus der Feder geflossen ist, erzählt die große Sängerin Patti Smith, wie sie mit ihrer Mutter als Kind stets in einem Park am Humboldt River spazieren war.
Auch wenn sie nur noch vage Erinnerungen habe, so schreibt Smith, denke sie noch heute daran, wie sie einst auf dem Wasser einen Schwan erblickte – wie er mit den Flügeln schlug und majestätisch in den Himmel glitt. „Bei seinem Anblick regte sich ein Impuls in mir, für den ich keine Worte hatte, ein Verlangen, von dem Schwan zu sprechen, etwas über sein Weiß zu sagen, die Explosivität seiner Bewegungen, den langsamen Schlag seiner Flügel.“
Große Sängerin, noch größere Dichterin
Es ist die Urszene einer Künstlerin, die ihr Leben lang auf Inspiration vertraute. Patti Smith verspürte die raue Energie der großen Poeten, der Rockmusiker – und saugte sie in sich auf. Ihre Verehrung für Arthur Rimbaud und Jim Morrison floss direkt in ihre Texte, die schon mit ihrem magischen Debüt „Horses“ (1975) kaum verhehlen konnten, dass hier eine Literatin lediglich geschickt das Medium gewechselt hatte, um die eigenen Geisterbeschwörungen zu vertonen.
Und was für eine begnadete Schriftstellerin ist Smith: Schon 1977 brachte sie ein kleines Wunderwerk namens „Babel“ heraus, gefüllt mit brüchigen Aufzeichnungen und zärtlichen, nachdenklichen Gedichten. Smith widmete ihren Helden Lieder (wie William Blake, „My Blakean Year“, 2005 auf „Trampin’“) oder machte sich die rohe Energie all der musikalischen Fixsterne zu eigen, die sie vom Musikerhimmel fischte (natürlich Van Morrisons „Gloria“, aber auch „After The Goldrush“ von Neil Young in einer wirklich anrührenden Fassung auf ihrem Album „Banga“). Dabei waren ihre oft schütteren Reflexionen nie nur Ausdruck eines lediglich intellektuellen Verlangens.
Kunstprinzip: Demut
Immer schon zeigte Smith ein geradezu kindliches Vergnügen daran, die Welt der Kunst und der Musik und vor allem auch der Literatur zu spiegeln und sich ganz schüchtern in sie einzuschreiben. In Stockholm vertrat Bob Dylan bei der Verleihung des Literaturnobelpreises (weil der sich zierte) und trug dort sein Gedicht „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ aus dem Jahr 1963 vor.
Plötzlich wollten Smith die Worte nicht mehr so selbstbewusst über die Lippen kommen. „Es tut mir leid, ich bin so nervös“, sagte sie. Und in ihren Augen blitzte das auf, was die Musikerin seit jeher zum basic principium ihrer Kunst gemacht hat: Demut. Ohne auch nur eine Sekunde zu Zaudern gelang es Smith, sich auf Augenhöhe mit Bob Dylan zu stellen, den sie seit ihrer Jugend verehrt, und zugleich die Würde zu beschwören, die mit dem Augenblick verbunden ist, einen solchen Preis entgegenzunehmen.
Kunst kann jede*r
„Godmother Of Punk“ – so wird die 1946 in Chicago geborene Patti Smith schon seit Jahrzehnten gennant, auch weil viel zu wenige Musikerinnen die Chance bekamen, auf der großen Bühne ihre Vorstellungswelten durchzusetzen. Smith, selbst zur Ikone der Frauenbewegung geworden, hat das stets bedauert. Ihr Geschenk an die Welt ist die Vorstellung, dass wirklich jeder Musik machen kann. Geschlecht, Befindlichkeit, Intelligenz, Hautfarbe, sozialer Hintergrund: egal.
Michael Stipe, der immer wieder deutlich machte, wie viel er Smith als Musiker zu verdanken hatte, betonte in Interviews mehrfach, wie sehr er ihre Stimme bewundere. „Sie klang einfach total guttural“, so der ehemalige R.E.M.-Sänger, „wie Körpergeräusche, die man von sich gibt.“ Die Schamanin Smith hatte sich diese vokale Anarchie bei Grace Slick abgeschaut. Smith: „Sie verschaffte uns die Erlaubnis, ein ganz neues Level von Stärke und Intelligenz mitzubringen. Sie schuf einen Raum, den andere dann ausloten konnten.“
Altersmilde?
Mit den Jahren ist ihre Stimme, die in „Redondo Beach“ das Grauen der Selbsttötung einer jungen Frau akustisch auf unheimliche Art und Weise verstärkt und „Because The Night“ – ihrem einzigen großen Hit – eine fast schon aggressive Feierlichkeit verleiht, sanfter geworden. Auch wenn „People Have The Power“ auf keinem Konzert fehlen darf, erfüllt Smith schon seit langer Zeit die Rolle einer mit sich und der Welt im Einklang lebenden Mystikerin, die das gewaltige spirituelle Erbe der Rockmusik wie ein Medium auf die Menschen überträgt.
Das Pathos, das die vom Leben mehrfach hart geprüfte Sängerin dabei aufruft, hat eine Schwerelosigkeit, die vor allem auch in ungemütlichen Zeiten noch immer fasziniert und für eine ganze Generation zum Vorbild geriet. „I haven’t fucked much with the past, but I’ve fucked plenty with the future“, heißt es in ihrem Song „Babelogue“ – und dieses Credo hilft der einflussreichen Rockmusikerin, Lyrikerin, Fotografin, Performancekünstlerin und Schlachtensängerin hoffentlich, noch viele Jahre zwischen Traum und Realität zu vermitteln.
Eine Welt ohne Patti Smith wäre jedenfalls schwer vorstellbar.