Die Gallier von Berlin
Zum 20. Geburtstag der unabhängigen Plattenfirma City Slang wird es historische Auftritte von Lambchop, The Notwist und Calexico geben. Ein Blick zurück mit dem Label-Chef.
Dass das deutsche Independent-Label City Slang eine wichtige Rolle für gute, wahrhaftige Musik spielt, erkennt man an seiner Jubiläumsfeier. Vom 19. bis 21. November lassen die Berliner zu ihrem 20. Geburtstag Künstler auftreten, die im Laufe ihrer Geschichte eine Rolle für das Label spielten oder es noch immer tun. Doch nicht irgendwelche Sets hat sich Gründer und Chef Christof Ellinghaus gewünscht, sondern etwas Festliches, Historisches, Nostalgisches. The Notwist spielen „Neon Golden“ – das Werk, mit dem sie erstmals international für Aufmerksamkeit sorgten. Calexico führen „Feast Of Wire“ auf, Tortoise geben einen Querschnitt ihrer ersten drei Alben, mithin also der City-Slang-Jahre ihrer Karriere. Auch Lambchop sind natürlich dabei – Kurt Wagners Kollektiv gibt das Großwerk „Is A Woman“ zum Besten. Yo La Tengo wollten aus Gründen der künstlerischen Integrität nichts Altes aufwärmen, werden aber etwas Kreatives mit ihrem Slot anzufangen wissen. Und dann noch: Menomena, Get Well Soon, Broken Social Scene und Alexi Murdoch.
Christof Ellinghaus stammt aus Beverungen im Weserbergland. Anfang der Achtziger schreibt er mit ein paar Freunden ein kleines Fanzine namens „Glitterhouse“, aus dem sich später das gleichnamige Label entwickelt. Bald siedelt er wegen des Studiums nach Berlin über, wo er nebenher als Tourbegleiter und Booker arbeitet. Ellinghaus bucht den Grunge der späten Achtziger (der damals noch nicht so heißt), schickt Nirvana, Mudhoney und Soundgarden durch Europa. Die Flaming Lips lassen ihm eine Kassette da – ob er nicht helfen könne, ein Label für Europa zu finden? Ellinghaus kann. Auf dem flugs gegründeten Label City Slang erscheinen zunächst eine EP von den Lemonheads, ein Album von Yo La Tengo sowie das besagte Flaming-Lips-Werk. Bald kommen Hole, die auf City Slang zwei Alben veröffentlichen. „Ich war in New York und lebte für eine Weile bei einer Freundin, die Courtney (Love) kannte“, erinnert sich Ellinghaus. „Die war damals ja noch ein unbekanntes L.A.-Punkrock-Chick – es ging noch nicht um Millionen-Dollar-Deals, Seifenoper und großes Theater.“ Der Durchbruch kommt mit dem zweiten Werk. „Live Through This“ hievt City Slang mit mehreren Hunderttausend verkauften Einheiten auf das nächste Level und macht aus dem hoffnungsvollen Hobby ein funktionierendes Unternehmen. „Wir waren im vierten Jahr, aber richtig gut lief es noch nicht. Das Album veränderte alles. Ich machte meiner damaligen Freundin einen Antrag, und wir beschlossen, eine Familie zu gründen.“ Ellinghaus lächelt. „Ich gehöre vermutlich zu den wenigen Leuten, denen Courtney etwas Gutes getan hat.“
Die Entstehungsgeschichte prägt das Selbstverständnis von City Slang. Ellinghaus will zumeist US-amerikanischen Bands ein geschäftliches Zuhause in Deutschland und Europa bieten. Europa müsse sein, sagt Ellinghaus, weil der deutsche Markt allzu oft nicht genug Käufer biete. Ein paar Hundert Einheiten pro Land, das läppert sich – ohne die europäische Hörergemeinschaft kann ein Indie-Label schlecht existieren. Und so kommen die Amerikaner nach Berlin, um sich von City Slang vertreten zu lassen. Tortoise, Lambchop, Built To Spill, Calexico, alles klangvolle Namen und durchaus verkaufskräftige Acts, die Kleinkünstler wie Dear Reader, Freakwater, Black Mountain oder Norman Palm mitziehen müssen.
Derzeit sind Arcade Fire das beste Pferd im Stall. City Slang vertritt sie allerdings nur in Deutschland. Die Band arbeitet weltweit bloß mit zwei, drei Labels, City Slang ist eine Art gallisches Dorf im Konzern der Großen. Dass die Band auf diese Ausnahme besteht, ist ein tolles Kompliment. „Ich würde Arcade Fire auch nur für Brandenburg nehmen“, kommentiert Ellinghaus. „Das ist eine der besten Bands der Welt, bei denen Konzerte zu einer lebensverändernden Erfahrung werden können. So was will ich, habe ich immer gewollt.“ Jörn Schlüter