Die Furchtlose
Die Vergangenheit begleitet Emmylou Harris, doch sie verfolgt die Country-Ikone nicht.
Es gibt nicht viele Frauen, die mit 63 noch bunte Cowboystiefel tragen können, ohne sich lächerlich zu machen. Emmylou Harris gelingt es. Sie bewegt sich mit einer ätherischen Leichtigkeit, die ihr Alter Lügen straft, ihre strahlend weißen Haare bilden einen interessanten Kontrast dazu. Ob ihr faltenfreies Gesicht nur den sogenannten guten Genen zu verdanken ist, weiß man nicht. In ihrer Musik duldet sie jedenfalls nichts Künstliches. Ihr neues Album, „Hard Bargain“, hat sie nur in Trio-Besetzung eingespielt, die schlichten Stücke heißen „Lonely Girl“ oder „Goodnight Old World“. Klingt nicht nach einem entspannten Leben. Harris lacht laut auf bei dieser Feststellung: „Wenn man glücklich ist, hat man vielleicht Besseres zu tun, als Lieder zu schreiben. Dabei genieße ich mein Leben wirklich. Aber muntere Musik ist nicht mein Ding, ich fühle mich eher auf der dunklen Seite zu Hause. So werde ich meine negative Energie los.“
Seit 1969 nimmt Harris Platten auf. Noch heute ist sie auf ihr Debüt besonders stolz, auf „Luxury Liner“ (1977) ebenso – da hatte sie bereits ihren eigenen Stil gefunden, den sie „einen Nicht-Stil“ nennt. Country, klar, aber immer auch etwas Folk, etwas Pop, Bluegrass, manchmal Rock.
Dass sie seit einigen Jahren mehr eigene Lieder schreibt, liegt wohl an der Furchtlosigkeit des Alters. Harris nennt sich selbst einen „finder of songs“, sie hat von Chuck Berry über Neil Young bis Paul Simon viele Meister interpretiert, und früher befand sie häufig, dass ihre Ideen im Vergleich einfach nicht gut genug sind. „Meine Messlatte liegt ziemlich hoch. Da muss ich selbst erst mal drüberkommen. Ich bin nicht eitel genug, um mittelmäßige Lieder aufzunehmen, nur weil sie meine eigenen sind.“
Seit Harris Anfang der 70er-Jahre mit Gram Parsons das ewige Traumpaar der Country Music bildete, verfolgt sie der Geist des Verstorbenen: Bei jedem Interview wird sie auf ihn angesprochen, bei jedem Konzert erinnert sie an ihn. Und nun singt sie in „The Road“: „I know I couldn’t save you/ And no one was to blame/ But the road we shared together/ Will never be the same.“ Und ist sich bewusst, „dass alle sofort wieder an Gram denken werden. Das war anfangs nicht meine Absicht, aber jetzt ist es eben eine Art Hommage geworden. Ich bin dankbar dafür, dass er für so kurze Zeit ein Teil meines Lebens war – und viele der wunderbaren Dinge, die ich danach erlebt habe, kamen zustande, weil ich ihn damals traf. Das zu verleugnen, wäre albern.“ Sie denkt kurz nach und fügt dann hinzu: „Man darf sich nur nicht dermaßen von der Vergangenheit verfolgen lassen, dass man nicht mehr vorankommt. Natürlich hält man an den Menschen fest, die einen geprägt haben, aber man muss auch loslassen können.“
Zu Hause in Nashville fühlt sie sich vor allem in ihrer eigenen kleinen Nachbarschaft wohl, fernab vom Mainstream. Sie hört kein Country-Radio, und bei den „Country Music Awards“ kennt sie die meisten der auftretenden Leute gar nicht. Ihr ist das alles „too popish“, und der größte lebende Country-Künstler ist für sie ihr Kumpel Buddy Miller: „Er malt auch außerhalb der Ränder, so wie ich.“ Der Titelsong von „Hard Bargain“ stammt indes von Ron Sexsmith, in den letzten Jahren hat sie außerdem mit Conor Oberst und Ryan Adams zusammengearbeitet. Dass sie auch ein Gespür für Talente hat, streitet sie allerdings ab: „Ich würde gern behaupten, dass ich die beiden entdeckt habe, aber es war leider umgekehrt. Sie kamen zu mir – und sie haben natürlich meinen Cool-Faktor enorm erhöht!“ Auch ihre Töchter mögen ihre Musik inzwischen gern. Musikalisch, sagt Emmylou Harris, bereue sie gar nichts, aber seit sie vor zwei Jahren Oma geworden ist, denkt sie doch häufiger über vergangene Versäumnisse nach: „Ich hätte eine bessere Mutter sein können. Meine beiden Mädchen sind zwar fantastisch geraten, und das fast ohne meine Hilfe, und sie mögen mich sogar. Aber Leute wie Kate und Anna McGarrigle haben es geschafft, einzigartige Musik zu machen, und dennoch hatten sie viel Zeit für ihre Kinder. Ehrlicherweise muss ich aber sagen: Würde ich alles anders machen, wenn ich könnte? Wahrscheinlich nicht.“