Die Fänger im Erdbeerfeld
Psychedelische Jams in der Schulkantine, dann eine Platte mit Vashti Bunyan: Animal Collective sind die interessanteste Band des komischen US-Neo-Folk-Pop. Obwohl sie natürlich keinen Folk spielen
Das hätte sie endgültig sein können, die Rache der Eierköpfe, erzählt aus der Sicht und mit den Worten der Eierköpfe, wenn es, tja- wenn es hier etwas zu rächen gäbe. Aber gibt es nicht, denn obwohl die vier Mitglieder der Band Animal Collective schon als Kinder komische Musik hörten, gern drinnen blieben und lieber mit Kassettenrekordern spielten als mit den Tannenzapfen von Maryland: Sie hatten keine doofe Jugend. Weil sie sich ja damals schon hatten.
„Im Strandhaus in Ocean City haben wir, Soundtracks‘ von Can gehört“, sagt Brian Weitz, 28, genannt Geologist, der bei Auftritten von Animal Collective meistens eine Stirnlampe trägt. „Wir feierten da mit ganz vielen Leuten aus unserer Highschool den Abschluss, eine Riesenparty. Dann wollten alle runter zum Strand, um Girls zu treffen, und Dave“ – Bandmitglied David Portner, auch 28, genannt Avey Tare – „und ein anderer Freund und ich blieben im Haus zurück und hörten ganz laut Can. Das ging erst, als alle weg waren. Freundinnen hatten wir ja schon.“
Die vier von Animal Collective haben sich als frühe Teenager kennengelernt. Und dass sie noch heute eine elende Kifferbande sind, sieht man auch dann, wenn man es der Musik nicht mal angehört hat: die zwei braungebrannten Hübschen Avey Tare mit Hut und Panda Bear, 29, eigentlich Noah Lennox, mit schwarzem Pilzkopf, daneben der bärtige Geologist und der blasse Lulatsch namens Deakin in der blauen Regenjacke, eigentlich Josh Dibb, 29 (wer welches Instrument spielt, kann man nicht pauschal sagen). Ohne Rauchen hätten sie als Kinder wohl nicht die Geduld aufgebracht, genug deutsche Experimentalmusik, Horrorfilm-Soundtracks und Neue Klassik zu hören, um sich optimal vorzubereiten auf den schweren, interessanten, verantwortungsvollen Beruf als Oberforstmeister der sogenannten New Weird Americana. Eine der wenigen bekannteren Bands aus diesem Metier, die die Attribute „neu“ und“verrückt“ wirklich verdienen.
Weil Animal Collective von flaschengrünem Quietsch-Pop über Wandergitarren-Pastoralen bis zu viertelstündigen Knirsch- und Klirr-Attacken alles gemacht haben und jederzeit wieder machen könnten, nicht als Witz, sondern als ihre Sicht der Dinge. Dass sich die britische Hasen-und Rehmutter Vashti Bunyan aus dem Mythos heraus rematerialisiert hat, ist jaauch ihrem Gesang auf der Collective-EP „Prospect Hammer“ zu verdanken. Und das von der Band betriebene Label Paw Tracks hat ein Erdbeerfeld-großes Portfolio von zwar schlecht aufgenommenen, aber auf extrem beunruhigende Art gut klingenden Künstlern. „Ich habe früher auch Incredible String Band und Vashti Bunyan gehört“, sagt Avey Tare als Abwehr gegen alle, die Animal Collective eine Folkgruppe nennen, „aber nicht, weil es Folk ist, sondern weil es psychedelisch klang. Weil es Musik war, die in unsere Lebenswelt passte.“ Zur Schulzeit wohnten alle vier in Baltimore, wo es viel Wasser und Wald gibt. „Für mich waren die Platten vor allem ein Klangerlebnis. Dass da Geschichten erzählt und Traditionen weitergereicht wurden, hat mich kaum interessiert.“
Die Entstehung von Animal Collective ging folgendermaßen, und wieder ist kein lustiger Unterton beabsichtigt: Avey und Geologist hatten als 15-Jährige eine Band, deren erste Vinyl-Single Deakin von einem gemeinsamen Freund namens Brandon vorgespielt bekam, woraufhin Deakin dann Avey ansprach und ihm eine Kassette gab, die er zusammen mit seinem früheren Waldorfschulfreund Panda Bear aufgenommen hatte. Den ersten gemeinsamen Auftritt spielten sie bei einem selbst organisierten Weird-Rock-Festival in der Schul-Cafeteria, obwohl die Gruppe vor allem als Recording-Projekt gedacht war und erst zur öffentlichen Band wurde, nachdem alle zum Studium nach New York umgezogen waren.
Das achte Album „Strawberry Jam“ erscheint jetzt im großen Blitzlicht bei Domino Records, Labelmates von Franz Ferdinand und den Arctic Monkeys sind sie damit, aufgeräumt und schlagfertig genug sind die neuen Stücke. Aber man darf auf gar keinen Fall vergessen, was sie prinzipiell von den meisten Indierock-Gruppen unterscheidet: Als Entertainer, als Teil einer Musikszene, die offen ist für die Begehrlichkeiten von Hörern und Musikindustrie, haben Animal Collective sich erst spät gesehen. Am Anfang ging es vor allem um die gemeinsame Tätigkeit, und wie erfrischend ziellos die oft war, kann man anhand des alten Live-Albums „Hollinndagain“ bestens nachempfinden. Falls man bis zum Ende durchhält. „Ich leide oft mit den Künstlern, die so verzweifelt versuchen, etwas nachzubauen, das es schon gab“, sagt Deakin. „Wir werden oft mehr von Prozessen inspiriert als von den musikalischen Endprodukten. Wir fragen uns mehr: Wie sind die Leute vorgegangen? Was haben sie gemacht, dass es so klingt und nicht anders?“ Den geliebten Krautrockern stehen Animal Collective damit tatsächlich näher als den meisten gar-nicht-so-verrückten Folksängern, und mit ländlicher Unschuld hat das garantiert nichts zu tun. Aber nur auf diese Art konnte der stille Panda Bear nebenbei noch eine der erstaunlichsten Pop-Platten der letzten Monate machen, „Person Pitch“, eine Sammlung von Solo-Stücken, die so klingen, wie sich die verklärtesten Besprechungen zu „Pet Sounds“ von den Beach Boys lesen. Gelegentliche, dezidiert nicht zielstrebige Arbeit im Heimstudio in Lissabon, um eine Bandpause zu überbrücken, meint Panda. 80 Prozent der Musik seien eh von dem inspiriert, was er mit den anderen gemacht und erlebt habe – und wenn das und vieles andere, was Animal Collective erzählen, wenn sie zusammen sind, ziemlich Hippie-haft klingt, dann kann das kein Zufall sein. Dieser Funke steckt in jedem Kollektiv, jedem Netzwerk, so digital es auch ankommen mag. „Neulich traf ich nach langer Zeit meinen College-Mitbewohner wieder“, erzählt Geologist. „Und er sagte: ,Du spielst ja immer noch mit den Typen zusammen, die damals bei uns in der Küche saßen. Begreift ihr eigentlich, was das für ein unglaubliches, einzigartiges Glück es ist, dass ihr euch gefunden habt?‘ Er hat recht. Obwohl ich mich an die Herrschaften gewöhnt habe!“ Was den Hörern nicht passieren kann, wenn Animal Collective die Sache weiter so durchziehen.