Die Enkel von Marx & Coca Cola
Oft chriftlich treten die beiden, gleich Marx und Engels, seit einiger Zeit gemeinsam auf. So lehnt sich wohl auch nicht zufallig ihr neues Werk zumindest im Titel an eine von den beiden Klassiker-Ahnen vor exakt 150 Jahren verfaßte Schrift an. Was damals dem Freundespaar „Die Deutsche Ideologie“ war, ist dem heutigen eine besonders in Deutschland in Esoterik sich wandelnde linke Theorie. Deren Repräsentaten und Propheten – damals Feuerbach, Bauer, Stirner – haben bei Ebermann/Trampert ebenfalls Namen und Anschrift: Robert Kurz etwa, der genüßlich das Ende des nie enden wollenden Kapitalismus während seines allerhöchsten Verfallsstadiums beobachtet (dabei eine beachtliche Halse vom Bolschewiki-Fan zu einer Art Seminar-Marxisten mit Antiwest-Touch vollzieht), oder Karl Heinz Roth, der – genau wie Kurz infolge der Globalisierung des Kapitals Nationalstaaten und Kriege Vergangenheit werden läßt (und dessen Bekehrung zu einer Art Marcusianer, der in Teilen des Subproletariats revolutionäre Subjekte zu erkennen glaubt, mich sehr überrascht hat). Aber anders als der Marx/Engels-Schrift von 1845/46 – in aufsteigender Epoche für die Linke, 15 Jahre nach der Juli-Revolution, zwei Jahre vor den neuen Revolutionen und dem vor Zuversicht nur so platzenden „Manifest“ geschrieben – fehlt der Arbeit von Ebermann 8L Trampert jeglicher historischer Optimismus; kein Wunder in einer Zeit des absoluten Tiefstandes revolutionärer Theorie und Praxis, des Verschwindens letzter Reste von Klassenbewußtsein unten, besonders hierzulande, wo „das Tempo der politischen Regression seit der Wiedervereinigung atemberaubend ist“. Daß in solchen Zeiten, nach solchen Niederlagen umso mehr Rosa Luxemburgs Forderung gilt, daß Pflicht der Revolutionäre vor allem die schonungslose Offenlegung der Lage ist, könnte Motto der „Offenbarung der Propheten“ sein. Aber, n’ayez pas peur! – das alles versinkt nicht in Melancholie und Düsternis. Dagegen steht schon jener bekannte Ebermann-Sound, den Talkshow-Master furchten und den Kabarettisten, bauchwilde Journalisten und andere Comedy-Performer vergeblich imitieren, eine Art des Schreibens und Redens, eine Mischung – wie sie’s nennen – aus „Analyse, Erzählung, Satire“ (die übrigens auch schon das Klassiker-Paar drauf hatte und damit eine neue Form politischer Aufklärung begründete, die Feinde und Freunde entzückte und erschreckte). Dennoch, Fortschrittsfreunde seien gewarnt: Es wird in der „Offenbarung der Propheten“ eine Menge, ja fast alles an Veränderungsmöglichkeiten, an die eine sich noch so nennende Linke noch glaubt, als Wahn bzw. Camouflage enttarnt und kein Ausweg ins System gelassen. Aber wem der Spaß dadurch verdorben wird, meinen E&T, „daß wir als trübselig beschreiben, was trübe ist, der befindet sich auf dem Wege der Besserung, ist er doch denen ein Stückchen voraus, die sich ihre gute Laune prinzipiell nicht verderben lassen“. Was also könnte lustvoller sein angesichts der allumfassenden, frohsinnig-banalen Versöhnung mit den Herrschaftsverhältnissen, die sogar vormalige Streetfighter und Radikalfundamentalisten ä la Fischer, Schneider, Vollmer, Müller, Sager usw. heute feiern. Pflichtlektüre also, wie man so was mal nannte, für unsereins, obwohl ich beileibe nicht mit allem einverstanden bin, was den beiden so einfallt. Und das beschränkt sich nicht nur auf ihre mehr als leichtfertige Behauptung, die (historische) sozialistische Bewegung habe durch ihre Fixierung aufs Arbeitsethos, ihre positive Bewertung von Disziplin, ihre Herausstellung des „stolz schaffenden Arbeitsmanns“ die Krieger für Kaiser und Vaterland mitproduziert. Als wäre nicht gleichzeitig der Antimilitarismus bestimmend gewesen und hätte es nicht – und nicht nur in der italienischen und französischen Arbeiterbewegung – das Bild des von Arbeit befreiten, durch die Nacht und in den Tag hinein tafelnden, trinkenden, tanzenden Proleten gegeben (in welcher Tradition sich das Freundespaar ja wohl auch sieht). Lesen sollten das Buch auch alle, die in zerbröselnder Posthistoire und im Post-Rock&Pop&Punk (und nach Einlagern der französischen Cafehaus-Philosophen und anderer Dekonstrukteure im Fundus für bürgerliche Geistes-Spezies) verwirrt herumstreunen. Grad sie dürften die Notate zur tottraurigen Konsumund Vergnügungsarbeit der Massen und der sich von ihnen durch nichts als durch ihre Illusionen über ihre Einzigartigkeit unterscheidenden Flaneure amüsieren – oder auch erschrecken im Kapitel über die klassenlose Klassengesellschaft: eine furiose Erzählung über die Austreibung von Befreiungswünschen unterm Marktwirtschafts-Totalitarismus. Kultbuch vielleicht bald, ist es zumindest aber, wie die Dittfurt zu recht meint, „Fibel für alle, die bemüht sind, nicht zu verblöden“. Daß es sich übrigens bei der „Offenbarung“ um eine profunde, materialreiche, genaue, die Standards herkömmlicher Politwissenschaft allemal erreichende Arbeit handelt, sei nur am Rande vermerkt und ist nicht abschreckend gemeint Vfon den sechs Kapiteln finde ich besonders beeindruckend die Darstellung der glänzenden Lage desImperialismus nach Zerstörung des realsozialistischen Lagers, die Analyse der mörderischen Konsequenzen all around the world daraus, den Beweis, daß dem eben zur Zeit nichts entgegensteht und daß die scharfsinnigen Analysen ä la Holloway, Kurz, Roth u.a., die das Weitere als das sich entwickelnde Andere, als ablauf- und geschichtsnotwendig schon hinterm Horizont erblicken, auf hoffnungssüchtige Schönfärberei hinauslaufen, wenn nicht Freispruch für den bestialischen Imperialismus bedeuten. Tatsächlich ist sie ja „der vielleicht schamloseste Blödsinn“, jene Zuversicht nämlich, wonach bei Verwertung von globaler Arbeit durch das globale Kapital – davon geht die linke Esoterik aus – sich eine Tendenz zur Angleichung durchsetze, Ungleiches verschwinde, Ausbeutung jedenfalls nicht mehr per Ausbeutung armer Länder durch die reichen passiere. Solche Gleichsetzung nämlich ist so schwachsinnig wie die Vorstellung, „der Millionär und der Pauper, beide FC St.Pauli-Fans, beide deutsch, sind nichts weiter als Momente eines globalen Kapitalverhältnisses“. Anschaulicher kann man’s kaum zeigen. In diesem Zusammenhang wird allerdings der Widerlegung jener Vorstellung von der Auflösung der Nationalstaaten – dieser kosmopolitischen Illusion von come-togetherpeople beinahe schon zuviel Raum gegeben. Als ob nicht immer noch brav nationalökonomisch zu Hause bruttosozial gezählt und auch sonst abgerechnet würde! (Und wenn später vielleicht im EU-Rahmen, dann eben unter deutscher Führung). Aber wo selbst vormalige Internationalisten vergessen haben, wie wichtig für die Raubzüge des Imperialismus nach innen und außen das „Vaterland“ ist – Raubzüge, die jene Internationalisten, heute Bellizisten und Pro-Westler, als Verteidigung der Zivilisation gegen die Barbarei legitimieren, mag’s wohl angehen. Die spezifische Art und Weise, wie im deutschen Vaterland sich jene grauenhafte Herrschafts-Ideologie entwickelte, die zu Endlösungen und Totalbereinigungen führte und führt, nimmt einen besonderen Teil des Buches ein – für meinen Geschmack, der eh von Germanophobie bestimmt wurde, bei aller Boshaftigkeit und satirischen Überspitzung und einigen zu mutwilligen Interpretationen deutscher Geistesheroen doch p.c.. Befremdlich im diesem Kontext mutet allerdings die geradezu Belobigung der feudalen Herrschafts-Ideologie im Vergleich zu der der bürgerlichen Klasse an. Gewiß war jene nicht vaterländisch angerichtet und diese national bestimmt. Der revolutionäre Liberalismus – selbst der deutsche – verband aber mit dem Begriff Nation ursprünglich nichts weiter als das gegen die clanhafte und mafiose, dynastische Ordnung der Aristokraten gerichtete grenzfreie, freihandelsfähige Staatsgebiet, fürstlicher Willkür entzogen, „bewohnt von einer Gesamtheit vereinigter, gemeinsam unter gleichem Gesetz lebender und von derselben gesetzgebenden Versammlung vertretener Individuen“, wie E&T an anderer Stelle richtig wiedergeben. Daß und wie das Nationalbewußtsein später pervertierte – d’accord! Es bleibt in der Tat dabei, daß Grillparzers Erkenntnis „von der Humanität über die Nationalität zur Bestialität“ in Deutschland fürchterlichste Bestätigung erfahren hat. Wie sie diese Bestätigung ständig weiter erfährt, zumindest erfahren könnte, zeigen die beiden etwa in ihrer glänzenden und überhaupt nicht polemischen Analyse des unsäglich reaktionären Quatsches der Bundestags-Vizepräsidenten (Antje Vollmer – Die Red.) in deren Buch „Heißer Frieden“ auf. Zum Schluß und prinzipiell noch dies: Einverstanden damit, daß zur Bewahrung und Schärfung der Kritik des falschen Systems das Nicht-Mitmachen gehört, die Autonomie der Verweigerung. Weil Kritik aber doch auch wohl praktisch werden soll, Einmischung also nötig ist, hätte man gern erfahren, wo denn nach Auffassung der Autoren Kollaboration beginnt und wo notwendige Einmischung. Was schließlich jene Quintessenz angeht, wonach der Versuch, im entwickelten Kapitalismus ein revolutionäres Subjekt aus dessen sozialökonomischer Stellung abzuleiten, mißlungen ist, so zeigt sich – und die Autoren zeigen es ja immer wieder doch als wichtiger Grund dafür das Fehlen von Klassenbewußtsein. Dies ist wirklich weg. Aber da sollte man sich an Adenauers Zurechtweisung seines Staatssekretärs auf dessen Meldung, „Das deutsche Volk in seiner Mehrheit wünscht keine Wiederbewaffnung“, erinnern, nämlich: „Wat jedenken Se denn dajejen zu tun?“