Die einzig wahre Legende
Schon das erste Album von Pete Dohertys neuer Band Babyshambles ist mythisch verklärt, und sprechen kann man mit dem maladen Ex-Libertine natürlich nicht.
Natürlich kann man derzeit mit Pete Doherty nicht reden, jedenfalls nicht im Rahmen einer Verabredung. Doherty, so wird einem gesagt, ist meistens verschollen und kann nur zufällig gesehen werden, so der Mythos. Wie im letzten Sommer, als er im Rahmen von „Live 8“ plötzlich mit Sozialarbeiter Elton John „Children Of The Revolution“ sang und am Tag darauf das Gespött des vereinigten Königreichs war. Englische Junkies im Weltfernsehen, eine Schande!
Freilich war das nichts gegen das dann im September in aller Öffentlichkeit erzählte Märchen vom Rockstar Pete und dem verirrten Model Kate, das sich verführen ließ und bald im amerikanischen Entzug den Verliebten lieber nicht sehen wollte. Im Endeffekt hat sich der unschöne Screenshot von der Kate mit der Nase im Kokain natürlich für alle gelohnt: Das Model hat die Sucht kuriert und bereits die ersten neuen Werbeverträge unterzeichnet, die Babyshambles sind in aller Munde, das Label Rough Trade findet mit Glück einen Weg aus der finanziellen Krise.
„Wir lieben Pete, aber wir halten uns aus seinem Privatleben raus“, sagt Geoff Travis, der sich wieder als Sprecher der Babyshambles und fact checker zur Verfügung stellt. „Wir rudern nicht mit ihm in einem kleinen Kanu in den tosenden Sturm, sondern bleiben am Ufer, mit trockenen Handtüchern und einem Fön. Das ist unsere Rolle: Wir bieten ihm einen verläßlichen Ort, an den er jederzeit zurückkehren kann.“
Immerhin: Es ist eine Platte fertig geworden. Nach einer chaotischen Session in Wales, die mit Verhaftungen, Zerwürfnissen (mit dem damaligen Manager James Mullord) und noch mehr Chaos endete, rafften der Doherty-Mentor und Clash-Gitarrist Mick Jones und Co-Produzent Bill Price alle losen Enden zusammen und meisterten die hier größte Aufgabe: alle Babyshambles gleichzeitig an einem Ort zu versammeln. „Ob ich vor unseren Konzerten nervös bin?“, fragt Trommler Adam Ficek rhetorisch. „Natürlich. Weil ich nicht sicher sein kann, ob alle rechtzeitig da sein werden. Wie bei unserem Gig in Glastonbury: Da draußen standen 60 000 Leute und brüllten unseren Namen, aber Pete war nicht da. Unauffindbar. Irgendwann kam er dann doch, mit Kate im Arm, und es konnte losgehen. So was zerrt an den Nerven.“
Ficek wird derzeit für die Medienarbeit vorgeschickt, der relativen Verläßlichkeit wegen, aber auch in seiner Erinnerung verschwimmen die letzten zwei Jahre zu einem halbwahren Nebel. „Das Chaos, von dem ihr da draußen hört, ist nur die Spitze des Eisbergs. Du machst dir ja keine Vorstellungen, Mann. Ich ertappe mich mittlerweile bei Phantasien von geregelten Wochenenden mit Fernsehen und Fußball und so.“
Die Geschichte geht etwa so: Vor knapp zwei Jahren durch‘ sucht Doherty die lokale Londoner Szene nach Musikern für die Libertines-Nachfolge und findet schließlich die Trommlerin Gemma Clarke, den Bassisten Drew McConnell sowie den stadtbekannten und mit Doherty ohnehin befreundeten Patrick Walden (Gitarre); Clarke geht Anfang 2005, weil sie den Manager nicht leiden kann, und wird durch Adam Ficek ersetzt. Doherty liebt’s spontan und zeigt den anderen die Lieder immer erst kurz vorm Anzählen; man kennt das von den Libertines. Das Chaos, so Ficek, gehöre insofern zum Programm, als sich Doherty nicht in Tour- und Marketingpläne zwängen lassen, sondern alles spontan entscheiden wolle. Die Drogensucht und die persönliche Zerrüttung Dohertys hätten ihren Anfang ja bei den Libertines genommen, weil die sich das Leben eben durch die Funktionäre hätten verplanen lassen. Ein zarter Freigeist wie Doherty komme da nicht ohne Blessuren davon. „Wir wollten eine echte, lebendige Platte, wie sie The Clash früher gemacht haben“, erklärt Ficek, übrigens tatsächlich ein recht aufgeräumter, freundlicher Typ, das wackelig-skizzenhafte „Down In Albion“, „Rock folgt momentan viel zu sehr den Regeln des Dance, weil er im Rechner entsteht, der dir aber seine Ästhetik aufzwingt und nichts Uneindeutiges zuläßt. Wir haben alles ganz schnell gemacht, ohne Angst vor Fehlern, einfach auf der Suche nach dem richtigen Gefühl. Es kommt eine andere Musik dabei heraus.“ Travis ergänzt: „Es geht um das richtige Leben, und das ist nun mal fehlerhaft und unfertig. Viel zu viele Platten sind wie Möbelstücke! Man kann die Babyshambles nur verstehen, wenn man diese Art des Hörens in Frage stellt.“