Die dunkle Seite
Von Märchenwelten und Traumgespinsten handelten seine Songs stets, von Wahn und Wille, Licht und Schatten. Nun veröffentlicht PETER GABRIEL das erste Album seit acht Jahren - mit Songs von Paul Simon, Radiohead, Regina Spektor und Neil Young.
Zum Schluss war alles ein bisschen aus der Form gelaufen. Er selbst, die Intervalle zwischen seinen Alben, sein unbedingter Expansionswille, die aufwändigen Bühnenkonstruktionen, an denen er bisweilen kopfunter wandelte, die unerwartete Veröffentlichungsflut offizieller Live-Bootlegs, die Ehrungen und Preise, mit denen er unter dem Deckmantel von Euphemismen zu früh für sein Lebenswerk geehrt wurde.
Der „Writing Room“, das Allerheiligste seines berühmten Studio-Dorfes „Real World“ im englischen Dörfchen Box, zwischen Chippenham und Bath gelegen, zeugt von seiner epischen Ideen-Ökonomie. Wer es hier hinein geschafft hat, der sieht eine Versinnbildlichung von Peter Gabriels Stimulanzen. Der überschaubare Studioraum, der ausschließlich dem Hausherren selbst zur Verfügung steht, ist bis unter die Decke mit Hightech-Musikwerkzeugen ausgerüstet. Zeichnungen, die Gabriel zur Visualisierung seiner Songideen angefertigt hat, baumeln zu Dutzenden an Schnüren, bespielte Demo-CD-Rohlinge mit unvollendeten Song-Ideen liegen stapelweise herum. Früher, erzählt er, sei er hin und wieder im Kajak von seinem nahegelegenen Privathaus aus das Flüsschen hinunter zum Studiogelände gepaddelt. Dessen Kernstück, ein altes, sorgsam restauriertes Mühlenhaus, trägt einen bauchigen Wintergartenraum vor sich her, der in einen Teich hineinragt und wegen seines Idyllenpanoramas seit zwei Dekaden von Gabriels finanzkräftigen Kollegen für Aufnahmen gebucht wird.
Unweit dieses Kreativ-Tatorts inmitten von Bilderbuch-England residiert Pink Floyds Nick Mason. Dessen Tennisplatz wird regelmäßig zum Austragungsort von Altherren-Matches der englischen Rock-Aristokratie, wie Gabriel selbstironisch spöttelt. Im Vorübergehen trübt der Blick auf den amerikanischen Multiplatin-Award für das „So“-Album allerdings die aufkeimende Illusion des Betrachters nach dem Rundgang durch die vermeintlich perfekte Ideenschmiede. Gerade zwei Studioalben, die Beschallung für eine Millennium-Show und zwei Soundtracks hat der Mann, der 1986 den „Sledgehammer“ so effektiv kreisen ließ, in den 24 Jahren seither veröffentlicht. Zwischen „So“ und dem „Passion“-Soundtrack lagen läppische drei Jahre, noch mal drei vergingen, bis „Us“ 1992 erschien. Danach nahm seine Produktivität kritische Züge an. „Ovo“ erschien acht Jahre später in ähnlicher Rezeptur wie der 2002 erschienene „Long Walk Home“-Soundtrack, der wiederum voller Zitate aus dem kurz darauf veröffentlichten „top“-Album steckte. Dessen erste Single war ein Topic-Song, dessen Thema, die totale TV-Verblödung, rund zehn Jahre zu spät kam. Die Relevanz des einst so gespürsicheren Videoclip-Revolutionärs und Weltmusik-Pioniers wurde diskussionswürdig.
Zum Glück hat Peter Gabriel inzwischen die Kraft der Kratzhand entdeckt: Er forderte damit alte und neue Songschreiberkollegen zu einem Austausch-Programm auf. Der Deal: Gabriel interpretiert seine persönliche Auswahl ihrer Songs; im Gegenzug kratzen sie die Patina von Gabriels Songkanon. Mit Spannung werden entsprechend Lou Reeds Version von „Solsbury Hill“ und „Not One Of Us“ vom Magnetic Fields-Songschmied Stephin Merritt erwartet. Derweil sorgt Gabriel mit „Scratch My Back“, seinem Album von Cover-Versionen, für einen verhältnismäßig traditionellen, aber bemerkenswerteren Einstand in das Kratz-Projekt. Grooves, Afro-Pop, elektronischer Schnickschnack, Affentöne – Gabriel hat sich eine Auszeit von seinem selbst geschaffenen musikalischen Abenteuerspielplatz gegönnt. Bis auf’s Mark sezierte er mithilfe der Arrangement-Kunst des ehemaligen Durutti Column-Mitglieds John Metcalfe, der Produzenten-Fertigkeiten von Bob Ezrin und einem Orchester – aber ohne Schlagzeug und Gitarren – unter anderem Songs von Bon Iver, Neil Young, Talking Heads, Randy Newman und Radiohead. Als Gegengift zum überbordenden Sound-Dschungel seiner Einspielungen der letzten 20 Jahre setzt er für Lou Reeds Romantikbekenntnis „The Power Of The Heart“ auf Stille, macht aus Elbows „Mirrorball“ ein Manifest des Ausleuchtens von Licht und Schatten und entzieht Paul Simons „The Boy In The Bubble“ die Leichtfüßigkeit zu Gunsten eines besseren Textverständnisses. Die Gabrielsche Seelensuche wird in der Reduktion auf akustisches Instrumentarium um eine Facette erweitert, sein Gesang betont.
Gabriel ist beim Interview, das im „Real World“-Studio stattfindet, beinahe frei von Erklärungs- und Rechtfertigungsversuchen für seine Arbeitsweise. Schuhlos und englisch-höflich, macht Gabriel trotz der charakteristischen „uhms“ und „ähems“ einen konzentrierten, zufriedenen Eindruck. Er ist offenkundig im Reinen mit sich, seiner Arbeit und der Trotzhaltung gegenüber allem, was ihn vom Frönen seiner momentanen Hauptpassion abzulenken droht – der Beschäftigung mit ingeniösem Songwriting.
Warum hat es den ehemaligen Landjungen Gabriel wieder in die Stadt verschlagen?
Meine Frau Meabh lebte lange genug auf dem Land, wie sie fand, und unser achtjähriger Sohn besucht hier in London die Schule. Ich möchte aber meine Hände immer noch im englischen Matsch fühlen können und versuche, mindestens zwei Tage pro Woche im „Real World“-Studio zu sein.
Was Deinem langsamen Arbeitspensum sicher nicht unzuträglich ist.
Unser Stadthaus hat einen ausgiebigen Anbau, der Freimaurern früher als Treffpunkt diente. Ich nutze den Extraplatz als Kreativwerkstatt, Aufnahmestudio und Bühne für überschaubare Events. Ich brauche „Real World“ nicht mehr zwangsläufig als Studio für eigene Produktionen, aber weil ich auf einem Bauernhof groß geworden bin, der ein paar Gabriel-Generationen gehörte, scheinen meine Synapsen auf dem Land besser zu schwingen.
Ist es ein künstlerischer Fehler, die Provinz zu verlassen, deren bürgerliche Enge kreativen Antagonismus fördern kann?
Künstler sind eine seltsame Spezies. Räumt man uns zu viel Platz mit endlosen Möglichkeiten ein, neigen wir zur Pedanterie. Kastriert man uns hingegen durch wenig Freiraum, finden wir garantiert einen effektiven, schnellen Weg, um diese Enge zu verlassen. Mein kindliches Vergnügen daran, Spermien an den Anfang des „Sledgehammer“-Videos zu stellen, war eine Reaktion auf die Provinzialität von „Top Of The Pops“. Es muss kein Fehler sein, die Provinz zu verlassen, aber es wäre ein Fehler, die Provinzialität aus den Augen zu verlieren. Mein Vater fand als Erfinder kontinuierlich Wege, die ihn aus der bürgerlichen Enge herausführten. Ich schätze, dass ich durch seine Gene geprägt bin.
Leben deine Eltern noch?
Ja, mein Vater hält mit seinen 97 Jahren tapfer am Leben fest, was bewundernswert ist. Aber er hat auch 50 Jahre lang diszipliniert Yoga praktiziert. Meine Mutter ist 88 und scheinbar ebenfalls von starken Genen geprägt.
Das lässt mit Hinblick auf deinen 60. Geburtstag, den Du dieser Tage feiern wirst, auf die Veröffentlichung von mindestens einem weiteren Album zu Deinen Lebzeiten hoffen.
Energien und Fokussierungen als reale Schaffenskräfte spielen eine immer größere Rolle im Abstand meiner Alben. Als junger Mann arbeitete ich 80 bis 100 Stunden pro Woche im Studio. Heute liegt mein Fokus auf meiner noch jungen Familie, der Entwicklung neuer Technologien, dem Unterstützen von Benefizprojekten und Musik. Mit 20 räumte ich Musik meine komplette Zeit ein. Heute ist es ungefähr ein Drittel davon.
Trotz bestehender Marktgesetze, die Präsenz fordern?
Mich interessieren Marktgesetze immer noch nicht. Diese luxuriöse Trotzhaltung ist langfristig sachdienlich. Musik langweilt mich nicht, und ich langweile mein Publikum bislang offenbar nicht. Es ist möglich, dass mich nach verhältnismäßig langer Veröffentlichungspause kaum noch großartige Plattenverkäufe in physischer Form erwarten werden. Wenn dem so sein sollte, muss ich nach anderen Einkommensquellen suchen, damit Musik eine Leidenschaft bleiben kann, die nicht in erster Linie dazu dienen muss, unter anderem Real World Records zu unterstützen.
Die Tantiemenflut von Gabriels „So“-Album ermöglichte 1988 die Konstruktion der Real World Studios, woraus sich ein Jahr später die Gründung von Real World Records speiste. Vom spezialisierten Weltmusik-Label profitierten zunächst sowohl Musiker aus allen Teilen der Welt als auch der Labelboss selbst. Gabriel ermöglichte Musikern verschiedener Ethnien bestmögliche Aufnahmebedingungen und weltweite Distribution, während er, unter anderem für sein Soundtrackalbum „Passion“, auf die Ressourcen der anwesenden Musiker zurückgreifen konnte. Dank verhältnismäßig großer Verkaufserfolge der Real World-Alben des pakistanischen Qawwali-Sängers Nusrat Fateh Ali Khan und des Weltmusik-Kollektivs Afro Celt Sound System arbeitete das Label bis Ende der 90er Jahre profitabel. Das allgemein nachlassende Interesse an Weltmusik machte Gabriels persönliche Finanzspritzen im letzten Jahrzehnt aber unumgänglich. Erst die neuerliche Hinwendung des Labels zu Songschreibern wie Charlie Winston, dessen „Hobo“-Album in Frankreich bereits 250 000 Einheiten absetzte, führt Gabriels Hausmusikmarke langsam wieder in die Profitabilität.
Erstaunlich, dass sich keine der gewohnten, Gabriel-assoziierten Soul- und Weltmusikreferenzen auf „Scratch My Back“ befinden.
Ich entschied mich bewusst dagegen, weil ich mein ganzes Künstlerleben mit dem Absorbieren von allem von überall verbrachte. Ich war lange Zeit darum bemüht, mich sozusagen global zu fühlen, und fand die Idee interessant, zur Abwechslung das Gegenteil dessen zu betrachten. Obwohl ich mit dem Stück von Regina Spektor den Song einer Frau aufgenommen habe, spiegelt die Platte, pathetisch ausgedrückt, den Erfahrungsschatz weißer Männer.
Hättest Du nicht einen Genesis-Song der Spätphase Deiner ehemaligen Kollegen covern sollen?
Ich werde Dir nicht die Antwort liefern, die Du erwartest. Ich habe nicht mal darüber nachgedacht. Vermutlich, weil sowas zu nahe an meiner eigenen Geschichte angelehnt gewesen wäre. Das Wiederbetrachten meiner eigenen kulturellen Sozialisation durch die Reflexion der gecoverten Texte hat mit simplen Mitteln zu einer neuen Form der Intensität meines Gesangs geführt.
Die Texte werden durch sparsame Orchesterarrangements konkretisiert.
Ja, sie erfahren eine zusätzliche Dimension. Paul Simons „Boy In The Bubble“ kennt jeder als großartigen Popsong auf „Graceland“, dessen Inhalt im Kontext des fröhlichen Beats kaum wahrgenommen wurde. Hört man ihn im reduzierten Arrangement von John Metcalfe, der die meisten Arrangements der neuen Platte schrieb, offenbart sich unmittelbar ein verdammt brillanter Text. Einer der besten und düstersten Songtexte, die je geschrieben worden sind.
Das alte Gabriel-Thema, Licht ins Dunkel bringen.
Es ist das Thema der Psychotherapie, das mir nicht fremd ist. Solange man dunkle Seiten der Persönlichkeit vergraben hält, gibt man ihnen nicht die Chance, neutralisiert werden zu können. Wenn man die dunklen Seiten offenbart, erlaubt man, dass sie ausgeleuchtet und dadurch weniger schwer zu tragen sind. Irgendwie ist das neue Album doch eine Soul-Platte geworden, weil es gleichzeitig hoffnungsvoll und erwachsen ist.
Ist Deine Zeit des spielerischen Musikmachens vorbei?
Nein, die Opposition zu diesem Album regt sich schon in mir. Ich möchte aus der Idee des Austauschs von Songs gern eine Serie werden lassen und ich schätze, dass mich deren nächste Episode Richtung Elektro-Disco mäandern lassen wird. Interessanterweise hat Stephin Merritt von den Magnetic Fields „Not One Of Us“ von mir im Austausch gecovert und daraus eine Schwulen-Hymne im Electro-Disco-Stil gemacht. Unerwartet und großartig.
Wie funktionierte der Song-Austausch-Deal konkret?
Tja, ich bin auf den Strich gegangen! Manche reagierten prompt auf meine Vorzüge, andere, wie Neil Young, waren schwer zu erreichen. Der Einzige, der absagte, war David Bowie, weil er, laut Brian Eno, im Moment kein Interesse an Musik hat. „Heroes“ habe ich trotzdem aufgenommen, denn die Hälfte des Originals geht auf Brians Konto. Er arbeitet im Gegenzug an einer Version von „In Your Eyes“. Lou Reed hat „Solsbury Hill“ gecovert, und „Biko“ wird von Paul Simon wiederbelebt. Alle Anderen sind in ihrer Wahl meiner Songs noch unentschlossen, aber Ende 2010 soll „I’ll Scratch Yours“, das Pendant zu meinem Cover-Album, erscheinen.
Du konntest zur Abwechslung Spaß haben, ohne Verantwortung tragen zu müssen.
Außer dafür Sorge zu tragen, dass meine Interpretationen nicht vollkommen ins Leere stolperten, lastete nicht die Verantwortung auf mir, ultimative Versionen der Songs aufzunehmen. Vielleicht werden ein paar Leute enttäuscht sein, weil es nach knapp acht Jahren keine neuen Songs von mir zu hören gibt. Aber ich habe durch die auferlegte Selbstrestriktion gelernt, Verantwortung abgeben zu können, was meiner Arbeit deutlich mehr Dynamik gab. Ich bin bemüht, die Pausen zwischen meinen Platten zu verkürzen. Es warten noch ein paar auf ihre Fertigstellung.
Jemand aus deinem Umfeld suggerierte kürzlich das baldige Ende deiner Kreativkraft.
Ich teile den Glauben nicht, nach dem Künstler nur gut sein können, solange sie jung sind. Die Arbeiten von vielen Malern werden mit zunehmendem Alter besser. Die Kreativkraft findet andere Ausdrucksformen. Man lernt mehr über sich selbst und über das Leben. Die Naivität weicht einem Realitätssinn, mit dessen Tiefgang ich mich identifiziere. Dylan, Tom Waits, Leonard Cohen – die waren früher großartig und schöpfen heute aus einem noch größeren Fundus an Erfahrungen. Ich möchte gern glauben, dass meine Musik ebenfalls nuancenreicher, transparenter wird und damit relevant bleibt.
Einen gewissen Mut zur Schnuligkeit konnte man ihr im Kontext des jeweiligen Umfelds, in das sie hineinfiel, nie absprechen.
Mag sein, dass ich oft fremdkörperartige Instrumente zur Umsetzung meiner Song-Ideen im jeweiligen Umfeld platzierte. Aber ich habe als Dilettant, nicht als Profimusiker angefangen. Wenn man etwas nicht kann und es dennoch können will, findet man im Resultat seiner Anstrengungen häufig einen individuellen Ausdruck. Ich kann gar nicht anders, als Peter Gabriel zu sein, selbst nicht wenn ich anders sein wollte, was immer seltener der Fall ist.
Mit „Scratch My Back“ aber offenbar doch in mancher Hinsicht.
Ja, aber nur scheinbar. Samplers, Drum-Loops, Weltmusik – all das, was man mit mir assoziiert, sollte für einen Moment in einer überdimensionierten Schublade verschwinden. Vielleicht, um mich daran zu erinnern, dass mich die Kunst des Songwriting vor vielen Jahrzehnten dazu anstiftete, selbst Songs zu schreiben. Manchmal sucht der menschliche Geist nach Ausbrüchen. Wenn er sich weit genug von seinen Wurzeln entfernt hat, sucht er einen Weg zurück, um sich wiederbelebt erneut auf die Reise begeben zu können.
Ist der Kontrollverlust, über den Du 1978, zum Beginn Deiner Solokarriere, mit den Zeilen „When things get so big I don’t trust them at all“ gesungen hast, durch das Real World-Unternehmen für dich eingetreten? Auch in „Big Time“, einem Song von „So“, ironisiertst Du unmissverständlich Großmannssucht und Materialismus.
Wenn der administrative Kram Überhand nimmt, würde ich gern vor dem, was auf meine Initiative hin geschaffen wurde, flüchten und mich lieber mit Freunden zum Essen treffen. Aber wenn die Aufnahmestudios von verschiedenen Bands und Musikern gebucht sind und interessante Sounds zu hören sind, gibt es keinen besseren, inspirierenderen Ort. Das innovative Songwriting von Elbow habe ich übrigens kennen gelernt, als die Band hier in den Studios aufnahm. Früher musste ich in die Welt hinausgehen, um dem Regelwerk meines eigenen störrischen, verschlossenen Englischseins mit Hilfe eines differenziertes Kulturverständnisses etwas entgegensetzen zu können. Heute kann ich mich öffnen, indem ich die Welt in mein Studio einlade und den Luxus interessanter Begegnungen genieße. Ich versuche so wenig wie möglich im Dunstkreis des Bereuens zu leben. Auch wenn mir „Real World“ im Laufe Jahre mitunter über den Kopf wuchs, hat mir das Ganze mehr kreativen Nutzen als Kontrollverlust bereitet.
Als weltmusikalischer Reiseleiter sträubte sich Peter Gabriel weiterhin gegen den Eurozentrismus. Seinen Platz als alleinige Attraktion vor einem europäisch geprägten Instrumental-Ensemble nimmt er zwischen kammermusikalischer Sparsamkeit und orchestraler Opulenz, Verbeugungen vor Steve Reich, Bartok, Arvo Part und seinen Songwriter-Kollegen noch radikaler ein als bei früheren Arbeiten, die stets unverkennbar von seinem Faible für afrikanische Rhythmen, innovative Sounds und amerikanische Soul Music geprägt waren. Aber auch von konventionell arbeitenden Musikern so unterschiedlicher Provenienz wie Bruce Springsteen und Randy Newman: Die charismatische Bühnenpräsenz des einen ermutigte ihn zu seiner Solokarriere, das Songwriting des anderen – und insbesondere das Stück „Louisiana 1927“ über die dortige Sturmflut – inspirierten ihn zu anderen Themen. Mit „Scratch My Back“ aber bleibt Peter Gabriel vor allem sich selbst, seiner Widerspenstigkeit und der diesmal gar nicht so einsamen Suche nach Ausdrucksformen treu.