Die Drogen arbeiten nicht
Placebo konzentrieren sich auf das Wesentliche - Rauschmittel gehören nicht (mehr) dazu
Als Placebo im letzten Sommer mit dem Songwriting für ihr fünftes Album begannen, war die Marschrichtung klar. Ein eher elektronisches Werk sollte her, das die artfremden Klangversuche des letzten Albums, „Sleeping With Ghosts“, vertiefen und noch offensichtlicher machen sollte. So ist das mit Placebo, die sich größenwahnsinnig immer die Revolution in eigener Sache vornehmen, auch wenn man das hinterher nicht unbedingt gar so radikal hören kann.
Diesmal wurde gleich gar nichts aus dem selbst verordneten Umsturz. Produzent Dimitri Tikivoi, der vor einigen Jahren Placebos Version von Kate Bushs „Running Up That Hill“ aufgenommen hatte, wollte nichts wissen von Digi-Beat und Klangkur. Und verordnete Placebo stattdessen die Konzentration aufs Wesentliche. „Er wollte uns alles wegnehmen, was uns in Sicherheit wiegt“, erinnert sich Brian Molko, „sein Ziel war, daß wir uns nicht verstecken, sondern ganz ungeschützt dastehen. Er wollte mit uns ein erstes Album machen. Nicht das erste Album, sondern ein erstes Album. Wir haben ein bißchen gebraucht, um uns an den Gedanken zu gewöhnen, aber dann verliebten wir uns in die Performances, die er aus uns herausholte.“
Im Sommer 2005 war das, und es trug sich zu in den Londoner RAK-Studios. Placebo hatten im November 2004 die „SWG“-Tour beendet und sich danach einige Monate Pause gegönnt, bis die angesammelten Song-Fragmente in Südfrankreich zu einem Album-Programm verdichtet wurden. Jetzt, drei Tage, nachdem Prominenten-Mixer Flood die Arbeit an „Meds“ beendet hat, wirken Molko, Stefan Olsdal und Steve Hewitt auf angenehme Weise entspannt und inhaltlich interessiert. Die Rollen sind klar verteilt: Molko, der Sprecher, der am meisten redet und sehr elaboriert formulieren kann, insgesamt aber überraschend direkt und ungekünstelt wirkt. Olsdal, der Beobachter, der viel weniger spricht und zunächst etwas mißtrauisch die Szene beäugt. Schließlich Hewitt, der english lad, dessen burschikos-kumpelhafte Art nach wie vor ein erstaunlich scharfer Kontrast ist zum reflektierten Feingeist der Kollegen. Von Zynismus oder programmatischem Schwierigsein ist keine Spur; Placebo sind spürbar gespannt auf die ersten Feedbacks zum neuen Album.
„Wir lieben dieses Album, weil es uns zeigt, wie wir sind. Everything is basic and elementary, both into creation and delivery“, sagt Molko, „ich denke, alles, was wir in Zukunft machen, wird von dieser Platte beeinflußt sein.“ – „Wir wußten vorher, daß wir die besten Songs unserer Karriere zusammen hatten“, verlängert Olsdal, „was lag also näher, als sie einfach zu zeigen? Hier ist der Song, das ist das Gefühl, fertig. Wir haben uns in der Vergangenheit zuviel hinter Overdubs und cleveren Arrangements versteckt. Dimitri hat uns gezeigt, daß wir einfach wir selbst sein können und daß dabei eine gute Platte heraus kommt.“
Eine gute Platte, das kann man sagen. Mit „Meds“ kehren Placebo zur harten Kantigkeit der ersten Tage zurück, wirken dabei aber souveräner und punktgenauer. Placebo sind tatsächlich nah bei sich selbst und spielen so inspiriert zusammen wie noch nie. Etwa bei „Space Monkey“, einem benommen wankenden Wachtraum aus düsteren Gitarren und grollenden Trommeln. „Ich kann mich ehrlich nicht erinnern, das Lied aufgenommen zu haben“, ist Hewitt noch ganz beeindruckt, „es kommt mir vor, als würde ich einer anderen Band zuhören. Ich habe noch nie so intensive Gefühle mit meiner eigenen Musik gehabt.“ Natürlich geben sich Placebo auf „Meds“ weniger geheimnisvoll und tragen nicht mehr ausschließlich die eigene Deformation zu Markte. Das sind Themen, die man in der Musik nun mal nicht ewig glaubhaft wiederholen kann.
Auch nicht im Privaten: Man hatte ja schon lang gehört, daß Schluß sein sollte mit den harten Drogen und jedem allzu übertriebenen Hedonismus, der Molko schon beim letzten Album etwas anachronistisch vorkam. Dann die Singles-Compilation „Once More With Feeling“, der Blick zurück, das neue Kapitel in der Vorschau – Molko wollte zu sich kommen und das unbändige Drängen zum Experiment besser kontrollieren. „Ich schätze, die Veränderung war nicht so stark, wie man sich hätte wünschen können“, sagt Molko sehr vorsichtig, „das alte Leben hört ja nicht einfach auf: deine Vergangenheit formt deine Gegenwart. Du trägst sie in dir, ob es dir gefällt oder nicht.“
Ein Lied namens „Song To Say Goodbye“ setzt sich mit diesem (zu) langsamen Veränderungsprozeß auseinander. „You’re one of God’s mistakes“ heißt es da, und der Verfluchte ist Molko selbst. „Der Song entstand im Winter 2004 in Indien“, erklärt Molko, „ich habe dort zwei Monate an einem Strand gelebt, weil ich mit dem Trinken aufhören wollte. Das war eine verdammt harte Zeit du bist allein und mußt dich mit dir auseinandersetzen. Mir wurde klar, daß die Welt beim besten Willen keinen Bedarf an einem weiteren toten Rockstar hat.“
An vielen Stellen auf „Meds“ erhält man solche Einblicke in die Innenwelten des Brian Molko. „Liebe, Verlust und Abhängigkeit, das sind die Themen der Platte. Es geht darum, wie die Abhängigkeit – von Menschen oder Substanzen – dein Leben beeinflußt, um die harten, brutalen Gefühle, wie man sie im Rausch hat. Natürlich ist es therapeutisch, darüber zu singen – die Leute haben ja meistens nicht verstanden, daß sehr viele meiner Texte vor allem mich selbst anklagen. Das ist mein persönlicher Kehraus.“