Die Dinge, an die wir uns erinnern
Wer in ferner Zukunft durchs Kulturmuseum schleicht und an der Vitrine für 2010 steht – was wird er darin sehen? Ein Rückblick auf Objekte und Fundstücke, die zu Symbolen wurden.
Der Helm von Sebastian Vettel
Wie ein wilder Stier
Alle redeten von Entschleunigung und Nachhaltigkeit. Doch in der Formel Eins triumphierte der junge deutsche Pilot mit Mut und Vollgas.
Da alle von Entschleunigung sprechen: Der schnellste Mann des Jahres ist ein schlaksiger Springinsfeld mit wuscheligem Haar, dessen Rennwagen mehrfach liegenblieb, der Unfälle mit dem Teamkollegen riskierte, der Pech hatte und an mangelnder Nachhaltigkeit – noch so ein Wort! – litt. In den letzten beiden Rennen des absurden Formel-Eins-Zirkus vollbrachte Sebastian Vettel das ganz und gar Unwahrscheinliche und wurde Weltmeister mit dem Auto eines Zuckersaftherstellers aus Österreich – als jüngster Fahrer aller Zeiten und 40 Jahre nach dem Tod des legendären Piloten Jochen Rindt.
Vettel triumphierte über seinen älteren Teamkollegen Mark Webber, der lange Zeit vor ihm rangiert hatte – doch die Leitung von Red Bull verzichtete auf die sogenannte Team-Order, mit der etwa Ferrari seine Angestellten auf eine Strategie verpflichtet. Mit Fernando Alonso waren die Italiener dem Titel ganz nah, doch beim letzten Rennen verrechneten sie sich, und dem Spanier fehlten ein paar Punkte. Eine rheinische Kleinstadt freute sich über ihren jetzt berühmtesten Sohn, doch der 23-Jährige lebt natürlich längst in der Schweiz, sofern er mal daheim ist, und lässt auf seinem Grundstück einen Tennisplatz bauen, was die Umweltschützer auf den Plan ruft. Vettels Vater machte nach der Zieleinfahrt auf dicke Hose, doch der Sohn freute sich wie ein Kind. Deutschland war noch nicht reif für diese Leistung: Sogar die beiden gegerbten RTL-Moderatoren Heiko Wasser und Christian Danner waren beinahe sprachlos, Pistenbully Kai Ebel strahlte wie ein Honigkuchenpferd.
Über den Erfolgen Vettels vergaß man fast die Dämmerung des ehemaligen Champions Michael Schumacher, der in dieser Saison zurückgekehrt war und meistens um Platz sechs kämpfte. Der Teamkollege Nico Rosberg war oft schneller als Schumi, der sich mit gespieltem Gleichmut daran gewöhnte, nach dem Rennen kein begehrter Gesprächspartner mehr zu sein. Nur noch Spott, wenn nicht Mitleid hatten die Medien für den Rabulisten übrig, der weiterhin jedes Mittel zum Sieg für legitim hält. Schumacher fügte sich ins Unvermeidliche – wahrscheinlich würde er auch ohne Publikum fahren.
Aber werden die Deutschen den (noch) unbekümmerten Abenteurer Sebastian Vettel je so lieben wie einst den kalten Techniker Michael Schumacher? An Schumi bewunderten sie die Planbarkeit und Erzwingbarkeit des Erfolgs. Mit Vettel sind sie endlich wieder der Kontingenz und dem menschlichen Faktor ausgeliefert. Arne Willander