Die deutsche Stimme des Meisters: Wolfgang Niedecken hat ein Album mit eingekölschten Dylan-Songs aufgenommen
Seit 1968, „dem Ufo-Jahr, von dem alle reden, das offenbar aber überhaupt keiner miterlebt hat“, geht Wolfgang Niedecken Bob Dylans näselnde Stimme nicht mehr aus dem Kopf. Damals sang ihm ein gewisser Peter Schulte, bevor er sich in die KPD/ML verabschiedete, auf dem Schulhof ein Lied namens „Like A Rolling Stone“ vor – ein „Urknall“ nicht nur für den erzkatholischen Internatszögling Niedecken: Jieggars Banquet‘ oder etwa Sgt. Pepper‘ hätte es wohl ohne den Meister definitiv nicht gegeben. Die Leute kamen durch seine Texte doch auf einen völlig anderen Trip.“ Doch mit The Troop, „damals die amtliche Band in Rheinbach/Voreifel“, spielte er vorläufig lieber Hits von den Stones und den Kinks nach. An Bob Dylan traute sich Wolfgang Niedecken noch nicht ran. Später, in den so trostlosen siebziger Jahren, lief er sich, inzwischen hoffnungsvoller Kunststudent, in New York auf der Suche nach der „Positively 4th Street“ die Füße wund und fand sogar den heiligen Ort, an dem sich der Meister für das Cover der danach benannten Platte fotografieren ließ. Zurück in der Heimat sang er sich mit eingekölschten Dylan-Songs durch die Szene-Kneipen. Wo immer der frisch gekürte „Südstadt-Dylan“ für ein paar Mark „door money“ klampfte, brummte das Geschäft. Und Niedecken brauchte endlich nicht mehr für den WDR als Graphiker zu jobben. Und all das verdankte er nur ihm: „Ohne den Meister wäre ich mit Sicherheit nie auf den Gedanken gekommen, einmal Profi-Musiker zu werden.“ So manches Lästermaul nimmt das Dylan heute noch übeL Als er dann mit seinem Atelier-Kollegen Schmal BAP gründete, machte er aus Dylans „Motorcycle Nightmare“ den „Alptraum eines Opportunisten“ und „greinte“, so das SZ-Magazin, „als hätte er für den Harzer auf dem Lehrerstuhl einen Eintrag ins Klassenbuch bekommen, obwohl er’s doch gar nicht war“. Die Texte verstand außerhalb Kölns keine Sau, doch die BAP-Platten verkauften sich in ganz Deutschland wie kleine Biere, und Wolfgang Niedecken wurde der würdige Nachfolger von Heinrich Böll, dem schlechten Gewissen der Nation. Seitdem zählt unter anderem auch die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn zu seinen Fans. In all den Jahren, in denen der gute Mensch vom Chlodwig-Platz mit Liedern wie „Arsch huh, Zäng ussenander“ und „Nackt im Wind“ gegen Rassismus, Hunger und Atomraketen protestierte, vernachlässigte er jedoch nie das Studium der Dylanologie. Um den mysteriösen Meister zu begreifen, übersetzte er die oft kryptischen Songs des Meisters in die Köhler Mundart – eine Arbeit, bei der es „richtig in die Hautfalten reinging“. Und jedesmal, wenn Dylan in Deutschland auftrat und „rattendicht“ über die Bühne torkelte, stand sein beflissener Schüler am Rand und fragte sich: „Kannste dem nicht helfen?“ Auf einem Festival in Baiingen durfte er ihm sogar mal die Hand schütteln: „Das war es dann aber auch schon.“ Der Unnahbare hielt Abstand und verschanzte sich hinter seiner unvermeidlichen Sonnenbrille. Die Begegnung blieb trotzdem nicht folgenlos. BAP, gerade zurück von ihrer Tournee, wollten damals gleich wieder ins Studio gehen, so gut hatte man sich unterwegs verstanden. Dummerweise hatten sie aber keinen Song in der Schublade liegen, den sie umgehend hätten aufnehmen können. Niedeckens forschlag, Dylan-Songs zu covern, versandete auf dem „Dienstweg“: Außer dem Effendi, BAPs Alexander BücheL wollte sich niemand als Dylan-Fan outen. „Und wenn du nicht Fan bist, kannst du das gleich sein lassen.“ So war der Weg frei für ein weiteres Solo-Album. Wie ein Privatgelehrter las Niedecken John Steinbeck, Francois Villon und griechische Sagen, um Dylans Texte deuten zu können. Immer wieder stieß er beim Quellenstudium auf das Alte Testament, „eine Art Reader’s Digest aus der Zeit 1000 vor Christus“. Bisweilen kam er ihm aber auch auf die Schliche: „Dylan hat unglaublich viele Stücke geschrieben, von denen wir alle dachten, die seien mega-schlau. Oft handeln sie aber einfach vom Verlassenwerden oder davon, daß deine Freundinneuerdings auf Dame macht und mit einem drei Jahre älteren Typen abgehauen ist.“ Bevor er die kölschen Adaptionen aufnehmen konnte, mußten sie von Bob Dylan abgesegnet werden. Ein Niedecken-Freund, der deutsche Sony-Chef Jochen Leuschner, fungierte dabei als Vermittler, obwohl das Album bei der Konkurrenz EMI erscheinen sollte. Es sollte ein schwieriges Unterfangen werden: Erst übersetzte Niedecken die Texte ins Kölsche, dann wurden sie eingedeutscht, ins Englische zurückübersetzt und Dylans amerikanischem Musikverlag vorgelegt, der schließlich denn auch sein Okay gab. Gemeinsam mit den langjährigen MafFay-Musikern Carl Carlton, Bertram Engel und Ken Taylor, die er in den vergangenen Jahren immer wieder auf Konzerten von Keith Richards, Dylan oder den Kinks getroffen hatte, probte er gerade mal zwei Tage lang. Anschließend spielte die „Leopardefell“-Band, mit der Niedecken im Mai auf Tour gehen will, die 17 Songs in einem Rutsch ein. Manche Aufnahmen klingen wie guter alter Deutschrock und erinnern eher an BAP als an Dylan. Andere Cover-Versions sind ihnen wiederum ganz passabel gelungen. Zu „Unfassbar vill Räan“ („A Hard Rain’s A-Gonna Fall“) steuerte Carlton ein unerwartet aggressives Gitarren-Riff bei. „Ich will dich“ („I Want You“) singt Niedecken so gefühlig, daß selbst Kuschelrock-Fans voll auf ihre Kosten kommen. Und den melancholischen Them-Hit „It’s All Over Now, Baby Blue“ hat die Dylan-Revival-Band sehr sensibel zu einem Engtanz-Feten-Klassiker umgearbeitet: Jeder s manchmohl einsam, nit nur du.“ Altgediente Dylan-Fans werden natürlich aufschreien: Der „Highway 61“ als „Nürburgring“? Niemals! Zu wohlklingend tönen Niedecken und seine neuen Komplizen. Zu clean. Und bisweilen auch zu altbacken. Verglichen mit Jimi Hendrix‘ Cover-Version von „All Along The Watchtower“ oder dem „Mr. Tambourine Man“ der Byrds sind die kölschen Bearbeitungen von „It Ain’t Me Babe“ („Dat beim ich nit“) oder „License To Kill“ („Nix andres em Kopp“) äußerst manierlich ausgefallen. Alles ist hübsch und artig arrangiert, kein Mißklang stört das Zusammenspiel, die Songs wurden mit Respekt, aber nicht sklavisch werkgetreu übersetzt, und doch: Mußte es wirklich gleich eine ganze CD sein? Hätte es nicht vielleicht auch ein Mini-Album getan, um dem Meister seine Verehrung auszudrücken? Ungeachtet solcher Einwände haben Niedeckens Söhne, acht und elf Jahre alt und Fans der Toten Hosen, dem Projekt „Leopardefell“ bereits ihren Segen erteilt. Ihr Urteil war ihm besonders wichtig, halten sie ihren Papa doch stets auf dem Laufenden, was aktuell so los ist in der Welt: „Ich weiß nicht, ob ich ohne sie Nirvana oder Pearl Jam so häufig und mit solcher Inbrunst gehört hätte.“ Die von ihnen angeschleppten Grunge-Rock-Scheiben erinnerten ihn daran, wie alles angefangen hatte. „Was habe ich Hurra geschrien, als ich die erste Ramones-LP gehört habe: Super, klasse, hört sich ja an wie alte Kinks!“ Wenn nun auch noch der Meister daran Gefallen fände, wäre das natürlich Balsam für Niedeckens Seele. Was aber, wenn er den Stab über ihn bricht? „Dann würde ich sicher nicht in Ehrfurcht erstarren, sondern sagen: Gut, da haben wir uns wohl etwas vertan. Deshalb finde ich die Platte dann aber nicht schlecht. Ich habe schließlich einen eigenen Kopf zum Denken.“ Und im übrigen, zitiert Niedecken Rod Stewart, frei übersetzt, dürfe Dylan sich ohnehin nicht beschweren. Von den zu erwartenden GEMA-Einnahmen könne sich der Meister doch glatt „einen Balkon an sein Haus ranbauen“.