DIE BIG-BANG-THEORIE

Ein Türsteher aus Berlin hat mal gesagt, dass er Typen mit bunten Motivhemden gar nicht einschätzen könne. Entweder seien das Perverse, Kinder, oder die, die am härtesten feiern. Nick McCarthy, der 38-jährige Gitarrist von Franz Ferdinand, ist am ehesten noch ein Kind, vor allen Dingen aber ein dedicated follower of fashion, ein britischer Gentleman, der Bayerisch spricht und am Ku’damm einen Earl Grey bestellt. Ach ja, auf seinem roten Kurzarmhemd wiehern um die zwanzig gelbe Pferde.

Eben noch für den ROLLING STONE in London fotografiert, jetzt schon in Berlin. Dabei war es so ruhig geworden um Franz Ferdinand. 2009 erschien ihre dritte Platte, „Tonight: Franz Ferdinand“. Die Luft war irgendwie draußen, aber keiner der Kritiker traute sich, das so zu sagen. Die Kids in Großbritannien tanzten längst schon zu den anderen.“Wer ist eigentlich Franz Ferdinand“, haben sich die neuen 18-Jährigen gefragt, als die älteren Freunde ihnen von den Schotten erzählten. Die erste Single der letzten Platte hatte noch Potenzial, es ging ums High-Werden, im Video gleitet die Band krawattig wie eh und je mit ausgehöhlten Kokain-Augen durch das Dunkel von L. A. Alles richtig gemacht; aber „Ulysses“ bleibt der einzige Song, der hängen bleibt. Fraglich auch, ob es als Konzept reicht, drei Platten lang über Partynächte, Sex während dieser Partynächte und Drogenkonsum während dieser Partynächte zu singen.

Aber da war ja doch mehr. Die Tony-Blair-Gordon-Brown-Referenz in „You’re The Reason I’m Leaving“, die Rodin-und Dali-Anspielungen in „Outsiders“. Das unendlich große Klavier in „Eleanor Put Your Boots On“, der dreckige Funk in „No You Girls“. Es war ja nicht alles Pillen, Pulver und Poppers, was Franz Ferdinand uns gaben. Manchmal kamen ihre Songs schwül wie Roxy Music, verträumt wie die Beatles und dann doch wieder bretthart wie alter britischer Punkrock daher. Jetzt erscheint also „Right Thoughts, Right Words, Right Actions“, Franz Ferdinands viertes Album. Und man fragt sich, was die Band seit 2009 eigentlich gemacht hat.

Nick, was hast du letztes Jahr am 13. Mai gemacht?

McCarthy: Keine Ahnung. Was war da?

Du warst in Halle bei Leipzig und hast mit einem Freund ein Puppenspiel aufgeführt.

McCarthy: Aber ja. Das war lustig. Wahnsinn. A Wahnsinn.

Das „A Wahnsinn“ klingt richtig gut, so nach Monaco Franze, nach einem guten alten Dietl-Dialog, nach aner G’schicht eben. McCarthys Dialekt stammt aus der Gegend um Rosenheim. Er wurde zwar in Leeds geboren, wuchs aber in Bayern auf. Die Pausen von Franz Ferdinand, also die Zeit, in der sie weder touren noch neue Songs schreiben, nutzt McCarthy für allerlei fantastische, wirklich vergnügliche Spinnereien. Mit seiner Frau wirkte er an der bayerischen Rockoper „Der Lunsen-Ring“ mit. Mit einem alten Freund spielte er Shakespeares „The Tempest“ mit Puppen nach. Sogar in einer Heimatsendung des Bayerischen Rundfunks trat er auf. In London hat er sich ein kleines Studio eingerichtet -The Sausage Studio. Dort lässt er junge Bands und Freunde kostenlos aufnehmen. „Ich mache das alles gratis. In London -das nervt mich am meisten dort -kostet alles etwas. Es gibt keine Möglichkeit mehr, sich auszuprobieren. In Glasgow konnte man noch von Arbeitslosengeld leben und Musik machen.“

Die Sonne knallt. Ein devoter Kellner bringt den Tee. Das Gedeck klackert so wie bei Oma am Sonntag. Früher war hier die Discothek Dschungel. Nick Cave, Martin Kippenberger, Iggy Pop, Blixa Bargeld, David Bowie, die alte Pop-Welt kehrte hier ein, um das taghelle Grauen in der Nacht zu ertränken. Und jetzt kommt Alex Kapranos, der Sänger von Franz Ferdinand, der ehemalige Heilbringer der neuen Disco-Welt, des gefühlt zehnten Disco-Revivals, an den Tisch dazu. Er zieht sich die braunen Glattlederturnschuhe aus. Vielleicht ist er das vom Yoga so gewöhnt. Machen ja viele in seinem Alter jetzt. Seine Haare sind grau geworden. Das Gesicht ein bisschen rundlicher. Aber nicht dick. Wir wechseln ins Englische.

Es ist Zeit, den neuen Sound anzusprechen. Banal ausgedrückt, klingt die neue Platte so sommerlich fröhlich, so gefällig und erfrischend wie das Klirren von Caipirinha-Gläsern und das Reiben von Sand zwischen den Zehen. Ein Saxofon spielt in „Love Illumination“, dazu noch eine Tingel-Orgel -Motown-Rock. In „Stand On The Horizon“ gibt es sogar Streicher. „Fresh Strawberries“ könnte eine Sixties-Girl-Group-Nummer sein. Kurz vor knapp kommt mit „Brief Encounters“ so ein halbstarker Reggae-Schunkler mit Rasseln vorbei.

Und kaum ist Kapranos dabei, dreht sich der bunte Brummkreisel Popkultur noch eine Spur schwindelschneller. Vom Saxofon, das ein gewisser Gus Asphalt beigesteuert haben soll, kreiselt er zu Roland Kirk, dem schwarzen Sax-Spieler aus Ohio, der auch die Nasenflöte beherrschte wie kein anderer. Noch eine weitere Drehung und Kapranos landet bei Karel Reisz, dem tschechisch-britischen Regisseur. Natürlich vermutet der voreingenommene Reporter hinter der Zeile „Come home practically all is nearly forgiven“ aus dem Stück „Right Action“ wieder so eine pulverisierte Ausgehzeile. „Schau mal“, sagt Kapranos, und holt sein Telefon hervor. Er zeigt ein Bild einer Postkarte, und auf dieser steht eben jene Zeile. Die Karte ist an Karel Reisz adressiert. „Die hab ich auf einem Flohmarkt gefunden. Ich bin dann zu Nicks Wohnung, und wir mussten sofort einen Song darüber schreiben. Das ist die Referenz.“

Ein Song handelt von der Ausdehnung des Universums.

Kennt ihr Alexander Alexandrowitsch Friedmann?

Kapranos: Dave Fridmann, der hat diese Platte…

Kein Musiker. Ein Physiker

Kapranos: der über die Ausdehnung des Universums geschrieben hat.

Genau!

Kapranos: Das hat dann zur Big Bang Theory geführt, die von diesem kleinsten Punkt ausgeht, sich schließlich ausdehnt, die Zeit inklusive. Das ist die Theorie hinter dem Song. Ich liebe es, wissenschaftliche Theorien in Gefühle zu übersetzen. Wir machen das mit Synthesizern und Magnetspulen hinter vibrierenden Saiten und Liebes-Metaphern.

Kapranos ist der Small-Talk-Gott, der sexy Philosoph, der den gescheitelten Richard David Precht im Regen stehen lässt, der in einem Nebensatz „Wer bin ich -und wenn ja wie viele?“ zerreißt, sich danach das Haar aus dem Gesicht streicht und sich lachend nach hinten lehnt. „Wissenschaftler sind von einer anderen Welt. Hinter deren Labor-Türen passieren Dinge, die wir niemals sehen. Deswegen wollen die Fans auch backstage. Sie wissen nicht, was dort vorgeht. Dabei ist es so langweilig dort. Ich hoffe, hinter Labor-Türen passiert wirklich Geheimnisvolles.“

In diesem Gespräch kann man die Popkultur, das unfassbare Ding Pop ganz nah an sich ranholen und verstehen. Das Pop-Album, der Pop-Roman, die Pop-Art, das Pop-Dingsda-Bumsda, eigentlich besteht Pop aus einer Aneinanderreihung von zufälligen Zitaten. Pop ist die zusammenhangslose Post-it-Sammlung, der ungefilterte Gedankenstrom kleinteiliger Assoziationen, die das ästhetische Ganze formt. Wissenschaft ist also auch Pop. Filmproduzent und Drehbuchschreiber Chuck Lorre weiß das natürlich schon seit 2007. Seine Serie „The Big Bang Theory“ wurde seitdem für mehr als vierzig Fernsehpreise nominiert und vermittelt mittlerweile erfolgreich, dass ein Ph. D. mindestens genauso aufregend ist wie LSD.

Wahrlich, es ist eine Freude, mit diesen zwei Menschen dazusitzen, diese Mischung aus chinesischem Schwarztee und den Schalenraspeln der Bergamotte-Frucht zu trinken. Sich an diesem urbritischen Duft zu erfreuen und daran zu denken, dass einst Sherlock Holmes und sein Watson sich so gerne von Zeit zu Zeit an einer Tasse dieses edlen Getränks labten.

Die Damen der Plattenfirma trinken abseitig, aber in Sichtweite des Geschehens die ersten Cocktails. Vielleicht einen Mojito. Sie rauchen. Das Wetter jedenfalls ist Mojito-Wetter. Die Holzbohlen-Terrasse strahlt warm von unten. Ein leichter Wind streicht durch den Bambus in den Kübeln, bei denen es fünf Männer braucht, sie zu umarmen.

In naher Ferne sitzen sie wieder in den Flugzeugen und in den großen Nightlinern. Austin, Madrid, Tokio, Osaka. Der Bassist Bob Hardy wird noch dazustoßen und der halstätowierte Schlagzeuger Paul Thomson. Dann tauchen sie wieder auf, nach langer Pause am Rand der großen Weltbühne, mit neuer Musik und neuer Inszenierung.

„Es ist ja nicht so, als hätten wir nichts gemacht in der Zwischenzeit. Wir sind zwei Jahre auf Tour gewesen. Und danach haben wir lauter kleine Sachen gemacht. Ich habe einige Alben produziert. Ich war in Äthiopien und Marrakesch. Wir haben die vergangenen zwei Jahre damit verbracht, dieses Album zu machen. Es sieht so aus, als seien wir verschwunden. Aber wir haben nie aufgehört, zu existieren.“ Kapranos trägt es fast wie eine Entschuldigung, wie eine Rechtfertigung vor. Den letzten Satz sagt er mit Nachdruck, und aus den Augen über den ausgeprägten Wangenknochen spricht es unmissverständlich: „Faul waren wir nicht.“

Wirklich, sie waren fleißig. Haben in McCarthys Sausage Studio in London aufgenommen, in Kapranos‘ Black Pudding Studio und in Oslo und Stockholm. Wurst und Blutwurst -keine schlechten Namen für Tonstudios. Sie klingen so antiquiert. Wurst ist ja eine aussterbende Form der Nahrung. Sind doch Sushi, Wraps und Bulgur dieser Tage viel beliebter. Auch Franz Ferdinand sind antiquiert. Aber auf eine sehr schöne Art und Weise. Franz Ferdinand machen noch immer Musik für Menschen, die sonntags über Flohmärkte streifen, die zitieren, was das Zeug hält, die sich nach den Augenringen der Nacht sehnen, in Wahrheit aber vom Tagwerk gezeichnet sind. Der Brummkreisel dreht und dreht sich. Und die vielen Pop-Philosophen schauen ihm dabei zu, und gelingt es ihnen, das Spielgerät in der Bewegung zu fangen, dann sind sie glücklich, denn sie glauben, dass sie im drehenden Pop-Kreisel die Welt verstehen können.

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