„Songs In The Key Of Springfield“: Der geniale Soundtrack der „Simpsons“

Vor 30 Jahren enterten die „Simpsons“ zum ersten Mal das deutsche Fernsehen - und seitdem gibt es kein Leben mehr ohne sie. Einen großen Anteil an der hohen Qualität der ersten Staffeln hat der von Alf Clausen komponierte Soundtrack der Animationsserie.

„Singing Is The Lowest Form Of Communication!“ Das schlussfolgerte Homer Simpson mit großem Ernst in „All Singing And Dancing“, einer Episode der „Simpsons“, die vielleicht nicht zu den stärksten der bald langlebigsten und kulturell ganz sicher schon jetzt relevantesten TV-Reihe aller Zeiten gehört, aber mit ironischer Präzision auf den Punkt bringt, wie die Gelben eben mit all den Sujets umgehen, die sie unerbittlich parodisieren und zugleich leidenschaftlich feiern.

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Der Titel verrät es schon: Es handelte sich um eine Folge, die selbst wie ein Musical funktioniert. Ein ganz und gar unnötiges Unterfangen, denn Elemente des Musicals spielen seit jeher eine große Rolle in der Serie aus der Feder von Matt Groening – genauso wie eine stets metanarrativ eingesetzte Verwendung von Popstandards und von großer Lust am postmodernen Spiel selbstgeschriebene silly songs.

Das „Simpsons“-Theme kennt jedes Kind

Danny Elfmans Titelmelodie, von der noch heute alle Beteiligten behaupten, dass sie sofort kongenial den humoristischen Stil der „Simpsons“ traf und nach erstmaligem Hören keiner Bearbeitung mehr bedurfte, ist natürlich eine Paradebeispiel dafür, wie mit nur wenigen Tönen ein ganzes Bild- und Gedankenuniversum angetrieben und schillernd-suggestiv illustriert werden kann. Wie wandlungsfähig diese orchestrale Matrize eingesetzt werden konnte, demonstrierten die Serienmacher mit unzähligen Variationen, die im Abspann abgespielt wurden. Da gibt es die „Sonic Youth“-Salve, die „It’s A Mad, Mad World“-Hommage, die „JFK“-Veralberung und selbst eine Renaissancemusik-Variante.

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Doch mit solchen Juxereien wollten sich die Produzenten Matt Groening, Sam Simon und James L. Brooks nicht zufrieden geben. Diese Zeichentrickserie, die längst selbst wie Fernsehen im Fernsehen funktioniert, die ein einfach nicht tot zu kriegendes Phänomen der 90er-Jahre und eine nahezu unendliche Verlängerung dieses hedonistischen Jahrzehnts sein mag, ließ auf der Tonebene alles hinter sich, was sich von „Felix The Cat“ über „The Flinstones“ bis hin zu den „Looney Tunes“ als Möglichkeitsraum zuvor in dem Genre eröffnet hatte.

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Verantwortlich dafür war größtenteils Alf Clausen, bekannt für seine Scores zu „Splash – Eine Jungfrau am Haken“ und vor allem „Ferris macht Blau“. Auch die musikalische Untermalung von „Alf“ geht auf seine Kappe – mit einigen hübschen Spleens, die er auf sein Lebensprojekt übertrug, das die „Simpsons“ ab 1989 für ihn wurden.

TV-Liebeserklärung an die Musikwelt

Clausen schrieb im Alleingang einige der außergewöhnlichsten, anspielungsreichsten Musikstücke, die jemals in einer Fernsehshow zu hören waren. Man denke nur an das melancholisch-pointierte „Flaming Moe’s“, die Barbershop-Quartett-Nummer „Baby On Board“ (natürlich eine nahezu perfekte Verneigung vor den Beatles, wie auch die vollständige Episode „Homer’s Barbershop Quartet“ die Karrieregeschichte der Fab Four genüsslich durch den Kakao zieht), oder der fulminante „Monorail Song“, zu hören in einer der wohl besten Folgen der gesamten Serie („Homer kommt in Fahrt“). Ein raffiniertes Stück, das zugleich die manipulativen Kraft von Musik offenbart.

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All diese Tracks finden sich – neben mehr als 30 weiteren – auf der Compilation „Songs In The Key Of Springfield“, die Soundtrack- und akustisch eindrucksvolle Dialog-Highlights („Honey Roasted Peanuts“!) aus den ersten sieben Staffeln versammelt.

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Natürlich eine ganz und gar selbstsichere Angelegenheit: Der Titel okkupierte Stevie Wonders wundervoll überladenes Mammutwerk von 1976 („Songs In The Key Of Life“), das Cover-Artwork reproduzierte jenen geschickten Stil des Merchandisings, das schon damals den Gelben eine zweite Existenz in den Verkaufsregalen zugestand (und womöglich von neuen Eigentümer Disney in Zukunft noch deutlich gewinnbringender genutzt wird).

Mit dem eigenwilligen „The Simpsons Sing The Blues“ (1990) und dem „Yellow Album“ (1998) hatten die in kürzester Zeit zu Millionären aufgestiegenen Sprecher ihrer Lust nachgegeben, selbst Songs in die Welt zu tragen. Mit durchaus verspieltem, oft aber auch bedenklichem Ergebnis. Die Platte will heute kaum einer mehr hören.

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„Songs In The Key Of Springfield“ verfolgt eine andere Strategie (wie auch die souveränen Nachfolger „Go Simpsonic With The Simpsons“ und „Testify“, die trotz all der herausragenden Stücken schon deutlich machten, wie schnell das musikalische Prinzip der „Simpsons“-Sound-Produktion zur Methode geworden war). Hier wird den großen und kleinen Musikmomenten der Serie Raum gegeben, für sich zu stehen, ohne Bilder zu atmen.


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Was in 22 Minuten einer Episode zum Teil von den kaum zu erschöpfenden Bildideen etwas unfair in den Hintergrund gestellt geriet, glänzt auf dieser Platte. Allen voran die Musicaleinlage von „Oh Streetcar!“ (einer etwas anderen Bühnenfassung von „Endstation Sehnsucht“) und dem Musical „Planet der Affen“.

Matt Groening sagte zu Letzterem treffend in einem Audiokommentar auf der DVD-Fassung der Folge: „Ich mag eigentlich keine Musicals. Aber dieses würde ich mir sofort anschauen gehen.“

Parodie des Mediums

Nur eines von vielen Beispielen, warum der in jeder Hinsicht groß gedachte Soundtrack der „Simpsons“ (den sich die Produzenten eine Menge kosten ließen, inklusive eigenem Studio und fest angestellten Sessionmusikern) eben nicht nur Verhackstückelung von Pop- und Rock sein will, sondern sich eben einen eigenen Reim auf die gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen der Zeit machen durfte. Diese Freiheit verlor die Zeichentrickserie mit fortwährendem Erfolg zunächst schleichend, später immer deutlicher aus den Augen.

Cover von „Songs In The Key Of Springfield“
Cover von „Songs In The Key Of Springfield“

Auf „Songs In The Key Of Springfield“ gibt es viele kleine Juwelen zu entdecken: Zum Beispiel eine Liebeserklärung an Tony Bennett („Dancin‘ Homer“), Robert Goulets irrwitzige „Jingle Bells“-Verhohnepipelung (mit den Zeilen: „Ohhh… jingle bells/Batman smells/Robin laid an egg/The Batmobile broke it’s wheel/The Joker got away“), aber natürlich auch all die Themen aus der Serie, die eben nicht nur visuell codiert sind, sondern auch mittels geradezu beiläufig eingesetztem Score Wirkung zeigen: „Itchy und Scratchy“, „Eye On Springfield“ und selbstverständlich die „Treehouse Of Horror“-Episoden.

„TV Sucks!“, das behaupten die „Simpsons“ selbstbewusst – und sie meinen es nicht ironisch. Die Trickfilmreihe, die sich von der Dramedy über die Sitcom bis zum Cartoon im Grunde mit steigender Laufzeit zumindest intellektuell eher zurückentwickelte, ätzte auch mit dem eigenen Soundtrack herrlich über das Medium, dessen erfolgreichstes Produkt sie inzwischen selbst geworden sind.

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Dieser Score kennt noch keine Verschleißerscheinungen – wie ja sowieso in den ersten acht Seasons der „Simpsons“ keine existierten. Stattdessen gibt es Staunenswürdiges am laufenden Meter! (Freuden-)Tränen fließen mit „Who Needs The Kwik-E-Mart?“. Darin stellt Homer hellsichtig über den zunächst amerikanisch-optimistischen und später Trübsal blasenden Inder Apu fest: „Hey, he’s not happy at all. He lied to us through song! I hate when people do that!“. Von Identitätspolitik natürlich noch keine Spur. Jeder Zuschauer verstand ja, dass es sich um Satire handelte.

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Ein Vergnügen ist Tito Puentes diabolischer Mambo „Senor Burns“. Aber die zärtlichen Musiker-Verneigungen („It Was A Very Good Beer“; „It Was A Very Good Year“, Frank Sinatra/„In A Gaga Da Vida“, Iron Butterfly) bleiben auch mit Blick auf das, was später noch kam, unvergesslich. Wenn auch all die vielen Socken, Puppen, Buttons, Kaffeetassen als Merchandising reichlich überflüssig sind, diese Compilation ist es ganz gewiss nicht. In einer Stunde Spielzeit wird die Genialität einer Fernsehserie konserviert, die auf ewig einzigartig bleiben wird.

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Rhino

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