Die besten Soundtracks aller Zeiten: „Suspiria“ von Goblin
Das Giallo-Kabinettstück von Dario Argento ist nicht nur wegen der erschreckenden Bilder berüchtigt, sondern auch wegen seiner Terrorklänge. Die stammen von Goblin - und haben bis heute nichts von ihrer Einflusskraft verloren. Eine Symphonie des Grauens und des Seufzens.
Der Film
„Suspiria“ (1977) ist neben „Rosso – die Farbe des Todes“ (Profondo Rosso ) der Höhepunkt im Werk von Dario Argento, der das von Mario Bava („Blutige Seide“) begründete Giallo-Kino in eine ästhetisch noch einmal wesentlich anspruchsvollere Dimension überführte. Mit klug zusammengemischten Elementen des Gothic-Horror, Schauereffekten aus der Hammer-Schule, überraschend wenig Blut und einer großen Portion okkultem Firlefanz gelang dem italienischen Regisseur ein abgründiger Schocker, der vor allem auch wegen seiner herausragenden Farbdramaturgie auf ewig in den Listen der besten Horrorfilmen auftauchen wird.
Nachträglich zum ersten Teil einer „Mutter-Trilogie“ erhoben, deren Fortsetzungen „Inferno“ (Horror Infernal) und „Die dritte Mutter“ (The Mother Of Tears) kaum mit dem künstlerischen Glückswurf „Suspiria“ mithalten konnten, erzählt der Film im Kern die Geschichte von drei Hexen, die sich die Welt untertan machen wollen. Natürlich spielt dies – wie in diesem Genre üblich – nur am Rande eine Rolle. Im Zentrum steht stattdessen die gewaltsame Passionsgeschichte der jungen Amerikanerin Suzanne Banyon (für Jessica Harper die Rolle ihres Lebens), die es, warum auch immer, an eine Ballettschule in Freiburg verschlägt, wo eine Kameradin nach der nächsten grausam aus dem Leben gemordet wird. Schließlich beschäftigt sie sich mit schwarzer Magie und macht Bekanntschaft mit der „Mutter des Seufzens“.
Der Kult
In Italien war „Suspiria“ an der Kinokasse erfolgreicher als „Der weiße Hai“ und in Japan wurde Argentos Vorgänger „Rosso – die Farbe des Todes“ nachträglich in „Suspiria 2“ umbenannt. Natürlich Quatsch, aber das sagt alles über die bis heute anhaltende Begeisterung für den mystischen Reißer.
Der Soundtrack
Dario Argento arbeitete insgesamt 13 Mal in seiner Karriere mit Claudia Simonetti und seiner Band Goblin zusammen. Doch kein Score blieb so nachhaltig in Erinnerung (oder entfaltete ein derart sogartiges Grauen) wie der zu „Suspiria“. Mit minimalistischer Präzision experimentierten die Musiker in mehr als großzügigen drei Monaten Studiozeit mit allerhand Instrumenten wie einer Tabla, einer Bouzouki und anderen Fernöstlichkeiten herum. Ziemlich schnell schälte sich bei den Proben das berühmte Thema des Films heraus, das ein verführerisch simples Glockenspiel-Sample mit mehreren, sich wiederholenden und doch stets leicht variierten Rhythmen und Sound-Bruchstücken ineinander verschlingen ließ.
Hexenseufzen
Hinzu kamen einige hypnotisch dahingeflüsterte Worte („Witch“) – nachweislich von Goblin-Sänger Simonetti eingesprochen und längst in der Rückschau als Kauderwelsch identifiziert -, die den unheimlichen, geisterhaften Touch der Klangcollage noch einmal explizit ins Zentrum rückte. Die geheimnisvollen, mächtigen Hexen sollten auch akustisch jederzeit präsent sein.
Argento, der intensiv an der schon vor den Dreharbeiten entstandenen Produktion des Scores beteiligt war, ließ die schauderhaften, zum Teil von Progressive-Rock-Ansätzen, Freejazz-Einsprengseln und Elektroexperimenten geprägten Stücke am Set laut vorspielen, um die Schauspieler in Stimmung zu bringen. Vieles davon ging, das mag auch zum Mythos „Suspiria“ gehören, in der nahtlosen Folge von erschreckenden Mord-Szenarien und artifiziellen Vernichtungssymbolen unter. Oft sind die Bilder eben stärker.
Trotzdem gelang es auf eindrucksvolle Art und Weise, den experimentellen Ansatz der im Grunde dürftigen, aber aufgrund seiner suggestiven Bildkomposition und schauspielerischen Performances auf nachhaltige Art und Weise berührenden Erzählung mit einer ebenso berückenden wie freischwebenden und vor allem brüllendlauten musikalischen Vision zu unterstützen.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren Synthesizer in Filmsoundtracks eher selten zu hören, nach „Suspiria“ (in dem sogar jener „Big Moog“ zum Einsatz kam, den sich später Keith Emerson von Emerson, Lake & Palmer zur Sound-Veredelung schnappte) gab es kaum einen Horror-Score, der sich nicht an dessen Möglichkeiten labte. John Carpenter hörte aufmerksam zu und bediente sich für „Halloween“ an einigen akustischen Tricks. Als der Filmregisseur und gefeierte Elektropionier („Assault – Anschlag bei Nacht“, „The Fog – Nebel des Grauens“, „Die Klapperschlange“) einmal auf den Goblin-Kopf traf, sagte er ihm: „Ich kenne dich schon ganz gut. Ich habe deine ganze Musik geklaut.“
Die Komponisten
Goblin hatten sich, nach ersten zaghaften Prog-Experimenten unter dem Namen Cherry Five in den frühen 70er Jahren, schon aufgelöst, als sie von Dario Argento 1975 für „Rosso – die Farbe des Todes“ zurück aus der Versenkung geholt wurden. Die Band dankte es dem Giallo-Papst, in dem sie ihm mehr als eine Handvoll Soundtracks produzierte.
Unter dem Namen Goblin legten Claudio Simonetti, Massimo Morante, Fabio Pignatelli, Agostino Marangolo und später Fabio Frizzi (der 1980 den inspirierenden Score zu „Ein Zombie hing am Glockenseil“ von Lucio Fulci entwickelte) ein Jahr nach ihrer fantastischen Premiere als Komponisten auch ihr erstes Konzeptalbum vor: „Roller“. Mit „Il Fantastico Viaggio del Bagarozzo Mark“ kam 1978 ein weiterer dazu. Ansonsten verlegten sich die Musiker vor allem auf niemals profane, stets ausufernde Horrorfilm-Soundtracks – mit den unnachahmlichen Höhepunkten „Dawn Of The Dead“ (1977) , „Tenebre“ (1982) und „Phenomena“ (1985).
1989 löste sich die Gruppe auf, steckte aber für den Titelsong von „Mind’s Eye“ und Argentos „Sleepless“ (Non ho sonno, 2001) noch einmal die Köpfe zusammen. Obwohl sich die einzelnen Mitglieder in mehrere Formationen gesplittet haben, die Gründungsmitglieder Claudio Simonetti und Massimo Morant touren seit 2010 als New Goblin durch die Welt, bleiben sie im Gedächtnis der meisten Cineasten vor allem aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit Argento in Erinnerung.
Die Erfolgsmusiker
Eine erfolgreiche Kombination: Allein der Soundtrack von „Rosso – die Farbe des Todes“ (der an nur einem Tag aufgenommen wurde und unter gleich mehreren Gesichtspunkten noch aufregender und als Album konsistenter als der von „Suspiria“ ist) verkaufte sich in den letzten 40 Jahren mehr als vier Millionen Mal.
Der beste musikalische Momente
Natürlich muss hier die erste Mordszene erwähnt werden, auch wenn der Soundtrack vor allem lautmalerische Unterstützung der einfallsreich montierten, brillant choreographierten und farbdramaturgisch höchst wirkungsvollen „Action“ ist.
Doch schon allein die unvergessliche Anfangssequenz, die als Fahrt zur Ballettschule ein Meisterstück der Inszenierung des Unheimlichen ist, bezieht ihre Stärke aus angsterregenden Terrorklängen, der zunächst noch sehr leise eingespielten Untermalung des „Suspiria“-Motivs, das schließlich immer prägnanter wird, bis es schließlich, von Blitz und Donner noch umrissen, bei der Ankunft zunächst verstummt.
Fahrt in die Hölle
Vieles, was darauf folgt, ist grausiger – doch die Präsenz eines diffusen, vor allem von der unruhigen Klanguntermalung beschworenen Bösen, das hier nach einem unschuldigen Mädchen greift, ist schon in den ersten, unendlich lang anmutenden fünf Minuten bezwingend.