Die besten Musik- Shows aller Zeiten
Sie nennen sich Ranking-Shows und haben sich in den letzten fünf Jahren im Souterrain einer Fernsehkultur etabliert, deren obere Geschosse freilich kaum noch genutzt werden. Jedenfalls nicht am Wochenende zur Prime Time, wenn die Angst vor schlechten Quoten jeden guten Vorsatz erstickt. Denn schamlos und gewissenlos sind sie nicht von Haus aus, unsere Fernsehschaffenden. Es ist bloß so, dass Schamgefühl und Gewissen unerschwinglich geworden sind und sich keiner solchen Luxus noch leisten mag. Billig muss es also sein, bunt und blöd. Und wenn’s die Zielgruppe honoriert, gern völlig plemplem. Ein Soll, das „Hit-Giganten“ von Sat.l und „Die ultimative Chartshow“ von RTL mühelos übererfüllen. Letztere Travestie, vom Sender als „Show für Musik-Gourmets“ beworben, ist mit einem Marktanteil bei 14- bis 49-jährigen Zuschauern von verlässlich über 20 Prozent die erfolgreichere. Produziert von Platzhirsch Günther Jauchs Firma i&u TV und jovial-pomadig moderiert von Oliver Geissen, der anstaltsintern für seine Konturlosigkeit geschätzt wird, bietet „Die ultimative Chartshow“ neben dem Hits-Countdown vor allem viel Prominenz. Gewöhnlich nicht die Sorte, deren Namen kennt, wer Casting-Shows, Comedy-Shows und Telenovelas meidet, doch dazwischen auch vertraute, wenngleich wenig vertrauenswürdige Gesichter. Nena und Nina natürlich, Claudia Roth und Ruth Moschner. Die über Musik reden wie über Pickel, Schlaghosen und andere abgelegte Erinnerungen. Auch Show-Inventar Thomas M. Stein, Musikmanager a.D., hat natürlich zu jedem Hit eine Meinung, die er im Brustton der Überzeugung äußert, stets getreu seinem Credo: Gut ist, was erfolgreich ist. Das Salz in der Hitsuppe sind allerdings die im Zappelschnitt aufgepropften Kommentare zu den Musikeinspielungen, von Ingoff Lück oder Guildo Hörn, von Ex-Boxern und Skifahrern, von anschaffenden wie abgehalfterten Medienhuren und von den unkomischsten Figuren in der Tristesse deutscher Fernsehunterhaltung, den sogenannten Comedians. Barth, Schröder, Nuhr und wie sie alle heißen. „Super! urteilen sie meist, nicht selten auch „Total geil!“, ersatzweise „Der totale Wahnsinn!“. Und alle waren sie auf Partys, die sofort in Schwung kamen, wenn „dieses Mega-Lied“ gespielt wurde. „Y.M.C.A.“ von den Village People etwa, das gleich in mehreren Kategorien abräumte, bei den „Partyhits“ wie bei den „erfolgreichsten Silvesterknallern“. „Erfolgreichster Entertainer aller Zeiten“ wurde Udo Jürgens, weil man nur Charts-Platzierungen nach 1962 berücksichtigt habe, so die plausibelste Begründung aller Zeiten. Wodurch es Elvis nur auf Platz 6 schaffte, noch hinter Peter Alexander, aber vor Mike Krüger.
Es ist eine bizarre Scheinwelt, die sich da auftut, wo Pop nur Spaßfaktor ist für Partylaune und sich „populär“ durch Hitlisten definiert, die so lange „ermittelt“ werden, bis sie das gewünschte Resultat auswerfen. Entscheidend ist, dass über den Countdown verteilt Showgäste präsentiert werden können, die dafür am Aufzeichnungstag verfügbar sein müssen. Elvis war verhindert, Udo kam gern. Boney M., Right Said Fred und Suzi Quatro stehen immer auf Abruf bereit und sind entsprechend oft platziert. Noch elementarer: Es müssen Interpreten vorn landen, deren Material für die Doppel-CD lizenziert werden kann, die zu beinahe jeder Sendung erkleckliche Zusatzeinnahmen gewährleistet.
Kein Wunder also, dass Carl Douglas in der Kategorie „Black Music Hits“ siegte, mit „Kung Fu Fighting“, und dass die Rubettes mit „Sugar Baby Love“ das Rennen bei den „erfolgreichsten Oldies aller Zeiten“ machten, was immer darunter zu verstehen sein soll. Oder unter „Flower Power Hits“, deren Ranking auf Platz 4 mit dem Problemschlager „Am Tag, als Conny Kramer starb“ von Juliane Werding nicht verblüffte, weil ihn Juliane ja performierte und „Conny“ sich auf der CD wiederverwerten ließ. Gut auch, dass Peter Kraus da war, um als Sieger in der Kategorie „erfolgreichster deutscher Rocksänger“ ein Medley zum Besten zu geben, in „Hit-Giganten“ mit Hugo Egon Balder. Auch hier ist das Geplauder über Musik von keines Gedanken Blässe angekränkelt, auch hier sind die Rankings lächerlich, auch hier ist Musik nur Schmiermittel, doch glaubt man bei Balder bisweilen zu erkennen, dass er sich der lärmenden Ödnis ein bisschen schämt. Geissen dagegen grinst sich durch die „erfolgreichsten Dancefloor-Hits aller Zeiten“ wie einer, der gar nicht weiß, wie erbärmlich dieser Mix aus Euro-Trash und Debil-Techno ist. Assistiert von DJ Bobo, der treuherzig gesteht, er hätte ohne das Beispiel dieser oder jener „Tanznummer“ schwerlich das Niveau erreicht, auf dem er inzwischen angekommen sei. Während zu „Captain Jack“ von Captain Jack der Lauftext informiert, Captain Jack habe den „Military Pop“ erfunden. „Einfach super!“ sagt ein Komiker, Geissen sagt: „Hier sind die Plätze 34 bis 32, schauen Sie mal!“