Die Attacke der Sitzsäcke
Deko-Soaps wie "Einsatz in vier Wänden" und andere Make-Over-Shows dokumen- tieren mit kreischigem Personal vor allem den Horror in deutschen Behausungen
Dass deutsche Wohnzimmer hässlich sind, kann man wissen, seit RTL in den 80er Jahren dort seinen „Mitternachtsstrip“ präsentierte. Der zeigte ziemlich hemmungslose Zuschauer, die sich für winziges Geld entkleideten und dabei selbst filmten. Der Sender brachte die eingesandten Scheußlichkeiten dann zum Tagesabschluss auf den Schirm, nicht ahnend, dass er damit nicht nur einen vorläufigen Tiefstand seines Publikumsniveaus dokumentierte, sondern gleichzeitig auch ein schönes Stück deutscher Wohn-Unkulturgeschichte archivfest machte. An den kleinen Wackelfilmchen war nämlich weit weniger interessant, dass sich da sozial derangierte Gestalten die meist wabbelige Blöße gaben, es reizte vor allem der Blick ins standardisierte deutsche Wohnzimmer und der immer wiederkehrende Beweis, dass in Wahrheit die dunkelbraune Schrankwand das Land regiert, denn vor genau der zogen 80 Prozent der Einsender blank. Käme man also an die Sendebänder heran, könnte man eine Dokumentation über Gelsenkirchener Barock illustrieren.
Angesichts der zur Schrankwand gewordenen Fürchterlichkeiten verwundert es indes ein wenig, dass es fast zwei Jahrzehnte dauerte, bis irgendwann jemand kapierte, dass aus der ästhetischen Unzulänglichkeit deutscher Wohnstuben telegenes Kapital zu schlagen ist. Vor ein paar Jahren erst setzte er dann aber mit voller Wucht ein, der Großangriff auf die Hässlichkeit deutscher Behausungen, und seitdem wollen sie einfach nicht mehr weichen, diese dubiosen Shows rund um die Pflicht, gefälligst schöner zu wohnen.
Das Prinzip dieser selbsternannten Deko-Soaps, die „Einsatz in vier Wänden“, „Wohnen nach Wunsch – Ein Duo für vier Wände“ oder „Do It Yourself- S.O.S.“ heißen, ist immer gleich. Irgendwo hängt der Haussegen oder sonst was schief, weil mal wieder gestrichen und bei der Gelegenheit auch der Müll und das Leergut entsorgt werden müssten. Niemand muss da indes mühsam nach den Gelben Seiten suchen, so etwas erledigt heute das Fernsehen. Man ruft einfach beim Sender seiner Wahl an, behauptet, meist wahrheitsgemäß, dass man in ziemlich üblen Verhältnissen haust, und schon kurze Zeit später rauschen extrem kreischige Moderatorinnen, die sich gerne auch als Wohnungsflüsterer preisen lassen, durchs Heim und prüfen alles auf Herz und Nieren. Wenn sich also Omi von der 1959 erworbenen Schrankwand trennen will, dann kommen Tine Wittler. Almuth Kook, Enic van de Meiklokjes oder die kreissägige Sonya Kraus, streichen die Wände in Popart-Farbton, schmeißen einen Sitzsack in die Ecke, und nach einer Sendestunde sieht das Heim wahlweise so kuschelig aus wie ein drittklassiges Hotel in Wladiwostok oder wie die Ikea-Version eines Billig-Bordells. Einen gravierenden Nachteil für die Bewohner haben diese Make-Over-Shows allerdings: den Preis für die vermeintliche Verschönerung. Vertragsgemäß müssen sich die Opfer nämlich am Schluss der Show ganz toll über das Ergebnis freuen. Und schlimmer noch: Sie müssen darin leben. Ihre alte Identität wurde quasi getilgt und durch eine neue ersetzt, die sie nun annehmen müssen, ob sie wollen oder nicht.
Naturgemäß gibt es diese Aktion nicht nur für die Wohnung, denn auch wenn es mit der Haut, im Garten oder im Leben nicht stimmt, rauschen rasch die Helfer an. Zwar sind die extremen Make-Over-Aktionen, bei denen sich Frauen von den Sendern gleich die faltige Haut straffen ließen, gefloppt, dafür ziehen nun aber Vera Int-Veen, die Big-Brother-Siegerin Alida oder schlimmstenfalls der maulige „Popstars“-Tanzbär Detlef D. Soost durchs Land und klingeln bei Problemfällen an der Tür. Bei Herrn Soost muss man allerdings derzeit auch bei größten Problemen nicht mehr mit einer plötzlichen Begegnung rechnen, denn gerade hat Pro Sieben beschlossen, sein Format abzusetzen.
Das wirkt auf eine bestimmte Art konsequent, denn der tanzende Ostkommandant mochte schon rein optisch nicht die Anforderungen erfüllen, die an die Moderatorenrolle bei Coaching- und Make-Over-Format gestellt werden. Es wirkt nämlich ein bisschen, als gelte dort das umgekehrte Heidi-Klum-Gesetz. Während bei deren Model-Show nämlich alle so dünn sein mussten, dass sich die glitschigen Blätter vom Regenbogenboulevard schwer drüber aufregen konnten, verfährt man beim telegenen Schönermachen offenbar nach der Devise „Darf’s etwas mehr sein?“. Es ist ein bisschen wie beim klassischen Singspiel, wo man ja auch gerne sagt, dass die Oper erst dann vorbei ist, wenn die dicke Frau gesungen hat.
Nun singen die ott als Wohnexpertinnen euphemisierten Deko-Damen glücklicherweise nicht, dafür sind sie aber durchweg überblendend aufgelegt. Das mag daran liegen, dass sie sich zu Recht als Teil eines Trends sehen, denn auch im Restfernsehen sind die so genannten Vollweiber, ob sie nun Simone Thomalla oder Christine Neubauer heißen, dick im Geschäft.
Den wahren Nutzen aus der ganzen Angelegenheit ziehen neben den ausstrahlenden Sendern naturgemäß die unterstützenden Firmen, wobei insbesondere das Engagement eines schwedischen Möbelhauses ins Auge fällt, weshalb auch die Mehrzahl der Wohnungen nach der Überarbeitung aussieht wie aus dem IKEA-Prospekt kopiert. Spätestens wenn RTL seinen Mitternachtsstrip mal wieder aufleben lassen sollte, wird man feststellen, wie sehr die dicken Frauen vom Dienst die deutsche Wohnkulturverändert haben und ob das Billy-Regal im Zusammenspiel mit der Ledercouch gegen die Schrankwand anstinken konnte. Und was machen jene, deren Leben nun weder mit Coaching noch mit Make Over wieder in gesittete Bahnen zu bringen ist? Ganz einfach: Die sitzen vor der Glotze und schauen sich den ganzen Quatsch an.