Die Angst des Artisten
Zum Tod des großartigen Verwandlungskünstlers ROBIN WILLIAMS
Er hatte eine einzigartige Klappe, er konnte Dialekte nachahmen und Jargons, er beherrschte Imitationen und parodierte Sprachen, ohne sie zu sprechen – und meistens wusste man nicht, woher diese Stimmen kamen und was sie bedeuteten. Robin Williams war ein Bauchredner im Wortsinn, aus ihm tönte das Konzert des Geredes im Medienzeitalter, der nie versiegende Strom der Schwätzer und Meinungsmacher, der DJs und Plaudertaschen.
Als renitenter Militär-Discjockey Adrian Cronauer in Barry Levinsons „Good Morning, Vietnam“ spielte Williams 1987 die Rolle seines Lebens: den Clown und Provokateur, der im Grunde seines Herzens ein sentimentaler Hund ist. Cronauer unterrichtet – zunächst widerwillig – eine Klasse von Vietnamesen in Englisch und findet Spaß daran, er verwandelt die Lektionen in ein fliegendes Klassenzimmer. In einer Szene versucht er, den Frauen und alten Männern die Grundregeln des Baseball nahezubringen, ein natürlich aussichtsloses Unterfangen. Doch in dem lustigen Treiben auf dem improvisierten Spielfeld liegt eine Ahnung von dem utopischen Frieden, den der Song „What A Wonderful World“ aus dem Off verspricht. Die Frau, die Cronauer liebt, ist eine Bombenlegerin, und nach einem tödlichen Anschlag und seinem Scheitern beim Armed Forces Radio kehrt er geschlagen nach Amerika zurück. Vor seinem Abschied schlägt er einen letzten Baseball mit den vietnamesischen Freunden. „Good Morning, Vietnam“ ist ein sehr rührseliger und sehr ergreifender Film, der von den Verwüstungen des Krieges erzählt, ohne ihn direkt zu zeigen. Robin Williams hätte den Oscar bekommen müssen, doch er verlor gegen Michael Douglas in „Wall Street“.
Schließlich wurde Williams für eine andere Rolle, eine Nebenrolle, mit dem Oscar ausgezeichnet: Der Psychologe Sean Maguire in „Good Will Hunting“ (1997) ist ein problembeladener, zweifelnder, übergewichtiger Therapeut, der gegen einen überheblichen Wunderknaben antritt, der sich nicht helfen lassen will. Das berühmte „Du kannst nichts dafür!“, in dem der Konflikt mit dem Jungen gipfelt, ist vielleicht keine wissenschaftliche Aussage – es ist aber eine Wahrheit, die nur das Kino kennt.
Robin Williams wurde am 21. Juli 1951 in der Nähe von Chicago geboren. Die Mutter leitete eine Model-Agentur, der Vater war Manager bei Ford, weshalb die Familie häufig umzog: Seine Jugend verbrachte Robin in Los Angeles und Tiburon, einem Vorort von San Francisco, wo er später wieder wohnte. Sein außerordentliches Talent wurde früh entdeckt: In San Francisco trat er als Stand-up-Comedian auf; mit 21 Jahren wurde er von der Schauspielschule Juilliard’s angenommen und zog nach New York City. Als Gast einer Comedy-Show und bei Richard Pryor fiel er mit unbotmäßigem Humor auf, und die Figur des Außerirdischen Mork wurde Protagonist der Fernsehserie „Mork & Mindy“, die erstmals 1978 ausgestrahlt wurde. Sein erster Film, „Popeye“ von Robert Altman (1980), war ein veritables Desaster und hätte Williams‘ Karriere als Schauspieler beinahe beendet, doch „Garp und wie er die Welt sah“ (1982) zeigte sein tragikomisches Talent. Dennoch verbrachte er die 80er-Jahre bis „Good Morning, Vietnam“ zwischen Comedy-Shows im Fernsehen und zweitklassigen Kinofilmen.
Peter Weirs „Club der toten Dichter“ (1989) prägte eine Generation von Gymnasiasten: In dem Adoleszenzdrama spielt Williams den Lehrer John Keating, der seine Schüler für Poesie begeistert. Walt Whitmans „O Captain! Mein Captain!“ wurde ein Ruf zu den Waffen, den kein Kinogänger je vergessen wird.
In „Cadillac Man“, „Zeit des Erwachens“ (beide 1990) und „König der Fischer“ (1991) brillierte der Komödiant, der jetzt ein Star war. Aber Steven Spielbergs „Hook“ und „Toys“, abermals ein Film von Barry Levinson, waren Enttäuschungen in jeder Hinsicht, und „Mrs. Doubtfire“ (1993) qualifizierte ihn für Rollen, die ihn unterforderten und ins falsche Genre brachten: „Jumanji“, „Flubber“, „Jack“, „Patch Adams“, „Der 200-Jahre-Mann“ – solche Rollen schien ein böser Drehbuchschreiber eigens für Williams anzufertigen. In Kenneth Branaghs „Hamlet“-Film (1996) und Woody Allens „Deconstructing Harry“ (1998) übernahm er kleine Rollen. „Insomnia“ und „One Hour Photo“ (beide 2002) zeigten noch einmal einen anderen Robin Williams: den harmlosen, kinderlieben Außenseiter als heimtückischen Psychopathen. So holzschnittartig diese Figuren sind, so jäh sich das gutmütige Schmunzelgesicht in eine Fratze des Wahnsinns verwandelt, so sehr bewahrte Williams sie vor der Karikatur.
Wenn man ehrlich ist, dann muss man konzedieren, dass Robin Williams im letzten Jahrzehnt aus dem großen Kino verschwunden war. Seine Auftritte in den „Nachts im Museum“-Filmen waren Routine, sie trösten nicht hinweg über die Rollen, die er nicht gespielt hat. Bei David O. Russell, Alexander Payne und Paul Thomas Anderson kam er nicht vor, und die gefeierten Fernsehserien boten keine Rollen für ihn. „Alan Carr: Chatty Man“ und „Wilfred“ waren vergebliche Versuche, den komödiantischen Zauber in Serie strahlen zu lassen; zuletzt wurde „The Crazy Ones“ nach 22 Folgen abgesetzt. Es wird keine Altersrollen von Robin Williams geben.
Über das Ringen mit Alkoholismus und Kokainsucht sprach der Schauspieler offensiv; seine outrierten, oft irrwitzigen Slapstick-Auftritte in Talkshows und bei der Oscar-Verleihung verrieten, dass dieser Mann die Aufmerksamkeit für seine Begabung und seinen Furor brauchte. Beinahe erscheint es als klischeehafte Ironie, dass der anarchische Komiker an Depressionen litt. In der Nacht zum 11. August nahm Robin Williams sich in seinem Haus in Tiburon das Leben.
Im „Club der toten Dichter“ zitiert der Lehrer John Keating eine Sentenz von Henry David Thoreau: „Most men lead lives of quiet desperation and go to the grave with the song still in them.“