Die 50 besten Alben des Jahres 2019
Die ROLLING-STONE-Redaktion hat gewählt: Dies sind die besten Alben des Jahres 2019.
10. Big Thief: „Two Hands“
Meisterwerk Nummer 2: Mit „Two Hands“ demonstrierten Big Thief endgültig, dass sie die derzeit beste Americana-Band sind. Das Album klingt wie der irdische Bruder von „U.F.O.F.“, die entrückten Oden des Vorgängers weichen hier einem konzisen Folk-Rock. Der majestätische Titelsong, das flehentliche „Forgotten Eyes“ und der wütende Gitarren-Mahlstrom „Not“ bilden die Gipfel von Adrianne Lenkers Songschreiber-Kunst. MG
Bester Song: „Not“
9. Solange: „When I Get Home“
Die amtierende Königin des R&B schlägt den Bogen zurück in die Geschichte. Es gibt Science-Fiction–Klänge und warmen Soul-Gesang zu hören, die neuesten Trap-Beats verbinden sich mit Fusion-Jazz-artigen Soli wie vom Stevie Wonder der späten 70er-Jahre. „When I Get Home“ handelt von der Tradition der afroamerikanischen Befreiung und der bleibenden Qual des Rassismus. Ebenso zarte wie stolze Musik über Herkunft und Gegenwart. JB
Bester Song: „Things I Imagined“
8. Billie Eilish: „When We Fall Asleep Where Do We Go“
Auf ihrem glänzenden Debüt verbindet die vielgehypte 17-Jährige die Top-40-Sphäre der Popmusik mit ihrer Avantgarde, bricht mit brutalen Bässen einen Cool Jazz auf oder haucht in einem vielstimmigen Flüsterchor über industrielle Horrorbeats oder verzerrt ihre Stimme zu einem übernatürlich vibrierenden Aliengesang. Sie erweitert die Möglichkeiten moderner Popmusik, und das als Teenager. Was wird sie in fünf oder 15 Jahren machen? JJ
Bester Song: „Bad Guy“
7. Big Thief: „U.F.O.F.“
Meisterwerk Nummer eins: Nach zwei Big-Thief-Alben und einer Solo-Platte holte Adrianne Lenker in diesem Jahr zum Doppelschlag aus. „U.F.O.F.“ leitete den Frühling mit waidwunden Folk-Meditationen ein. Lenker taucht tief ins Unterbewusste, erwacht in außerirdischer Gestalt, betrachtet die Schönheit und Verlorenheit der Menschen voller Staunen. Einen besseren Roadtrip durch die Landschaften der Seele gab es 2019 nirgends. MG
Bester Song: „Terminal Paradise“
6. Wilco: „Ode To Joy“
RS-Jahrescharts ohne Wilco sind undenkbar, und das ist nur gerecht. Faszinierend, mit welcher Beständigkeit diese Band grandiose Alben veröffentlicht. Auch „Ode To Joy“ ist wieder eine große Freude: Selten klang Tweedy so vom Leben weich gezeichnet, folgten ihm seine Musiker so unaufdringlich und gleichzeitig unwiderstehlich. Wilco: einer der besten Gründe, warum wir immer laut lachen werden, wenn jemand sagt, Rockmusik sei tot. BF
Bester Song: „Everyone Hides“
5. Purple Mountains: „Purple Mountains“
Elf Jahre nach dem letzten Album der Silver Jews gab uns David Berman unter neuem Projektnamen seine Chronik eines angekündigten Todes. Mit großer Offenheit und dem nur ihm eigenen Sprachwitz sang er über seine gescheiterte Ehe, den Tod der Mutter und seine schwere Depression – „the dead know what they’re doing when they leave this world behind.“ Vier Wochen nach Erscheinen des Albums nahm Berman sich das Leben. MB
Bester Song: „Darkness And Cold“
4. Weyes Blood: „Titanic Rising“
Die Pracht großer Musical-Balladen, von Piano-Anmut, Orchester-Opulenz und Torch-Song-Glorie: Die Amerikanerin Natalie Mering, die sich Weyes Blood nennt, veröffentlichte schon zwei beachtliche Alben, aber sie hatten nicht auf dieses zugleich idiosynkratische und verschwenderische Wunderwerk vorbereitet, das zwischen Sixties-Singalong und 70er-Jahre-Westcoast-Schmelz, Lesley Gore und k. d. lang vermittelt. AW
Bester Song: „Andromeda“
3. Lana Del Rey: „Norman Fucking Rockwell“
Del Reys sechstes Album, ihr bestes. Das kalifornische Noir zu einem erhabenen Grau reduziert, von hitzematter Psychedelia umflort, eine Gitarre hat Zeit, ein Mellotron. Erotik so selbstverständlich wie selbstvergessen, in der antiquierten Heterovariante. Ihr „Summertime“ heißt „Doin’ Time“ und ist ein Fake, eine Erinnerung an ihre Jugend und an Venice Beach. Klingt wie James Ellroy schreibt. Gnadenlos, wunderschön. SZ
Bester Song: „Venice Bitch“
2. Nick Cave & The Bad Seeds: „Ghosteen“
Nick Cave setzt seine Trauerarbeit fort und transzendiert seine Lebensthemen mit Songs voll meditativer Energie und metaphysischer Kadenzen. Geschichten über Liebe, Hoffnung und die Bedeutung von Verlust. Oder: „Glühwürmchen in der Hand eines Kindes“ (Cave). Der Sänger schlägt entrückte Töne an, gibt sich befreit wie nie. Und seine Bad Seeds wandeln sich mit außerirdisch schönen Synthie-Drones zum interstellaren Chor. MV
Bester Song: „Hollywood“
1. Bill Callahan: „Shepherd In A Sheepskin Vest“
Es war das Jahr, in dem die mit der Zeit zu großen Songwritern gereiften Homerecording-Einsiedler der frühen Neunziger wie Will Oldham, David Berman und Bill Callahan nach längeren Pausen mit neuen Liedern zurückkehrten, in denen sie über die Probleme und Freuden des mittleren Alters sangen – den Verlust der Eltern, Sinnkrisen, Depressionen, Trennungen, das Gründen einer Familie. Komplexe Themen, die sich nicht so leicht in ein Lied fassen lassen wie Liebe, Verlangen, Unterwegssein oder was sonst normalerweise so in populären Songs vorkommt.
„Is life a ride to ride?”, hatte Callahan auf seinem letzten Album, „Dream River” von 2013, gefragt. „Or a story to shape and confide?/ Or chaos neatly denied?“ Die Geburt seines Sohnes und der Tod seiner Mutter gaben ihm Antworten und lösten zugleich eine Schreibkrise aus. Sechs Jahre lang arbeitete er Tag für Tag an neuen Liedern, doch die alten Tricks funktionierten nicht mehr, nachdem der solitäre Dichter vom Fluss der Träume in die Wirklichkeit übergesetzt war.
„Giving birth nearly killed me“, singt Callahan nun auf „Shepherd In A Sheepskin Vest“, „some say I died – and all that survived was my lullabies.“ Diese Wiegenlieder arrangierte er dezent und gedämpft mit Nylonsaitengitarren, Besenschlagzeug und wie aus der Ferne herübergewehten Orgeln, Klavieren und Mellotronen, sodass sie das Leben nicht übertönen, sondern ein organischer Teil davon werden.
„You gotta walk that lonesome valley/ You gotta walk it by yourself“, heißt es in einem alten Folksong, der Callahan als Leitmotiv für seine Songsammlung diente. Noch immer sind seine Erzähler Einzelgänger, aber sie nehmen zugleich ihren Platz in einem größeren Bild ein: Es sind Vaterfiguren, Fischer, die aufs Meer hinausfahren, um die Familie zu ernähren, oder Hirten, die sich um ihre Herde sorgen.
„The centre holds together“, singt der Songwriter im letzten Lied als Entgegnung auf William Butler Yeats’ apokalyptisches Gedicht „The Second Coming“, in dem es heißt: „Things fall apart; the centre cannot hold“ – von dieser Zeile ließen sich übrigens auch Sleater-Kinney zum Titel ihres aktuellen Albums inspirieren. Robert Forster wiederum vertonte auf „Inferno“ gleich ein ganzes Gedicht des irischen Nobelpreisträgers von 1923. Yeats scheint der Dichter der Stunde zu sein. Der Songwriter des Jahres ist aber ohne Frage Bill Callahan. Maik Brüggemeyer
Bester Song: „747“