Die 50 besten Alben des Jahres 2017

ROLLING STONE hat gewählt: Die 50 besten Alben 2017

von RS 30.12.2017

01. King Krule: „The Ooz“. Die Lebensmüdigkeit der Millennials, die eher ein Zustand der Ermattung zu sein scheint, hat einen Sound. Einen somnambulen Swing. Intoniert von einer eiernden Gitarre und einem schläfrigen Schlagzeug. Ist das Jazz? Irgendwie schon. So jedenfalls beginnt das Album des Jahres. Es zeichnet das Porträt der Generation zwischen Y und Z, der Archy Marshall, geboren 1994, angehört. Archy Marshall ist King Krule, und unter diesem Namen hat der dünne, bleiche, rothaarige Engländer eine zweite Platte veröffentlicht, „The Ooz“, was eine langsame, schwebende Bewegung bezeichnet. Hängt man ein e an das Wort, bedeutet es Triefen, Nässen. Niemand hier hat es eilig. Alle ziehen die Nase hoch.

Gleich zu Beginn steckt das Album sein Stimmungsspektrum ab: Der Schmuddel-Loungejazz von „Bisquit Town“, der Schrei und das hinterhergemurmelte „I wish I was equal“ auf „The Locomotive“, die Dringlichkeit von „Dum Surfer“. Letzteres so etwas wie ein Hit. Hier darf das Schlagzeug antreiben, die Gitarre eine heiter flirrende Melodie spielen, der Bass brummeln und ein leibhaftiges Saxofon tröten. Worum es geht? Um einen Autounfall und ein slowakisches Mädchen. Aber eigentlich geht es um die Stadt, die Einsamkeit, die Nacht, die Schlaflosigkeit. King Krule, dieses theatralische Alter Ego seines Schöpfers Archy Marshall, ist 23 und der Welt müde. Aber er ist auch stolz und klug und lakonisch. Er ist der Poet des Ungemütlichen, der Chronist der Seelenödnis, eine eigentümlich raue, trunkene Stimme seiner Generation. Einer Generation dazwischen: Digital Natives, in den Pessimismus der Nullerjahre geboren. Marshall war sechs Jahre alt, als die Twin Towers einstürzten. „As oceans stand still/ Steel structures dissolve/ Of dust soft fuzz“, heißt es im Titelstück des Albums. Seitdem schweben wir, ohne festen Boden unter den Füßen.

Ein Saxofon leitet uns (und lange ist kein Saxofon ähnlich souverän in der Popmusik eingesetzt worden). Ignacio Salvadores, ein unbekannter Argentinier, spielt es wie ein Nebelhorn, das durch den bedröhnt triefenden Sound führt, sonst nur durchschnitten von Marshalls verrußtem Bariton und seiner hart angeschlagenen Gitarre. Manchmal klingt King Krule wie The Clash („Vidual“), manchmal wie Carla Bley („The Cadet Leaps“). Diese Platte ist voller ergreifend schöner Klänge und überraschender Momente, wenn man dem Nebelhorn erst mal durch den Morast folgt. Sie artikuliert das Unbehagen einer Generation, deren Schlaflosigkeit Ausdruck ihrer Müdigkeit ist. Tatsächlich: Platte des Jahres. Bester Song: „Dum Surfer“

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