Die 5 schönsten Musikmomente in den Filmen von Wim Wenders
So wie der Regisseur selbst haben auch die Protagonisten in seinen Filmen ein ganz besonderes Verhältnis zu populären Songs. Eine Auswahl magischer Augenblicke und Hörerlebnisse
FALSCHE BEWEGUNG (1975) Gleich zu Beginn sehen wir den jungen Wilhelm (Rüdiger Vogler) am Fenster stehen. Er schaut auf den Marktplatz von Glückstadt. Auf seinem Plattenspieler dreht sich „From Nowhere“, das Debüt der Troggs, wir hören einige Zeilen aus „I Just Sing“ „It goes to my head and I Start seeing red/ I open my mouth and I sing/ Yes, I just sing.“ Wilhelm geht zum Plattenspieler, um den Song noch einmal zu hören. Er legt die Nadel in die Rille, der Song beginnt von vorn. Blick aus dem Fenster: Eine Frau geht mit einem blinden Mann über den Platz. Wilhelm – willens, die Trennung zwischen Innen- und Außenwelt zu durchbrechen und seine eigene Blindheit zu überwinden – schlägt mit der rechten Hand die Scheibe ein, kehrt zum Plattenspieler zurück, legt mit der lädierten Hand die Nadel auf die Gabel, leckt sich das Blut vom Knöchel.
IM LAUF DER ZEIT (1976) Am Ende ihrer Reise entlang der deutsch-deutschen Grenze kommen Bruno (Rüdiger Vogler) und Robert (Hanns Zischler) an eine alte Grenzhütte. Amerikanische Soldaten haben die Innenwände mit Pin-Ups und den Namen ihrer Heimatstädte versehen, die Robert mit viel Sehnsucht in der Stimme vorliest. „Colorado, Fort Worth, Texas, Terre Haute, Indiana…“ Bruno erzählt, wie er oft stundenlang englischsprachige Songs im Kopf hat, ohne auf den Text zu achten. „Einmal hatte ich einen Streit mit einer Freundin. Dabei habe ich die ganze Zeit ein Lied vor mich hingesummt. Sogar als sie mich angeschrieen hat. Dann bin ich aus dem Haus gegangen, und draußen ist mir der Text zu dem Lied wieder eingefallen: ,1’ve got a woman, mean as she can be.'“ Robert lacht: „Die Amis haben unser Unterbewusstsein kolonialisiert.“
DER AMERIKANISCHE FREUND (1977) Schon zu Beginn des Films singt Bruno Ganz als Restaurator Jonathan Zimmermann selbstvergessen „Too Much On My Mind“ von den Kinks, als er einen Bilderrahmen vor sich hin hält und ihn betrachtet. Dann lernt er Tom Ripley (Dennis Hopper), einen zwielichtigen Kunst-Agenten, kennen, wird mit seiner Leukämie-Erkrankung erpresst, begeht drei Morde und entfremdet sich von seiner Frau. Die verlässt ihn wie einen Unzurechnungsfähigen, und tatsächlich ist Jonathan dem Wahnsinn nahe. In seinem Laden lehnt die Kinks-Platte „Face To Face“ an einer Wand (unter einem Spiegel), und Jonathan kann sich selbst nicht mehr ins Gesicht schauen. Während der todkranke Held gegen Ende des Films seinen Laden ausfegt, scheppert „Too Much On My Mind“ auf dem Soundtrack.
PARIS, TEXAS (1984) In seinem Audio-Kommentar zur DVD-Edition von 2004 sagt Wenders, Ry Cooder habe den Film mit seiner Bottleneck-Gitarre noch einmal gedreht, also mehr getan als die Bilder musikalisch nachempfunden. Das berühmte Gitarren-Motiv erklingt bei den ersten Einstellungen, die den verlorenen Travis in der texanischen Wüste zeigen, zwischen Sand und zerklüfteten Felsen. Wenders verzichtete bei „Paris, Texas“ gegen seine Gewohnheit darauf, weitere Musik als die von Ry Cooder zu verwenden. Auch die anderen, zum Teil mexikanisch getränkten Instrumentalstücke fügen sich vollkommen organisch in die Bilderwelt von Wenders und seinem Kameramann Robby Müller, die hier Motels, Wüsten, Eisenbahnen, Straßen, Los Angeles und Houston (und die Orte dazwischen) so zeigen, als wäre es das allererste Mal.
DER HIMMEL ÜBER BERLIN (1987) Der Zirkus muss aus Geldmangel seine Zelte abbrechen. Die Trapezkünstlerin Marion (Solveig Dommartin) zieht sich desillusioniert in ihren Wohnwagen zurück und legt eine Platte auf: „Your Funeral… My Trial“ von Nick Cave & The Bad Seeds. Wir hören „The Carny“. „And no-one saw the carny go/ And the weeks flew by/ Until they moved on the show/ Leaving his caravan behind“. Der Song spricht Marion aus der Seele, sie singt mit. Am Ende des Films hört sie denselben Song bei einem Konzert der Bad Seeds wieder. Nachdem er verklungen ist, hören wir Caves Gedanken: „One more song and it’s over. But l’m not gonna teil you about a girl.“ Dann sagt er den nächsten Song an: „I’m gonna teil you about a girl.“ „From Her To Eternity“ erklingt.