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Rock’n’Roll für Teestuben mit Tischdeckchen: Die 30 schlechtesten Alben des zweiten Halbjahres 2015
Sehen Sie hier: Die zwischen August und Dezember veröffentlichten Alben mit den schlechtesten Bewertungen aus der ROLLING-STONE-Redaktion.
Bereits Anfang des Jahres warfen wir einen Blick auf das Unvermeidliche: schlechte Alben. 59 davon konnten wir damals in den Monaten Januar bis Juli ausmachen – in den Monaten August bis Dezember sind jetzt noch einmal 30 weitere Platten dazugekommen.
In die Liste sind alle Alben aufgenommen worden, die in den ROLLING-STONE-Ausgaben 8/2015 bis 01/2016 eine der drei Bewertungen bekommen haben: 1 Stern, 1,5 Sterne oder 2 Sterne.
Sehen Sie in der Galerie: Die schlechtesten Alben von August bis Dezember. Mit Neil Young , The Chemical Brothers , Joachim Witt , Cäthe und James Morrison .
Gloria: „Geister“. Harmlose Indie-Pop-Trivialitäten eine eigentlich hippen Duos – was Klaas Heufer-Umlauf und Mark Travassol im Angebot haben sind nur musikalische und textliche Klischees.
Wilson: „Right To Rise“. Das Quintett aus Detroit will beweisen, dass Rock’n’Roll noch lange nicht tot ist. Ihre Herangehensweise wirkt allerdings kalkulierter als die von Buckcherry – und weniger spaßig
The Chemical Brothers: „Born In The Echoes“. Das britische Big-Beat-Duo recycelt sich nur noch selbst. Nicht mehr als ein Echo.
Neil Young & Friends: „At Kedar Stadium, San Francisco, March 23, 1975“. Holpriger Radiomitschnitt des Gipfeltreffens von Young und Dylan. Eine Aufnahme von historischem, nicht aber von ästhetischem Wert.
Ben Folds: „So There“. Künstelei, Kitsch und bewährte Ironie: Der Mann am Klavier
hat jetzt ein „Concerto“ in drei „Movements“ geschrieben. Die Arrangements wirken ein bisschen zu ausgedacht und zu manieriert für die eigentlich zierlichen Songs. Statt der Raffinesse von Randy Newman oder des Schwelgens von Jimmy Webb – das überkandidelte Gesummse von Rondò Veneziano.
HeCTA: „The Diet“. Kurt Wagner experimentiert mit Elektronik – und scheitert kläglich. Dazwischen gibt’s reichlich Soundskizzen und Pseudosphärisches. Kommt sicher gut in Coworking Spaces.
Joachim Witt: „Ich“. Die Stücke auf „Ich“ sind gewohnt dunkel-
melancholisch, aber ein wenig milder als gewohnt. Der Sound erinnert mitunter an Spliff, gelegentlich jedoch auch an – tatsächlich – Marius
Müller-Westernhagen.
Fred Abbott: „Serious Poke“. Der Rolls-Royce auf dem Cover täuscht: Der Ex-Noah-And-The-Whale-Gitarrist eifert auf seinem ersten Soloalbum vor allem amerikanischen Vorbildern nach. Das Hemdsärmelrock-Pathos gemahnt unverkennbar an John Mellencamp.
Simon Love: „It Seemed Like A Good Idea At The Time“. Ein Song über seinen Schwanz („My Dick“), ein Song über „Motherfucker“ und einen aus der Sicht von Elton Johns Ex-Frau, Renate Blauel („Elton John“). Dazu Melodien à la Kinks, The Lovin’ Spoonful und Zombies aus dem Grundkurs „Wie schreibe ich einen witzigen Popsong?“.
Cœur de pirate: „Roses“. Dick aufgetragener Pop der
durchaus talentierten Kanadierin – eine verpasste Gelegenheit.
Naytronic: „Mister Devine“. Der Tune-Yards-Bassist mit detailverliebtem, sprödem Elektropop: Wenn EDM ein blitzendes Raumschiff ist, hat Nate Brenner auf seinem zweiten Album ein Gokart gesattelt, mit dem er rasant zwischen den Bezugspolen Beta Band und Hot Chip hin und her holpert.
Cäthe: „Vagabund“. Zweifellos ist das Dutzend Rocklady-Songs handwerklich gut gemacht. Die kann was, die Cäthe. Wenn das nur nicht alles so tantenhaft klingen würde. „Scheitern kann ich auch alleine“, singt sie. Es ist ihr nicht zu wünschen. Irgendwo gibt es auch dafür eine Zielgruppe. Rock’n’Roll für Teestuben mit Tischdeckchen.
Hurts: „Surrender“. Das Elektropop-Duo verirrt sich zwischen Glamour und Kitsch. Es gibt zwar immer wieder lichte Momente, wie die pluckernde Prince-Hommage „Lights“ mit großem Refrain oder das düster dräuende „Slow“. Doch in toto scheinen die Herren Anderson und Hutchcraft an imperialer Überdehnung zu leiden. Man könnte es auch Größenwahn nennen.
Rhodes: „Wishes“. Der Mann, der sich Rhodes nennt, kennt nur die Tonlage des ergriffen Fühlenden. Er liebt Balladen mit Klavierakkorden, verschwommenen Gitarrensounds, verzückten Refrains. „Wishes“ klingt, als ob der kitschigste Moment einer Coldplay-Schnulze so sehr in die Länge gezogen wurde, bis er für ein Dutzend Songs reichte.
The View: „Ropewalk“. Nach dem Alkohol- und Drogenentzug ihres Sängers Kyle Falconer setzen die Schotten wieder alles auf Punk und 70s-Powerpop. Stücke wie „Psychotic“ jedoch baden im alten Riff-Aufguss. Mehr Konterbier als Genesung.
Revolverheld: „MTV Unplugged in drei Akten“. Alles, was man gegen Revolverheld sagen kann, ist, dass man nichts gegen sie sagen kann. Nette Typen machen netten Radiorock, der von netten Leuten handelt und von sehr vielen, bestimmt auch netten Leuten gehört wird. Man kann ihnen einfach nicht böse sein. Man kann aber auch einnicken.
Killing Joke: „Pylon“. Allzu statischer Hybrid aus Industrial Metal und New-Romantic-Pose. Die Maschine läuft immer noch wie geschmiert, aber leer. Da sind noch ein paar attraktive Harmonielinien, aber die Holzhammerdramaturgie der Sechsminüter nimmt ihnen gleich wieder etwas von ihrer Wirkung.
The Common Linnets: „Il“. Richtig nach Country riechen auf „II“ nur die bittere Ballade „Dust Of Oklahoma“ und das starke Akustikstück „Days Of Endless Time“ samt den Session-Assen Paul Franklin (Pedal-
Steel) und Jerry Douglas (Dobro). Drumherum präferiert das Quartett Harmonies-satten AOR-Pop, der positiven Ausreißern wie „Soho Waltz“ und „As If Only“ zum Trotz nicht an seine Inspirationsquellen (Fleetwood Mac) heranreicht.
Jams Morrison: „Higher Than Here“. Sosehr er auch um Bedeutung ringt, James Morrison fehlen der mitreißende Pop-Appeal und die Funkiness von John Newman oder das Momentum von Adele. James Morrison bleibt im Plätschermodus. Nicht einmal hassen mag man ihn. Da hat James Blunt ihm etwas voraus!
Philipp Dittberner: „2:33“. In den Liedern des 25‑Jährigen schwingt mit, was viel neue deutsche Musik – von Andreas Bourani über Gloria bis zu Philipp Poisel – auszeichnet: „Was ist das nur für ein großes Leben?“, bebt sie ergriffen, während der Hörer mit einer wohlig-trägen Traurigkeit eingeseift wird. Für Teenager, die dramatisch an der Welt verzweifeln, weil es gerade regnet oder weil alles ja eigentlich auch viel besser sein könnte, chronische Melancholiker und andere trübe Tassen.
Helen Schneider: „Collective Memory“. Die US-Sängerin wagt noch einmal die großen
Divaposen, schwelgt in pathosüberfrachteten Balladen („Land Of Dreams And Plenty“) und Chansonähnlichem („Day By Day“). Komponiert hat diese schwülstigen Melodramen der deutsche Jazzmusiker Jo Ambros.
The Legends: „It’s Love“. Mit Club 8 und The Legends hat Johan Angergård bewiesen, wie man Synthpop und Noise-Elemente
ingeniös kombiniert. Doch dieses Album ist ein Totalausfall, Auto-Tune-Stimmen flimmern über beliebige Lounge-Musik.
Stacie Collins: „Roll The Dice“. Zu wenige wirklich einprägsame Songs und eine durchschnittliche Gesangspräsenz kompensiert Stacie Collins mit einer Attitüde, die dem akustischen Äquivalent einer kessen Lippe entspricht. Oder dem Posing im ’65er Ford Mustang. Für echte Kerle und Würfelspielliebhaber.
Newton Faulkner: „Human Love“. Die Wörter „Folk“ und „Seele“ können Sie getrost streichen: Cenzo Townshend hat das fünfte Album des Briten so produziert, dass die elf Songs mit entsprechendem Pathos sowohl im Irish Pub als auch im Stadion funktionieren, ohne wirklich zu berühren. Faulkners Tourneen werden wahrscheinlich von einer öde schmeckenden, den Weltmarkt beherrschenden Biermarke gesponsert. Zeit also für ein Craft Beer.
Library Voices: „Lovish“. Abgenutzte Garagen-Riffs, im Strokes-Stil retromanisch produziert, lassen die Platte wie ein völlig zu Recht vergessenes Werk der späten Siebziger klingen. Es gelingt den Kanadiern zu selten, bewährten Versatzstücken, derer sich alle anderen ja auch bedienen, neues, interessanteres Leben zu geben.
Ellie Goudling: „Delirium“. „Delirium“ zirpt, knallt und poltert, als hätte ein Computerprogramm das Album erstellt – und klingt so kalt wie die Zeile „You wanted my heart, but I just liked your tattoos“. Selbst Ellies tolle Stimme schrillt oft nur entfremdet und künstlich.
Fraktus: „Welcome To The Internet“. „Welcome To The Internet“ zeigt, dass es bei Fraktus keine Grenze nach unten gibt. Mehr als die „Saugetücher“-Fantasien von Strunk ist nicht zu erwarten: „Wenn mir auf der großen Konferenz einer abgeht … Saug auf!“ Dazu bolzt eine
sicher schwer ironisch gemeinte Mischung aus Schlager, Techno und Neuer Deutscher Welle, bis die nächste Runde Kleiner Feigling kommt.
The Corrs: „White Lights“. Früher gelangen den Geschwistern Corr Hits, die einem nicht mehr aus dem Kopf gingen – ob man wollte oder nicht. „White Light“, ihr erstes Album seit 2005, birgt keine einzige originelle Idee oder Melodie. Man könnte sagen, dass diese Stücke durch die Produktion totsterilisiert wurden, aber das würde bedeuten, dass einmal Leben in ihnen war.
Kate Boy: „One“. Wie schon ihre schwedischen Landsleute von The Knife schicken sich Kate Boy an, mehr Konzeptkunst als Unterhaltungsmusik zu sein. Doch um Schönheit und Inspiration in ihrem eintönigen, auf Hooks getrimmten Elektropop zu finden, braucht es einen Dancefloor und ein paar bewusstseinserweiternde Mittelchen.
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