Die 100 größten Musiker aller Zeiten: Die Essays Platz 70 bis 61
ROLLING STONE präsentiert: Die 100 größten Musiker und Bands aller Zeiten. Essays u.a. von Justin Timberlake, Brandon Flowers, Janet Jackson, Rod Stewart.
Rund 50 Jahre nachdem Elvis in den Sun-Studios „That’s All Right“ einspielte, hat der ROLLING STONE das erste halbe Jahrhundert des Rock’n’Roll im großen Stil gefeiert. 2004 baten wir ein Gremium aus 55 Musikern, Autoren und Plattenfirmen-Managern, die einflussreichsten Musiker dieser Ära auszuwählen. Die Liste der 100 Musiker, die 2011 aktualisiert wurde, ist ein Beitrag zur Rock-Historie. Sie umfasst die Beatles ebenso wie Eminem. Sie reicht vom Rock-Pionier Chuck Berry bis zum Blues-Mann Howlin’ Wolf.
Die Essays über die 100 Besten stammen aus prominenter Feder: Ezra Koenig von Vampire Weekend zollt dem Rapper Jay-Z Tribut. Britney Spears verneigt sich vor „Godmother“ Madonna. Rock’n’Roll hat eine glorreiche Vergangenheit.
Lesen Sie hier, die Plätze 70 bis 61.
the_police_-_outlandos_d_amour-front-web.jpg 70. The Police
Von Brandon Flowers
Oscar Wilde sagte einmal, dass ein Künstler dann erfolgreich ist, wenn das Publikum seine Werke nicht mehr versteht – sie aber trotzdem liebt. Folgt man dieser Vorgabe, waren The Police ein extremer Erfolg. In Amerika laufen sie auf den Pop- und Classic-Rock-Stationen rauf und runter, und deutsche Radiosender werden sie vermutlich auch in hundert Jahren noch spielen. Gleichzeitig waren sie unglaublich smart und operierten auf verschiedenen Bedeutungsebenen. Man verliebte sich in einen ihrer Songs – und stellte dann ein Jahr später fest, dass er eigentlich eine ganz andere Bedeutung hatte.
„Every Breath You Take“ ist ein gutes Beispiel: Die Nummer ist unglaublich catchy und wird auch gern auf Hochzeiten gespielt, handelt aber tatsächlich von einem Stalker. Und „Roxanne“ dreht sich nun mal um eine Nutte: Es geht nicht darum, dass Sting sie liebt und ihr Herz bricht, sondern schlicht um ihre Existenz als Nutte. Und wir alle dürfen uns glücklich schätzen, dass intelligente Songs wie „Message In A Bottle“, „Walking On The Moon“ oder „King Of Pain“ Teil unseres Lebens wurden. Mein liebster Song ist „Don’t Stand So Close To Me“, der die Beziehung zwischen einem Lehrer und seiner Schülerin behandelt. Dieser Ansatz, eine Geschichte zu erzählen, ist in der Popmusik leider rar geworden.
Natürlich waren sie auch beeindruckende Musiker. Sie waren schon Profis, als sie sich in den Punk-Jahren auf den Weg machten und dann ihre ganz eigene Nische fanden. Ich liebe es, wie sie zum Beispiel Reggae integrierten. Bands wie The Clash hatten schon vor ihnen Punk mit Reggae verbunden, aber sie spielten ihn ganz befreit und ungeniert. Sting spielte Bass und sang, was eine eher ungewöhnliche Kombination ist. Auf diese Weise hatte er aber seinen Daumen auf der Rythmussektion und war gleichzeitig für die Melodie-Abteilung zuständig. Stewart Copeland ist ein begnadeter Drummer. Andy Summers hat eine großartige Technik und ein ebenso ausgeprägtes Verständnis für die Aufgabe einer Rhythmus-Gitarre. Es ist wirklich ein Wunder, dass sich so viele Bands mit einem bombigen Groove aus spindeldürren Engländern rekrutierten.
The Police reiften schnell – und alle Bands sollten sich diese Lektion hinter die Ohren schreiben: Im Kopf muss man den nächsten Schritt immer schon gemacht haben.
Photo of Jackie Wilson UNSPECIFIED – CIRCA 1970: Photo of Jackie Wilson Photo by Michael Ochs Archives/Getty Images IM 69. Jackie Wilson
Von Peter Wolf
Er war die Schlüsselfigur, um den Übergang zwischen klassischem R&B und seiner neuen Inkarnation, dem Soul, auf den Weg zu bringen. Selbst Elvis Presley wusste, warum Wilson „Mr. Excitement“ genannt wurde: Mir wurde erzählt, dass sich Elvis am liebsten unterm Tisch verkrochen hätte, wenn Wilson auf der Bühne seine Show abzog.
Die spektakulärste Show, die ich selbst erlebte, war im Apollo in Harlem, irgendwann um 1960. In seinem schneeweißen Anzug kam er auf die Bühne und breitete die Arme aus, als wolle er das ganze Publikum umarmen. Er sang die ersten Noten von „Doggin’ Around“ – und schon lagen ihm die Frauen zu Füßen. Selbst seine beiläufigen Handbewegungen waren hypnotisch, und wenn er zu tanzen anfing, konnte man einfach nicht mehr wegschauen. Unter den Zuschauern waren Frauen, die wussten, was sie wollten. Und sie wollten Jackie Wilson.
Er hatte das Talent, einer der ganz Großen zu werden, aber dann endete sein Leben wie in einem billigen Film noir: Es gab Gewalttätigkeiten – einmal schoss ihn eine ausgeflippte Frau an –, es gab Steuerprobleme, Drogen, Scheidung und dunkle Drähte zur Mafia. Bei einem Auftritt in New Jersey hatte er einen Herzinfarkt und verletzte sich beim Sturz am Kopf. Er lag acht Jahre lang im Koma, bis er schließlich 1984 starb.
Ich hatte die Ehre, Jackie Wilson in die Rock and Roll Hall of Fame einführen zu dürfen. Als ich hinter der Bühne wartete, um meine Laudatio zu halten, kamen drei Frauen auf mich zu, die sich darum stritten, wer auf die Bühne kommen könne, um den Award für Wilson in Empfang zu nehmen. Selbst in seinem Tode fand Mr. Excitement keine Ruhe.
The Temptations – Milestone The Temptations – Milestone The Temptations – Milestone Motown / Universal 68. The Temptations
Von Rod Stewart
Ende der sechziger Jahre war ich mit meinen Eltern im Urlaub, als ich zum ersten Mal „I Wish It Would Rain“ hörte. Ich lebte in England, wo es bekanntlich ständig regnet. Und ich verliebte mich in David Ruffins Tenor: Er donnerte aus den Lautsprechern und nahm mein Herz im Sturm.
Ob nun Ruffin den Leadgesang übernahm oder Dennis Edwards oder Eddie Kendricks oder Paul Williams: Die Tempts waren als Vokalisten eine All-Star-Band. Im Laufe der Sechziger und Siebziger hatten sie mit ihren Hits einen unglaublichen Lauf: „My Girl“, „The Way You Do The Things You Do“, „Ain’t Too Proud To Beg“, „Just My Imagination“. Später wagten sie sich dann mit „Cloud Nine“ ins psychedelische Soul-Revier.
Als ich aus dem Urlaub zurückkam, kaufte ich mir umgehend „Wish It Would Rain“. Ich war damals mehr an Folk interessiert und öffnete gerade die Tür zum R&B – und ich erinnere mich noch, wie ich fasziniert das Cover anstarrte, wo sie als Fremdenlegionäre in der Wüste sitzen. Ihre Outfits waren eigentlich immer klasse; sie sind dafür verantwortlich, dass ich zu etwas schrillen Farben neige. Und auch mit ihrer Bühnenshow waren sie ganz weit vorn: Niemand bewegte sich wie die Tempts.
Ich freundete mich später mit David Ruffin an. Als unsere Bands gleichzeitig in Detroit auftraten, kam David zu jeder Show und sang mit mir „(I Know) I’m Losing You“, ein Temptations-Cover von „Every Picture Tells A Story“. Er hatte eine unglaubliche Stimme – wie das Nebelhorn auf der Queen Mary.
Meine Kinder wuchsen mit den Temptations auf und schlossen sie ebenso ins Herz wie ich. Wann immer sie in L.A. spielten, gingen wir zu ihrer Show. Sie ließen dann immer einen Scheinwerfer auf mich richten und baten mich, auf die Bühne zu kommen. Ich hab’s immer abgelehnt. Ich hatte einfach zu viel Schiss.
Cream.jpg Cream – Cream At The BBC Cream – Cream At The BBC Polydor 67. Cream
Von Roger Waters
Ich war in meinem dritten Jahr auf der School of Architecture am Regent Street Polytech, wo ich auch Nick Mason und Rick Wright kennengelernt hatte. Am Ende eines Semesters gab es immer ein Konzert, und diesmal waren Cream engagiert.
Der Vorhang ging auf, und die drei legten mit „Crossroads“ los. Ich hatte so was in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt. Ich war überwältigt von dem Equipment, das sie auf die Bühne geschafft hatten: Ginger Bakers doppelte Bass-Trommel, die riesigen Marshall-Amps von Jack Bruce und all die Spielzeuge, die Eric Clapton mitgebracht hatte. Es war visuell wie akustisch eine unfassbare Detonation.
Nach etwa zwei Dritteln des Sets sagte einer von ihnen: „Wir möchten gerne einen Freund aus Amerika auf die Bühne holen.“ Es war Jimi Hendrix, der an diesem Abend zum ersten Mal in England auftrat. Er kam und holte all die Tricks aus dem Zylinder, die ihn später berühmt machen sollten, spielte mit den Zähnen und lieferte die große Show.
Wenig später gingen wir mit Pink Floyd professionell auf Tour – und sollten bei Auftritten auch mehrfach auf Cream treffen. Es waren so viele, die von ihnen beeinflusst wurden. Jimmy Page muss sie sich angeschaut und dann den Entschluss gefasst haben: „Fuck, das mache ich auch.“ Neben den Beatles waren es Cream, die damals den neuen Bands die Gewissheit gaben, dass man populär sein konnte, ohne gängigen Pop zu machen.
Ich erinnere mich, dass Ginger Baker schon damals ein verrückter Hund war. Er schlug härter auf seine Drums als jeder andere, Keith Moon vielleicht ausgenommen. Und Ginger spielte Rhythmen, die nur er spielen konnte. Über Clapton muss man nicht sprechen – jeder weiß, wie außergewöhnlich er ist. Und Jack Bruce ist wahrscheinlich der musikalisch begabteste Bassist, den ich je erlebt habe.
Ich sah Cream im Kontext der Musik, die damals von der amerikanischen Westküste kam – Bands wie die Doors und Love: Innovation war das erste Gebot, und Cream waren zwar auch eine großartige Blues-Band, versuchten sich aber gleichzeitig an den verschiedensten Stilen. Einiges davon mag heute etwas seltsam klingen, aber Songs wie „Crossroads“, „Sunshine Of Your Love“ und „White Room“ beeindrucken mich noch immer. Ihr Ziel war es, Material zu spielen, das sich jeglicher Einordnung entzog. Und weiß Gott: Sie erreichten ihr Ziel.
AlGreen.jpg Al Green Lets Stay Together Artwork Al Green Lets Stay Together Artwork Demon / Edsel (Soulfood) 66. Al Green
Von Justin Timberlake
An der Überbevölkerung ist Al Green nicht ganz unschuldig: Seine Musik ist Liebesnächten mit Folgen mehr als zuträglich. Aber was ihn wirklich zu einer Inspiration für mich machte, waren seine ungefilterte Leidenschaft, seine emotionale Direktheit und die Begeisterung, mit der er in seiner Musik aufgeht. Es gibt Menschen, die für bestimmte Tätigkeiten prädestiniert sind – Al Green wurde geboren, um uns ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Ob es nun „You Ought To Be With Me“, „I’m Still In Love With You“, „Love And Happiness“ oder, nicht zu vergessen, „Let’s Stay Together“ ist: Wann immer der Beat beginnt und die Gitarre einsetzt, weiß man, dass man reich beschenkt wird. Seine Songs waren jedoch nie so politisch wie die von Marvin Gaye oder Donny Hathaway.
Seine Stimme wird mich immer daran erinnern, wie ich mit meinen Eltern über die Landstraßen in der Umgebung von Memphis fuhr. Wir spielten Musik vom Kassettenrekorder, und jedes Mal, wenn ich Al hörte, überkam mich der Wunsch, selbst Sänger zu werden. Seine Stimme war der Beweis, dass es auch völlig okay war, mit einer weicheren Falsett-Stimme gesegnet zu sein. Das war mir wichtig, weil ich nun mal nicht das kernig-röhrende Organ besaß, um bei „American Idol“ abzuräumen. Al war der geborene Crooner. Die Art und Weise, wie er eine Note dehnte und drehte, konnte man weder imitieren noch lernen.
Und hinter ihm stand diese wundervolle Band. Auf Songs wie „Tired Of Being Alone“ sind die Bläser dezent und drängen sich nie auf, bleiben aber immer funky. Und ich liebte die Tatsache, dass man die kleinen Unsauberkeiten auf diesem Album gar nicht erst zu vertuschen suchte.
Irgendwann fand ich heraus, dass der Mann eigentlich direkt in meiner Nachbarschaft lebte. Jahre später durfte ich einmal ins Weiße Haus (als Clinton Präsident war), und Al sang dort Sam Cookes „A Change Is Gonna Come“. Das Publikum ließ den Tränen freien Lauf. Nachdem ich mein erstes Soloalbum veröffentlicht hatte, musste ich für ein TV-Special nach Memphis, und ich rief ihn an und fragte, ob er mir die Ehre erweisen würde, auf die Bühne zu kommen. Wir sangen „Let’s Stay Together“, und es war der Höhepunkt in meiner bescheidenen Karriere.
RS-ART-PIC-2003-08-096-011 The Kinks – Face To Face The Kinks – Face To Face 65. The Kinks
Von Peter Buck
Auf meinem iPod habe ich so ziemlich jede Note, die die Kinks je aufgenommen haben, zumindest bis 1980. Die Kinks waren meines Wissens die einzige große 60s-Band, die nicht auf den psychedelischen Zug aufsprang, die sich nicht auf den seltsamen Murks einließ, der zeitweise in Mode war. Während seine Zeitgenossen Songzyklen über östlichen Mystizismus vertonten, schrieb Ray Davies über Sozialwohnungen in einer englischen Vorstadt. Er beschäftigte sich mit Dingen, die ihm am Herzen lagen. Er erfand seine kleine Welt und füllte sie mit Leben. Und in dieser Welt trug man nicht Nehru-Jacken, rauchte kein Pot und machte auch keine ganztägigen Jamsessions.
Als ich 1971 zum ersten Mal „Village Green Preservation Society“ hörte, stellte ich mir das typische Leben in einer britischen Kleinstadt vor: Parkanlagen, Bier vom Fass… Als wir 1985 mit R.E.M. nach England kamen, machte ich einen Trip durch Muswell Hills – und es war alles andere als romantisch. Ich hatte mir ein Postkartenidyll ausgemalt, aber es war in Wahrheit ziemlich runtergekommen. Und dann wurde mir klar, dass all diese Songs Rays Fantasie entsprangen, dass er ein England verewigen wollte, das längst in Auflösung begriffen war. Kein Wunder, dass viel Tristesse in diesen Songs mitschwingt.
Ich bin erstaunt, wie gut Kinks-Platten noch immer klingen – auch wenn man bei genauerem Hinhören feststellt, dass im Detail eigentlich wenig passiert. „Village Green“ ist das beste Beispiel: Anders als die meisten Platten aus dieser Zeit ist die Aufnahme nicht mit allen erdenklichen Instrumenten überladen. Und trotzdem sind die Songs wunderbar arrangiert. „You Really Got Me“ schrieb Ray am Klavier und gab den Song dann seinem Bruder Dave, der daraus eine wüste Gitarrenorgie machte. Ich las einmal ein Interview, in dem Dave gefragt wurde, ob die Kinks in den Achtzigern eine Heavy-Metal-Band geworden seien. Er sagte: „Man nannte es nicht Heavy Metal, als ich es erfand.“
Die Kinks haben den Hintereingang der Rockgeschichte genommen. All diese wundervollen Alben, über die wir heute reden – „Face To Face“, „Something Else By The Kinks“, „Village Green“ – waren in den Sixties Ladenhüter. Aber diejenigen unter uns, die diese Platten lieben, lieben sie schon seit Jahrzehnten.
065.jpg Phil Spector Back to Mono HIGH RESOLUTION COVER ART 64. Phil Spector
Von Jerry Wexler
Es gibt drei Kategorien von Musikproduzenten. In der ersten befinden sich die Dokumentaristen wie etwa Leonard Chess, der in eine Bar auf Chicagos Southside geht, Muddy Waters mit seiner sechsköpfigen Gruppe sieht, sie am nächsten Tag ins Studio holt und ihnen sagt: „Spielt das Gleiche, was ihr gestern Abend gespielt habt.“
Zur zweiten Kategorie zählen Produzenten, die sich selbst in den Dienst des Künstlers stellen. Dazu gehören John Hammond, Ahmet und Nesuhi Ertegun oder Bob Thiele: Musikfans, die versuchen, das Beste aus einem Musiker herauszuholen.
Und dann ist da der Produzent, der das Rundumpaket anbietet – und Phil Spector dürfte in dieser Kategorie ganz vorn in der ersten Reihe stehen. Für Spector waren Song und Aufnahme zwei Seiten einer Medaille, und beide existierten in seinem Kopf. Jedes Instrument hatte seine präzise Rolle, und alles war vorher minutiös festgelegt.
Songs wie „You’ve Lost That Lovin’ Feelin’ “ von den Righteous Brothers oder „River Deep, Mountain High“ von Ike und Tina Turner wurden natürlich von fantastischen Sängern interpretiert, aber sie waren trotzdem nur eine Facette des Gesamtkunstwerks. Phil bereitete den Track vor, lud den Sänger ins Studio und sagte: „Nun los, sing!“
Als ich ihn kennenlernte, war er noch sehr jung; er schlief auf dem Sofa des Atlantic-Office. Er war kess, eingebildet, aber auch fraglos sehr talentiert. Ich erinnere mich daran, dass ich im Studio einen Vorschlag machte und er nur sagte: „Oh Mann, ich bin eigens aus Kalifornien hierhergekommen, um Hits zu machen.“ Was so viel bedeutete wie: „Halt den Mund und verzieh dich.“ Aber wie Dizzy Dean immer sagte: „Wenn du’s draufhast, kannst du ruhig prahlen.“ Und Phil hatte es drauf: Er spielte Klavier und Gitarre, komponierte und produzierte.
ME-ART-PIC-1996-11-079-003 Tina Turner – The Acid Queen Tina Turner – The Acid Queen 63. Tina Turner
Von Janet Jackson
Sie ist mehr als nur Superstar und Sexsymbol. Für mich steht Tina Turner für überleben und für die Anmut, mit der sie diesen Kampf geführt und gewonnen hat. Man erinnere sich an die berühmte Einleitung zu „Proud Mary“, wo sie davon spricht, dass sie es „nice and … rough“ liebe. Wir alle wissen, dass Tina Turner in ihrem Leben mit einigen extrem roughen Momenten konfrontiert war. Aber was immer das Schicksal ihr ans Bein band: Sie hatte ihr Leben im Griff. Einer ihrer größten Hits war „We Don’t Need Another Hero“, doch tatsächlich war sie es, die für viele Menschen dieser Held wurde. Es scheint, als habe ihre Geschichte keinen Anfang und kein Ende; ihre Musik war immer da – und sie wird auch immer bleiben.
Ihr Leben mit Ike Turner, der Aufstieg und Fall, ist ausführlich dokumentiert; man kann es im Film „What’s Love Got To Do With It“ hautnah nacherleben. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass dieses Kapitel endgültig der Vergangenheit angehören sollte. Als Tina in den Achtzigern ihr Comeback feierte, nahm ihr Erfolg nun mal ungleich größere Dimensionen an. Im Mittelpunkt ihrer Geschichte steht nicht die Opferrolle, sondern der Triumph.
Am Anfang ihrer Karriere ging es um schwere Zeiten und eine ungeschminkte Realität – man denke nur an einen Song wie „Nutbush City Limits“; das war ihre Geschichte. Aber im Laufe der Jahre nahm diese Geschichte eine andere Gestalt an – und ihre Musik reflektierte die Veränderungen. Tina hat die Gabe, zu träumen und diese Träume Wirklichkeit werden zu lassen.
joni_mitchell_-_for_the_roses_-_front.jpg 62. Joni Mitchell
Von Jewel
Sie ist kein Star, sie ist eine Ikone. Ihr Einfluss fand nicht auf der Oberfläche statt, aber sie beeinflusste Menschen, die später ins Rampenlicht rückten.
Ich erinnere mich daran, wir mir ein Freund auf der Highschool „A Case Of You“ von „Blue“ vorspielte. Ich wusste sofort, dass sie eine Malerin war – allein dadurch, wie sie ihre Worte setzte. Sie beschreibt Gerüche und Klänge und benutzt dabei wenige Worte, transportiert aber so umso mehr Gefühle. Ihre Melodien sind visuelle Figuren, und ihre Verse bewegen sich auf einem steil abfallenden Plateau. Eine der Lektionen, die ich von Joni gelernt habe: Wenn man eine Geschichte erzählt und die Handlung nach weiteren Strophen verlangt, gibt es keinen Grund, voreilig zum Chorus zurückzukehren.
In diesem Punkt sind ihre Texte näher am Journalismus: Auf „Blue“ erfährt man alles, was sie erlebt hat – die Höhen und die Tiefen. Sie steht immer einen Schritt neben sich und beobachtet – und man braucht schon eine Menge Mut, um seine Beobachtungen so explizit auszudrücken, vor allem als Frau. Zu ihrer Zeit gab es halt gewöhnlich nur Zuckerwatte: Hübsche junge Mädchen sangen über hübsche, nichtssagende Sachen.
Joni hatte eine mentale Schärfe, die den meisten Frauen unbekannt war. Sie stellte ihre Weiblichkeit nie in den Mittelpunkt, obwohl sie eine ausgeprägte Sexualität besaß. Aber sie sah keinen Anlass, diesen Teil ihrer Person zu verdrängen, nur um ernst genommen zu werden. Sie zerrte ihn allerdings auch nie gewaltsam in den Vordergrund.
2013 Toronto International Film Festival – Alternative Views TORONTO, ON – SEPTEMBER 09: (EDITOR’S NOTE: Image has been converted to black and white) (L-R) James Hetfield, Lars Ulrich, Kirk Hammett and Robert Trujillo of Metallica pose for a portrait during the 2013 Toronto International Film Festival on September 9, 2013 in Toronto, Canada. (Photo by Mike Windle/Getty Images) mw/rd 61. Metallica
Von Flea
Es war 1984, ich war mit meiner Band irgendwo auf Tour in Amerika. Wir hatten uns mitsamt des Equipments in unseren kleinen Van gequetscht. Es regnete, wir waren müde, wir waren schon lange auf Achse. Und plötzlich – es muss 3 oder 4 Uhr morgens gewesen sein – kommt im Radio diese Musik. Ich wollte nicht glauben, dass so etwas überhaupt existierte. Diese wundervolle Brutalität, die anders als alles andere war, blies mir das Hirn weg.
Es war kein Punk, es war kein Heavy Metal. Es war präzise, explosiv und heftig. Es war aggressiv und intensiv und hatte wilde, bizarre Rhythmuswechsel. Und trotzdem hielt der gottverdammte Song alles zusammen. Am Ende sang ich ihn bereits mit, obwohl er nun wirklich keine Elemente eines üblichen Popsongs verwendete. Die Nummer hieß „Fight Fire With Fire“ – und sie öffnete mir die Tür zu einer Naturgewalt namens Metallica.
Als sich Metallica 1981 auf den Weg machten, wählten sie nicht die gängige Route zum Erfolg. Ich weiß nicht, ob sie damals Stars werden und Myriaden Platten verkaufen wollten, aber wenn ja, stellten sie es nicht gerade besonders geschickt an. Glaubten sie etwa, sie könnten mit „Kill ’Em All“, ihrem Debütalbum, in den Top-40-Playlists der amerikanischen Radiostationen landen? Und „(Anesthesia) Pulling Teeth“ musste als Hit-Single doch offensichtlich ein Selbstläufer sein: Fünfminütige Bass-Soli sind nun mal der Freifahrtschein zum kommerziellen Erfolg.
Aus Sicht eines Bassisten ist der Song einer der Höhepunkte in der Geschichte der Rockmusik. Aber letztlich war jedes Cliff-Burton-Solo ein beseeltes, psychedelisches, headbangendes Statement, das deine Welt aus den Fugen warf, dein Hirn elektrisierte und eine Halle zum Rocken brachte. Es sind wundervolle Musik-Artefakte, gespielt von einem jungen Mann, der auch als Mensch ein Meisterwerk war. Ich kann keine Metallica-Platte hören, ohne an ihn denken zu müssen. Und es scheint offensichtlich, dass das, was er der Band gegeben hat, noch immer in Metallica weiterlebt.
Die Tatsache, dass Metallica einen Weg in die Welt gefunden haben, ist ein Wunder. Sie sind eine Hausmarke geworden, ohne auf den Mainstream zu schielen. Es ist Musik von und für Outsider, und dass sie damit durchgekommen sind, ist einfach sensationell. Wenn ich Metallica höre, habe ich immer den Eindruck, als spielten sie, weil sie gar nicht anders können.
Irgendetwas scheint in ihrem Innern so geknebelt und festgezurrt zu sein, dass sie es mit einem lauten Knall rauslassen müssen – eine unterirdische Quelle der Verzweiflung, ein Höllenfeuer aus Schmerz und Wut, aber wohl vor allem die Liebe zu dem Prozess, der diese Energien kanalisiert. Für Leute, die sich von Metallica rocken lassen, ist die Welt ein weniger einsamer Ort. Es ist eine Erfahrung, die sich einer verbalen Beschreibung widersetzt, aber ich kann mich davor nur verbeugen.
Der Schmerz kann die Muse für große Kunst sein. Er ist ein Initiationsritus für jeden Künstler – und er ist eine Erfahrung, die uns als Beobachter alle berührt. Jeder, der einmal bei einer Metallica-Show war, geheadbangt und die Teufelshörner gezeigt hat, war Teil etwas Größerem. Ein paar Stunden auf dem brutalen Beat von Metallica abzurocken ist sicher genauso gesundheitsfördernd wie mentales Training, Gruppen-Meditation oder ein Love-in.
Metallicas Karriere ist ein großer, schwerer Ozeanriese, und er hat sie bis an den letzten Ort der Erde gebracht. Sie haben bei null angefangen und inzwischen die Welt gerockt. Sie sind radikal! Ihre Musik ist verboten gut! Und sie sind auf ihrem Weg noch nicht am Ende. Was immer man ihnen zwischen die Beine wirft, macht sie nur noch stärker. Sie sind Familie. Und sie sind auch heute noch so intensiv, wie sie’s am Anfang waren.