Die 100 größten Musiker aller Zeiten: Die Essays Platz 40 bis 31
ROLLING STONE präsentiert: Die 100 größten Musiker und Bands aller Zeiten. Essays u.a. von Britney Spears, Lou Reed, James Taylor und Kris Kristofferson.
Rund 50 Jahre nachdem Elvis in den Sun-Studios „That’s All Right“ einspielte, hat der ROLLING STONE das erste halbe Jahrhundert des Rock’n’Roll im großen Stil gefeiert. 2004 baten wir ein Gremium aus 55 Musikern, Autoren und Plattenfirmen-Managern, die einflussreichsten Musiker dieser Ära auszuwählen. Die Liste der 100 Musiker, die 2011 aktualisiert wurde, ist ein Beitrag zur Rock-Historie. Sie umfasst die Beatles ebenso wie Eminem. Sie reicht vom Rock-Pionier Chuck Berry bis zum Blues-Mann Howlin’ Wolf.
Die Essays über die 100 Besten stammen aus prominenter Feder: Ezra Koenig von Vampire Weekend zollt dem Rapper Jay-Z Tribut. Britney Spears verneigt sich vor „Godmother“ Madonna. Rock’n’Roll hat eine glorreiche Vergangenheit.
Lesen Sie hier, die Plätze 40 bis 31.
RS-ART-PIC-2009-02-129-002Simon & Garfunkel – BookendsSimon & Garfunkel – Bookends40. Simon & Garfunkel
Von James Taylor
Ich weiß noch, wie mein älterer Bruder Alex und mein jüngster Bruder Hugh beide mit Simon-&-Garfunkel-Alben nach Hause kamen. Die Musik klang völlig eigenständig, weit weg von allem, was es damals sonst gab. Simon and Garfunkel brachten etwas Neues in die Musik: sich selbst.
All die Jahre – ob sie nun gerade zusammen waren oder nicht – blieben sie eine treibende Kraft in der amerikanischen Musik und Kultur. Ihr Einfluss war gewaltig. Sie brachten einige der wichtigsten Jahre in unserem Leben auf den Punkt. Man denke nur, wie gut ihre Songs im Film „Die Reifeprüfung“ funktionierten – das waren Songs, die eine ganze Generation ansprachen, in einem Film, der ebenfalls für eine ganze Generation sprach.
Paul Simon war schlicht immer einer unserer besten Songwriter. Der Durchbruch gelang ihm zu einer Zeit, als unglaublich viel in der Luft lag, und so wurden viele seiner Songs als Hymnen aufgegriffen. Er kreiert eine ungewöhnlich reiche und lebendige Welt, und er hat eine so vielfältige Palette; von ganz einfachem, elementarem Folk wie „Scarborough Fair“ bis hin zu späteren Songs, die viel kunstvoller sind – „Something So Right“ oder „Still Crazy After All These Years“. Und Art Garfunkel hat halt eine dieser ganz seltenen, großen Stimmen, die würde ich jederzeit nach einem halben Takt erkennen. Ich konnte im Lauf der Jahre mit beiden arbeiten – das erste Mal mit Art bei einem Song von mir namens ,,A Junkie’s Lament“. Art macht sich einen Song zu eigen, wie das Louis Armstrong auch tat. Man kriegt nicht nur seine Version eines Songs – man kriegt seine Sichtweise. Es ist bewegend, sie nach all den Jahren wieder zusammen singen zu sehen. Diese Art von Partnerschaft ist wie eine Ehe, nur schwieriger und öffentlich. Zwei willensstarke Individuen, die sich diesen engen Raum teilen. Ich war viel bei Apple Records, als sich die Beatles auflösten, und man merkt, dass es ein übliches Muster ist. Vielleicht ist es deshalb so inspirierend zu sehen, wie die beiden noch mal eine Tour wie die letzte hinkriegen.
David_Bowie-David_Bowie-Frontal.jpg39. David Bowie
Von Lou Reed
David Bowies Beitrag zum Rock’n’Roll: Witz und Sophistication. Er ist clever, aber er ist auch ein wahrer Musiker, und er kann wirklich singen. Und das mit einer riesigen Spannbreite: Ich mag den Ton von Ziggy Stardust, aber David hat noch ganz andere Stimmen. Selbst die eines Crooners, wenn er will. Und einen Sinn für Melodie, an den niemand sonst im Rock’n’Roll rankommt. Manche seiner Melodien könnten die meisten überhaupt nicht singen.
Androgyn waren viele im Rock, angefangen mit Little Richard, aber David hat dem Ganzen seine eigene Patina verliehen, um’s mal vorsichtig auszudrücken. Er hat sich über die Figur des Ziggy lange Gedanken gemacht. Er ging zum Schauspielunterricht, und nicht nur zum Spaß. Bühne ist Handwerk, das wusste er, und das nahm er ernst. Er machte eine ganze Show aus dieser Figur – und dann ließ er sie hinter sich. Ziemlich schlau. Stellt euch vor, er hätte immer weiter den Ziggy geben müssen. Ich meine, wenn man sich nach Publikum und Kritikern richten würde, müsste man dieselben vier Songs in alle Ewigkeit spielen. David dagegen schlüpfte in andere Rollen, wie den Thin White Duke. Und als er sich auf Alben wie „Young Americans“ am amerikanischen Soul versuchte, gelang ihm auch das unglaublich gut – die Songs, die er dafür schrieb, waren hervorragend.
Ich kann unmöglich eine Lieblingsplatte angeben, das hängt zu sehr von meiner Stimmung ab. Aber ich mag alle seine Dance-Alben. „Ziggy Stardust“. Seit jeher auch „Bewlay Brothers“ von „Hunky Dory“. Und die Alben, die er mit Brian Eno gemacht hat, sind phänomenal. Er verändert sich ständig, darum wird einem mit seinen Sachen auch nie langweilig. Und das gilt bis heute: „The Loneliest Guy“ auf seinem jüngsten Album „Reality“ ist ein toller Song. Einer mehr.
Wir sind nach all den Jahren immer noch Freunde, erstaunlich eigentlich. Hin und wieder gehen wir zusammen ins Museum oder in eine Ausstellung, und ich arbeite gerne mit ihm. Ich hab ihn hier in New York bei seiner letzten Tour spielen sehen, das war eine der tollsten Rock- Shows, die ich je erlebt habe. Zumindest was weiße Musiker angeht. Ganz im Ernst.
RS-ART-PIC-2005-07-113-005John Lennon – Mind GamesJohn Lennon – Mind Games38. John Lennon
Von Lenny Kravitz
Die Beatles liebte ich schon als Junge, aber auf den Solo-Lennon wurde ich erst aufmerksam, als ich mein erstes Album „Let Love Rule“ aufnahm. Mein zukünftiger Manager hörte sich die Demos meiner frühen Songs an und sagte: „Hast du schon mal John Lennons ,Plastic Ono Band‘ gehört? Deine Sachen klingen nämlich genauso.“
Also kaufte ich mir „Plastic Ono Band“ und hörte monatelang kaum etwas anderes. Ein monumentales, geniales Werk. Ich war überwältigt, wie minimal und wie expressiv diese Musik war. Lennon hatte gerade seine Urschreitherapie beendet und ließ einfach alles raus – den Verlust seiner Mutter, die Beatles, wer er war. John Lennon kam gerade aus der größten Band der Welt, und in der Position würden die meisten sagen: „Wie kann ich oben bleiben? Ich will von diesem Podest nicht runter.“ Ihm war das egal. Er zog sich fürs Cover von „Two Virgins“ splitternackt aus und ließ seinen Schwanz raushängen.
Auf „Plastic Ono Band“ war auch die Musik nackt. Lennon ging nur mit Bass, Gitarre und Schlagzeug ins Studio und machte eine ganz rohe Platte. Die Attitüde und die Emotionen dieses Albums sind härter und direkter als jeder Punkrock. Die Ehrlichkeit der Musik machte mich zu seinem Fan – ich fand ihn noch besser als die Beatles. Es inspirierte mich. Dadurch wollte ich auch in meinen eigenen Songs noch tiefer gehen.
Als Gitarrist hatte Lennon ein Wahnsinnsfeeling – daneben verblasst jede noch so ausgefuchste Fingerfertigkeit. Er war niemals ein Virtuose, kein Jimi Hendrix, aber wenn man sich die frühen Beatles-Platten anhört, da passieren richtig raffinierte Dinge zwischen ihm und George Harrison. Einer meiner liebsten Lennon-Tracks ist „How Do You Sleep?“ – die Gitarre ist unglaublich funky. Die meisten Leute haben inzwischen vergessen, dass Lennon „Fame“ mit David Bowie zusammen geschrieben hat. Er hatte eben auch eine echt coole und funky Seite.
Wäre er heute noch da, würde er sich, glaube ich, für HipHop interessieren. Die Verbindung gegensätzlicher Kulturen hätte ihn wahrscheinlich gereizt. Lennon war viel mehr als nur ein Musiker, er war ein Prophet. Er machte seine politischen Ansichten deutlich, er wandte sich gegen Krieg und Gewalt, selbst wenn er dafür von der Regierung verfolgt und malträtiert wurde. „Imagine“ ist für mich einer der größten Songs überhaupt, wie eine Kirchenhymne, und er macht unmissverständlich klar, woran Lennon glaubte. Vor allem war Lennon eine Ikone des Friedens. Davon gibt es heute leider nicht mehr viele.
Roy_Orbison-bluesky.jpgThere is only one Roy OrbisonThere is only one Roy Orbison CoverCol (Sony Music)37. Roy Orbison
Von K.D. Lang
Roy Orbison kam mir immer vor wie ein Baum: passiv und schön, aber extrem robust. Er war auf eine Art bescheiden, sensibel und sanft, die für seine Zeit ganz untypisch war. Nicht weibisch, aber sehr zart. Jemand, bei dem man sich total geborgen fühlte, ob man seine Platten hörte oder unmittelbar in seiner Nähe war. Nicht wie bei Elvis, nicht mit feurig kreisenden Lenden oder so. Roys Gesellschaft war wie ein privater Rückzugsort, eine Zuflucht. Er brach mit dem Tough-Guy-Schema der 50er-Jahre, und auch seine Musik klang für jemanden aus Wink, Texas, wie hohe Kunst. Sie erzählte auf eine geheimnisvoll weiche, romantische Art von der großen, weiten Welt.
Roy Orbison war eine Art Folk-Tenor. Ich glaube, die spanische Oper hat ihn beeinflusst, ihr Stil, ihr Empfinden. Und er sang gern hoch, mit Kopfstimme. Er war verletzlich und stark zugleich. Immer ausgesprochen ernst, im Gesang wie im Auftreten, und doch umgab ihn dieser geheimnisvolle Schleier.
1987 nahmen Roy und ich für den Film „Inkognito“ eine Version von „Crying“ auf. In Vancouver, wo ich damals lebte. Ich kam ins Studio, und als ich ihn sah, war das, als wenn man dem riesigen Marlboro-Mann am Sunset Boulevard gegenübersteht – so unmittelbar ominös und präsent. Wir probten den Song mit der Band, und Roy und ich teilten uns ein Mikrofon. Als wir zu einer Stelle kamen, wo wir beide gleichzeitig sangen, beugten wir uns zum Mikrofon, und da berührten sich unsere Wangen. Seine Wange war so weich, die Energie war gewaltig. Nicht sexuell, aber ganz explosiv, wie die Chemie einer großen Verbundenheit. Ich werde nie vergessen, wie sich das anfühlte. Ich höre noch diese Stimme in meinem Ohr. Sein Vibrato war schnell, mit einem kleinen Flattern darin, und das gab ihm diesen verletzlichen Sound. Diese grandiose Stimme.
Madonna_001.jpgMadonnaMadonnaWarner36. Madonna
Von Britney Spears
Tut mir leid, aber ich würde lieber Madonna treffen als den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Madonna hat etwas, das man nicht erklären kann – das, was jemanden zum Star macht. Wenn sie in einen Raum kommt, zieht sie alle Blicke auf sich. Sie ruht so in sich selbst, hat keine Angst, das Leben voll auszukosten und zu sagen, was sie denkt. Das hat etwas von kindlicher Unschuld und fasziniert mich immer wieder aufs Neue.
Madonna war der erste weibliche Popstar, der seine Karriere völlig selbstständig steuerte und sich ein eigenes Image schuf. Dabei war es ihr völlig gleich, ob sie kritisiert wurde. Sie hat bewiesen, dass sie so viele verschiedene Dinge machen kann – Musik und Filme und Mutter sein. Ihre Songs sind schon heute Klassiker. Stücke wie „Holiday“ oder „Live To Tell“ sind zeitlos, keine Wegwerf-Hits. Manchmal ist sie launisch oder esoterisch, aber was sie sagt, ergibt immer Sinn. Sie ist eine Diva und macht, was sie will, aber sie ist gleichzeitig auch ein sehr liebevoller Mensch.
Das erste Mal bin ich ihr 2001 begegnet, bei einem ihrer Konzerte. Ich kam in die Garderobe, ihre Tochter Lola saß da, und ich war richtig nervös. Ich sagte zu Madonna: „Kann ich dich umarmen?“ und kam mir total blöde vor! Aber sie war sehr nett. Ohne Madonna wäre ich ganz sicher nicht hier. Ich weiß noch, mit acht oder neun Jahren rannte ich im Wohnzimmer rum, singend und tanzend, und wollte unbedingt so sein wie sie. Alle meine Freundinnen hören ihre Sachen heute noch. Madonnas Bühnenpräsenz hat so viele Sängerinnen inspiriert, man erkennt ihren Einfluss bei Frauen wie Kelly Clarkson oder Shakira, die ihre Moves übernommen haben.
24.jpgSänger Michael Jackson hatte zu diesem Zeitpunkt bereits drei Schönheitsoperationen hinter sich. Michael JacksonSony Music35. Michael Jackson
Von Antonio „L.A.“ Reid
Michael Jackson war der größte Entertainer der Welt. Eine der explosivsten Sachen, die ich je auf einer Bühne gesehen habe, war Jackson, als er bei der 25-Jahr-Feier von Motown über die Bühne fegte. Schon da war uns allen klar: Das ist echte Größe, und jeder, der so was nicht hinkriegt, gehört eben nicht dazu. Vor ihm gab es die Beatles und Elvis und Frank Sinatra, aber Michael Jackson gehört an die Seite dieser Giganten.
Ich bin fast genauso alt wie Michael und einer seiner frühesten Fans. Das erste Mal sah ich ihn bei der Ohio State Fair, als ich noch ganz klein war und die Jackson 5 mit den Commodores auftraten. Michael kam auf die Bühne, und seine Stimme erscholl über den ganzen Rummelplatz. Diese Stimme berührte mich damals schon tief.
„Billie Jean“ ist seine wichtigste Platte, nicht nur wegen des kommerziellen Erfolgs, sondern wegen ihrer musikalischen Tiefe. Dieser Song hat mehr Hooks als jeder andere, den ich kenne. Er hakt sich unausweichlich in deine Gehörgänge, und jedes Instrument wirft einen anderen Haken aus. Man hätte ihn in zwölf verschiedene Stücke teilen können und hätte wahrscheinlich zwölf verschiedene Hits gehabt. Jeden Tag mache ich mich auf die Suche nach so einem Song.
Michael hat so viele Musiker beeinflusst. Manche von ihnen imitieren den Bombast und die Virtuosität seiner Live-Auftritte. Man erkennt den Einfluss bei seiner Schwester Janet, bei Justin Timberlake, Usher, Britney Spears, Jennifer Lopez und Mariah Carey. Und in den Dance Moves der synkopierten Choreografie vieler junger Künstler. Von denen haben viele auch sein Arbeitsethos übernommen. Wenn du dir eine Produktion von Britney Spears oder Justin Timberlake oder Usher anschaust, siehst du, dass sie sich mächtig was von Michael abgeschaut haben – sie müssen acht Stunden pro Tag proben, weil ihre Shows makellos sind, ebenso wie Michaels Shows immer makellos waren.
Es gibt viele, viele Menschen, die Michael für einen Freak hielten. Das ist wirklich traurig, weil es den Blick auf den Künstler verstellt, der er in Wirklichkeit war. Eine Welt ohne Michael Jackson ist eine völlig andere Welt. Und ich finde, wir sollten uns alle glücklich schätzen, dass ein Künstler seines Kalibers in unser Leben getreten war und es bereichert hat.
neil_young.jpg.size.xxlarge.promo.jpg34. Neil Young
Von Flea
In Neil Youngs Werk gibt es einen Widerspruch. Er arbeitet so hart als Songwriter und hat so phänomenal viele perfekte Songs geschrieben. Und gleichzeitig ist es ihm scheißegal. Das liegt daran, dass es ihm um die Essenz geht, nicht darum, ob die Tonart stimmt oder irgendwas verzerrt ist oder nicht ganz sauber aufgenommen. Das ist ihm wurscht. Er hat ganze Alben gemacht, die nicht gerade toll waren, aber statt zu der Formel zurückzukehren, die nachweislich funktioniert, zeigt er lieber, an welchem Punkt er sich gerade befindet. Das ist es, was einem so viel Respekt abnötigt – dass es in seiner Karriere so oft auf und ab ging, weil er seinem Charakter und dem, was er gerade war, immer treu blieb. Da ist nichts verfälscht, alles echt. Die Wahrheit ist nicht immer perfekt.
Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich Crazy Horse mag. Der Sound, der Groove, beides hat so viel Tiefe – selbst wenn man gar nichts hört, klingt es immer noch toll, weil man es fühlen kann. Normalerweise gefällt mir so was gar nicht. Ich mag Sly and the Family Stone, Miles Davis und Mingus. Ich mag beständige Musiker, die ihr Handwerk beherrschen. Ich bin mit Jazz aufgewachsen und hörte Rockmusik erst, als ich schon in meiner ersten Band spielte, in der Highschool. Von Progressive Rock zu Hendrix zu L.A.-Punk. Da wurde mir klar, dass Gefühl und Inhalt, egal wie einfach gestrickt, einen Wert darstellen. Ein richtig guter Ein-Akkord-Punksong wurde mir genauso wichtig wie ein Coltrane-Solo, und dieses Gefühl hatte ich auch bei Neil Young. Er veränderte meine Sichtweise.
Als Bassist stand ich auf sehr schnelle, synkopierte und rhythmisch komplexe Stücke. Nachdem ich Neil gehört hatte, lernte ich Einfachheit schätzen, die Prägnanz des „Weniger ist mehr“.
everlybrothers-chainedtoamemory.jpgThe Everly Brothers Chained To A Memory CoverThe Everly Brothers Chained To A Memory CoverBear Family33. The Everly Brothers
Von Paul Simon
Die Wurzeln der Everly Brothers reichen sehr, sehr tief in den Boden der amerikanischen Kultur. Zunächst sollte man wissen, dass die Everly Brothers schon als Kinder Stars waren. Sie hatten eine Radiosendung mit ihrer Familie, und weil ihr Vater Ike ein bekannter Country-Gitarrist war, kamen auch andere wichtige Musiker zu Besuch, darunter Merle Travis und Chet Atkins, der den Everly Brothers half, in die Grand Ole Opry zu kommen. Sie hatten tagtäglich mit richtig guter, traditioneller Countrymusik zu tun und transportierten so das Erbe all der großen „Bruderschaften“ – der Delmore Brothers, der Louvin Brothers und der Blue Sky Boys – in die 50er-Jahre, wo sie andere Pioniere des frühen Rock’n’Roll trafen und schließlich Geschichte machten.
Die Everly Brothers haben vielleicht noch überzeugender als Elvis Presley den Country mit dem neuen Sound des Fifties- Rock’n’Roll vermischt. Der Einfluss der Everly Brothers übersteigt sogar noch ihren Ruhm. Sie waren ein wichtiges Vorbild für John Lennon und Paul McCartney, die sich ganz zu Anfang übrigens mal die Foreverly Brothers nannten – und natürlich auch für Simon and Garfunkel. Als Kinder lernten Artie und ich unsere ersten Rock’n’Roll- Lektionen bei den Everlys.
Als die Everly Brothers 2003 mit Artie und mir auf Tour gingen, waren sie eigentlich schon drei Jahre in Rente gewesen. Für uns haben sie die Koffer noch mal rausgeholt. Ich sagte zu Phil: „Wenn du dich tatsächlich zur Ruhe setzen willst, kannst du ebenso gut noch ein letztes Mal auf die Bühne gehen, dich verbeugen und mich dir erklären lassen, was du für uns und unsere Kultur bedeutest.“
51wZi-IPy4L._SL500_AA300_.jpgSmokey Robinson & The Miracles – Ooo Baby Baby:The AnthologyMotown32. Smokey Robinson And The Miracles
Von Bob Seger
Ich ging ganz oft zu den Motown-Revuen, und die Miracles traten immer am Ende auf. So gut waren sie. Alle wussten das. Keine Show oder so was. Die Supremes hatten größere Hits. Die Temptations hatten die bessere Choreografie. Die Miracles schafften alles nur mit Musik.
Damals spielten sie im Radio die fetzigeren Sachen wie „Do You Love Me“ von den Contours nur am späten Abend. Smokey Robinson, den spielten sie den ganzen Tag. Alle liebten seine Songs, und mit dieser ein bisschen heiseren, sehr hohen Stimme hatte er einen Vorteil gegenüber allen anderen Sängern. Smokey war smokey. Er konnte heiseren Falsett singen, was total schwer ist, aber perfekt für eine traurige Ballade wie „The Tears Of A Clown“ oder „The Tracks Of My Tears“.
Smokey schrieb seine Sachen selbst und besaß damit etwas Individuelles, das den anderen Motown-Größen abging. Er konnte ebenso gut Texte schreiben wie Melodien und war ein musician’s musician. Wie in Hollywood, wo es die Stars gibt und dann den Schauspieler, dessen Kunst nur andere Schauspieler richtig würdigen können.
Ich bin in den Schwarzen-Vierteln von Ann Arbor in Michigan aufgewachsen und wusste deshalb nichts von schwarzer oder weißer Musik. Das war für mich alles einfach nur Musik. Smokeys erster Hit „Shop Around“ war eine der ersten Platten, die ich kaufte. Später, als mein Bruder zur Armee ging und ich für meine Mutter mitverdienen musste, spielte ich sechs Tage die Woche in Bars, fünf Sets von jeweils 45 Minuten pro Nacht. Das war von 63 bis 67. Das meiste Geld verdiente man als Trio. Wir hatten ein Medley aus sechs Smokey-Songs, das wir mindestens zweimal pro Abend spielten. „You’ve Really Got A Hold On Me“, „Shop Around“, „Bad Girl“, „Way Over There“ und anderen. Das war Überlebensstrategie.
Smokey war auch bekannt als der netteste Typ bei Motown, was man an seiner Stimme hören kann. Früher habe ich mal eine Fernsehshow in Kanada gemacht, die hieß „Swingin’ Time“, und die meisten Bands aus Detroit kamen vorbei. Die waren alle nett, aber Smokey war ein echter Gentleman. 1987 hab ich ihn bei einer Preisverleihung noch mal gesehen und konnte ihm erzählen, wie viel Geld ich in den Bars mit seinen Songs verdient hatte. Das sind tolle Erinnerungen. Danke, Smokey.
johnnycash_20030303_80015806.jpg – CMS Source.jpgJohnny CashJohnny CashUniversal31. Johnny Cash
Von Kris Kristofferson
Johnny Cash war ein biblischer Charakter. Er war wie so ein alter Prediger, einer von den gefährlichen, wilden. Wie ein Westernheld aus dem Kino. Ein Gigant. Und anders als alle anderen, die ich kenne, hat er das nie verloren. Ich glaube nicht, dass wir einem wie ihm noch mal begegnen werden. Natürlich ist das Erste, wofür man sich an ihn erinnern wird, die Originalität seiner Musik. Ich hörte Johnny Cash zum ersten Mal, als er 1956 „I Walk The Line“ herausbrachte.
Ich hatte nie etwas Vergleichbares gehört. Elvis hatte zu der Zeit schon eine Menge Hits, aber „I Walk The Line“ war etwas völlig anderes. Es klang auch nicht nach der Countrymusik, die damals populär war. Johnny war von so einer dunklen Energie umgeben.
Als Songwriter habe ich immer seine Texte geliebt. John veröffentlichte zu Beginn seiner Karriere eine ganze Reihe sehr kraftvoller Songs innerhalb kürzester Zeit. Für mich war der beste immer „Big River“. Der ist einfach so gut geschrieben und so ganz anders als alles andere. Die Zeilen reimen sich nicht mal richtig. „I met her accidentally in St. Paul, Minnesota/ And it tore me up every time I heard her drawl.“ Er erzählte so anschaulich. „Then you took me to St. Louis later on, down the river/ A freighter said she’s been here/ But she’s gone, boy, she’s gone/ I found her trail in Memphis/ But she just walked up the block/ She raised a few eyebrows, and then she went on down alone.“
Als ich ihn zum ersten Mal live sah, hatte ich Urlaub von der Army und fuhr nach Nashville. Er trat in der Grand Ole Opry auf, und ich stand hinter der Bühne und sah zu. Er war der aufregendste Performer, den ich je gesehen hatte. Damals war er dünn wie eine Schlange – und unter Strom. Er schlich über die Bühne wie ein Panther. Er sah aus, als würde er gleich explodieren da oben. Und manchmal tat er das ja auch. Einige Male schlug er bei seinen Auftritten dort sämtliche Scheinwerfer kaputt Da haben sie ihn dann eine Weile nicht mehr eingeladen.
Das Wichtigste an John aber – und das spürte einfach jeder – war seine Integrität. Die Integrität im Umgang mit seiner Musik, mit seinem Leben und mit anderen Menschen. Er stellte sich vor Bob Dylan, als der von allen im Musikbusiness für seinen Wechsel vom Folk zur E-Gitarre kritisiert wurde. In den 80ern tat er für mich das Gleiche, als ich nach Nicaragua ging und dafür angegriffen wurde.
Ich fand sein letztes Album „The Man Comes Around“ großartig. Ich fuhr auf meinem Traktor-Rasenmäher, hörte es mit Kopfhörern und musste einfach weinen. Seine Version von „Danny Boy“ macht mich jedes Mal fertig. Ich denke, man wird sich an ihn als jemanden erinnern, der sich als Mensch und Künstler weiterentwickelte. Am Anfang war er dieser wilde Kerl, einer wie Hank Williams, und später wurde er fast schon wie einer der Väter unseres Landes geachtet. Er war mit Präsidenten und mit Billy Graham befreundet. Man hatte das Gefühl, eigentlich gehört sein Gesicht auf den Mount Rushmore.