Die 100 besten Musiker aller Zeiten: Plätze 10 bis 6

Die Liste der 100 Musiker, die 2011 aktualisiert wurde, ist ein Beitrag zur Rock-Historie. Die Essays über die 100 Besten stammen aus prominenter Feder, es sind Huldigungen aus der Fan-Perspektive.

Rund 50 Jahre nachdem Elvis in den Sun-Studios „That’s All Right“ einspielte, hat der ROLLING STONE das erste halbe Jahrhundert des Rock’n’Roll im großen Stil gefeiert. 2004 baten wir ein Gremium aus 55 Musikern, Autoren und Plattenfirmen-Managern, die einflussreichsten Musiker dieser Ära auszuwählen. Die Liste der 100 Musiker, die 2011 aktualisiert wurde, ist ein Beitrag zur Rock-Historie. Sie umfasst die Beatles ebenso wie Eminem. Sie reicht vom Rock-Pionier Chuck Berry bis zum Blues-Mann Howlin’ Wolf.

Die Essays über die 100 Besten stammen aus prominenter Feder: Ezra Koenig von Vampire Weekend zollt dem Rapper Jay-Z Tribut. Britney Spears verneigt sich vor „Godmother“ Madonna. Rock’n’Roll hat eine glorreiche Vergangenheit.

Lesen Sie hier, die Plätze Zehn bis Sechs.

SEEFF300_1_Ray_Charles.jpg10. Ray Charles

Von Van Morrison

Ray Charles ist der Beweis dafür, dass die beste Musik alle Grenzen überwindet und alle Glaubensrichtungen vereint. Er kann jede Art Musik spielen und ist doch immer ganz klar er selbst. Seine Seele steht über allem.

Das erste Mal wurde mir das klar, als ich eine Live-Version von „What’d I Say“ auf AFN in Deutschland hörte, spät in der Nacht. Dann fing ich an, seine Singles zu kaufen. Sein Sound war verblüffend – es war Blues, es war R&B, es war Gospel, es war Swing, es war alles, was ich vorher gehört hatte, aber verbunden in einer einzigen, faszinierenden, souligen Art.

Als Sänger phrasiert Ray Charles wie kein anderer. Er setzt den Takt nicht da, wo du es erwartest, aber er ist immer perfekt, es stimmt immer. Doch er hatte mehr als diese Stimme, er schrieb auch diese unglaublichen Songs. Er war ein großartiger Musiker, ein erstaunlicher Studiomensch, ein großer Produzent und ein wundervoller Arrangeur.

Es gibt einen Grund dafür, warum er den Beinamen „the Genius“ trug: Was immer er tat – er machte daraus etwas Eigenes. Heute ist er ein Genre für sich.

Immer wenn ich ihn höre, lerne ich etwas Neues. Das ist eine Musik, die eine hohe Messlatte legt. Die zwei Alben, die für mich ganz oben stehen, sind „Ray Charles At Newport“ und „Ray Charles In Person“. Dann kommen „Genius + Soul = Jazz“ mit dem Basie Orchestra und Quincy Jones und „Modern Sounds In Country And Western Music“. Es gibt so viel, was man studieren sollte – heutzutage muss man fast rückwärts gehen, um vorwärts zu kommen.

Vor Kurzem habe ich einen meiner Songs mit ihm gesungen, „Crazy Love“. Es war fantastisch. Seinen Gesang habe ich schon immer geliebt, aber wir waren auch sonst auf derselben Wellenlänge. Ich konnte seine Gefühle spüren. Menschen wie Ray Charles – und Sam Cooke, Bobby Bland und Solomon Burke – haben mir gezeigt, was Soul ist. Es geht nicht nur ums Singen, sondern vor allem um das, was man hineinlegt. Diese Typen breiten ihre Seele vor dir aus.

Seine Musik entzieht sich jedem Marketing. Sie ist global und spricht jeden an. Ray Charles veränderte die Musik einfach dadurch, dass er sich nie verstellte, dass er alles hundertprozentig machte und es mit der Kraft seiner Seele Millionen von Menschen nahebrachte. Das ist sein Vermächtnis. Ich glaube, dass die Musik von Ray Charles uns alle überleben wird.

Aretha Franklin In ConcertNEW YORK, NY – FEBRUARY 18: Aretha Franklin performs at Radio City Music Hall on February 18, 2012 in New York City. (Photo by Neilson Barnard/Getty Images)nb/cg9. Aretha Franklin

Von Jerry Wexler

Als Produzent habe ich mit meinen Sängern immer über Phrasierung und Betonung gesprochen, aber Aretha konnte ich nichts mehr beibringen. Im Gegenteil, ich hätte sie nur gestört. Heute tragen Sänger oft zu dick auf, wenn sie soulful klingen möchten. Aretha kann das nicht passieren, weil ihr Geschmack unfehlbar ist.

Das liegt nicht an der Gospelschule. Die meisten jungen afroamerikanischen Sänger und Sängerinnen erhalten ihre musikalische Ausbildung in der Kirche. Das kann dir die Form geben, ein Gefühl für Tradition, den Rhythmus, aber Training macht keine Genies. Das Genie liegt in ihrer Persönlichkeit. „Respect“ hatte eine unvorstellbare, weltweite Wirkung, sogar für Bürgerrechtsbewegung und Frauenemanzipation. Es gibt Liebeslieder, es gibt Lieder über Sex. Aber mir fällt kein anderer Song ein, der all diese Elemente verbindet. Aretha hat die meisten ihrer Stücke selbst geschrieben oder ausgewählt Die Arrangements erarbeitete sie zu Hause am Klavier.

Sie hat Otis Reddings Song ein bisschen aufpoliert, und als sie ins Studio kam, hatte sie schon alles fix und fertig im Kopf. Kurz bevor „Respect“ veröffentlicht wurde, spielte ich Otis das Band vor. Er sagte: „Sie hat mir den Song weggenommen.“ Er sagte es freundlich und ein bisschen wehmütig. Er wusste, dass die Identität des Songs von ihm auf sie übergehen würde.

Aretha war bei Columbia ein kleines Licht gewesen, bevor sie zu Atlantic kam. Ich glaube, bei Columbia haben sie sie nicht viel Klavier spielen lassen. Ich bin davon überzeugt, dass man eine Sängerin, die ein Instrument spielt, das auch auf ihren Platten spielen lassen sollte, weil es den Aufnahmen etwas Unverwechselbares gibt. In Arethas Fall musste ich keine Kompromisse eingehen. Sie war eine brillante Pianistin, eine Mischung aus Mildred Falls – Mahalia Jacksons Begleiterin – und Thelonious Monk. Ich glaube nicht, dass sie eine klassische Ausbildung genossen hatte. Es war Teil ihres Genies. Niemand kann sie kopieren. Sie ist einzigartig.

Little Richard by Baron Wolman.jpgLittle Richard 19698. Little Richard

Von Little Richard

Eine menge Leute nennen mich den Architekten des Rock’n’Roll. Ich selbst behaupte das nicht, aber ich glaube, es stimmt. Schließlich war ich schon 1951 bekannt. Ich nahm für RCA-Victor auf – für Schwarze hieß das Camden Records –, bevor sie Elvis unter Vertrag nahmen. Dann für Peacock in Houston. Dann hat mich Specialty Records gekauft – für 500 Dollar, glaube ich –, und meine erste Platte bei denen, 1956 war das, wurde ein Hit: „Tutti Frutti“. Überall in der Welt Ich hatte das Gefühl, angekommen zu sein, you know?

Wir gingen sofort auf Tour, fuhren kreuz und quer im Auto herum, und weil es damals mit dem Rassismus noch so schlimm war und man kaum ein Hotelzimmer bekam, schliefen wir auch die meiste Zeit im Auto. Wir aßen im Auto, und wenn wir einen Auftritt hatten, zogen wir uns im Auto um. Ich hatte einen Cadillac. Die Stars fuhren immer Cadillac.

Weißt du noch, was Liberace auf der Bühne trug? So lief ich die ganze Zeit herum, sehr extravagant und mit dickem Make-up. Viele andere Musiker waren damals geschminkt – die Cadillacs, die Coasters, die Drifters –, aber sie hatten keine Make-up-Koffer, nur einen Schwamm und eine Puderdose in der Tasche. Alle hielten mich für schwul.

Die Leute sprachen von Rock’n’Roll als der afrikanischen Musik. Sie meinten, er würde die Kids verrückt machen und sei nur so eine Kurzzeitgeschichte – dasselbe, was sie heute über HipHop sagen. Nur dass es damals schlimmer war. Ich war der erste schwarze Künstler, dessen Platten auch von Weißen gekauft wurden. Und die Eltern hassten mich. Wir spielten an Orten, wo man uns sagte, wir dürften nicht wiederkommen, weil die Kids so ausflippten. Sie warfen Flaschen und sprangen während der Show von der Galerie runter. Damals mussten die weißen Kids auf der Galerie sitzen. Dann sprangen sie runter, um sich unter die Schwarzen zu mischen.

Für die meisten Gigs bekam ich kein Geld, für die meisten Platten auch nicht, obwohl fast alles von mir stammt. Im Studio gaben sie mir ein paar Wörter, und ich machte einen Song daraus! Mit Rhythmus und allem. „Good Golly Miss Molly“! Dafür habe ich keinen Cent gekriegt. Die Specialty-Sachen gehörten dann Michael Jackson. Er hat mir mal einen Job in seinem Verlag angeboten, als Songschreiber, aber ich lehnte ab. Hätte wohl besser annehmen sollen.

Ich wünschte, eine Menge Dinge wären anders gelaufen. Ich glaube, ich habe nie das bekommen, was mir zustand. Es ist schön, einer der 50 Unsterblichen zu sein, aber wer die Nummer eins ist und wer Nummer zwei, interessiert mich nicht mehr. Weil es ohnehin nicht die sein werden, die für mich die Größten sind. Die Rolling Stones haben damals mit mir angefangen, aber sie werden immer vor mir stehen. Die Beatles, James Brown, Jimi Hendrix – all diese Leute haben mit mir angefangen. Ich hab sie gefüttert, mit ihnen geredet, und jetzt stehen sie immer vor mir. Trotzdem freut es mich, immer noch hier zu sein. Wenn die Leute Spaß haben wollen, hören sie immer noch Rock’n’Roll. Ich bin froh, ein Teil davon gewesen zu sein. Es sind nur noch wenige von uns übrig: Chuck, Fats, Jerry Lee, die Everly Brothers. Die guten Tage sind bald vorbei. Bald wird alles anders sein. Aber nie so wie früher. Niemals.

james-brown.jpg7. James Brown

Von Rick Rubin

In einer Hinsicht ist James Brown wie Johnny Cash: Johnny gilt als ein König des Country, und es gibt viele Leute, die Countrymusik zwar hassen, Johnny aber verehren. Mit James Brown und R&B ist es das Gleiche. Seine Musik ist einzigartig – dieser Ton, dieses Gefühl. Brown ist sein eigenes Genre. Er hatte ein großes Talent zur Selektion – als Songwriter, Produzent und Bandleader. Er hielt alles knapp und prägnant. Er wusste, was zählt. Und er hatte die besten Musiker, the funkiest of all bands.

Hätte Clyde Stubblefield bei einer normalen Motown-Session getrommelt, dann hätten sie ihn nicht das spielen lassen, was er für James bei „Funky Drummer“ spielte. James’ Vision gab dieser Musik Raum. Und im Zentrum stand immer der Groove, während es so vielen R&B- und Motown- Künstlern damals eher um konventionelle Songs ging. James Browns Songs sind nicht konventionell. „I Got You“, „Out Of Sight“ – das sind die ultimativen Vehikel für einzigartige, sogar bizarre Grooves.

Der erste HipHop-Hit, der ein Brown-Sample benutzte, war „Eric B. Is President“ von Eric B. & Rakim. Ab da war kein Halten mehr. Ich selbst kann mich nicht erinnern, bei meinen frühen Platten mit LL Cool J oder den Beastie Boys je Samples von James Brown verwendet zu haben. Ich wollte Platten produzieren, die sich so gut anfühlten wie die von Brown, aber ohne ihn zu samplen oder zu kopieren. Mir ging’s drum, das Gefühl, das einem diese Grooves geben, zu verstehen. Das wollte ich mit Drumcomputern hinkriegen.

An demselben Feeling arbeiteten auch die Red Hot Chili Peppers und ich bei „BloodSugarSexMagik“. Wir folgten James Browns Idee, dass nicht immer alle Musiker gleichzeitig spielen müssen. Gib dem Bass seinen Moment; hab keine Angst, einen Song nur mit Gitarre anzufangen oder ihn zwischendurch auf Gitarre und Schlagzeug zu reduzieren. Diese Art von Dynamik hört man auf den Platten von James Brown. Vor Jahren hab ich mal Prince in Minneapolis besucht; ich saß in einem Büro und wartete auf ihn, und auf einem Bildschirm lief in Endlosschleife James Browns Auftritt aus dem Konzertfilm „The T.A.M.I. Show“ von 1964. Das ist vielleicht die absolut beste Rock’n’Roll- Performance, die je von Kameras festgehalten wurde. Die Rolling Stones spielten da auch, überhaupt die wichtigsten Rock-Acts der damaligen Zeit – und James Brown kommt auf die Bühne und macht sie alle platt.

Ich sah ihn um 1980 das erste Mal, als ich in Boston an die High School ging. Die Show fand in einer Mensa statt, man saß auf Klappstühlen. Es war eines der größten musikalischen Erlebnisse meines Lebens. Wie er tanzte und sang, das war unglaublich, und er spielte eine mit rotem Leder verkleidete Hammond- B3-Orgel, auf der in Nieten „Godfather“ stand. Egal was in seinem Privatleben passierte, seine musikalischen Errungenschaften bleiben. Meisterwerke kommen halt immer von diesen speziellen, einzigartigen Menschen. Die hat Gott berührt. Und James Brown gehört zu ihnen. Seine Legende wird bleiben, weil in seiner Musik der Rhythmus des Lebens steckt.

Jimi Hendrix – Winterland.jpgJimi Hendrix6.Jimi Hendrix

Von John Mayer

Jimi Hendrix gehört zu diesen ganz besonderen musikalischen Lichtgestalten, bei denen jeder unweigerlich mal landet. Jeder Musiker kommt irgendwann durch den „Hendrix International Airport“ – ob man auf Elmore James steht oder auf Black Sabbath, ob man Hanson mag oder die Grateful Dead. Seine Musik ist der gemeinsame Nenner aller Stilrichtungen, die wir haben. Sein Spiel hatte so viele Facetten. War er ein Bluesmann? Hör dir „Voodoo Chile“ an, und du entdeckst den gruseligsten Blues, den man sich denken kann. War er, ein Rockmusiker?

Er setzte Lautstärke als Stilmittel ein – das ist Rock. War er ein empfindsamer Singer-Songwriter? In „Bold As Love“ singt er „My yellow in this case is not so mellow/ In fact I’m trying to say it’s frightened like me“ – so spricht ein Mann, der weiß, wie es in seinem eigenen Herzen aussieht. Er wird meist als dieser laute, psychedelische Rock-Superstar porträtiert, der seine Gitarre anzündet. Aber wenn ich an Hendrix denke, dann zuerst an seine bezaubernd sanften Gitarrensounds in Songs wie „Little Wing“ und „Drifting“. „Little Wing“ ist so kurz und schön, dass es wehtut. Als käme dein Großvater von den Toten zurück, bliebe anderthalb Minuten lang bei dir und verschwände dann wieder. Es ist perfekt, dann ist es vorbei.

Ich glaube, Musiker lieben Jimi Hendrix’ Spiel so sehr, weil ihm seine musikalische Sprache einfach angeboren war. Er hatte ein geheimes Verhältnis zur Gitarre, und es steckte zwar viel Technik und Theorie drin, aber eben seine Theorie. Und ich glaube, dass ihm das heilig war. Deshalb liest man kaum je ein Interview mit ihm, in dem er etwas über sein Bühnenequipment oder seine Lieblingstonleitern erzählt. Ich entdeckte ihn über Stevie Ray Vaughan. Ich hörte Stevie „Little Wing“ spielen und arbeitete mich zurück zu Hendrix. Die erste Hendrix-Platte, die ich mir dann kaufte, war „Axis: Bold As Love“, weil da „Little Wing“ drauf war. Dann hörte ich monatelang „Electric Ladyland“, ein sehr unheimliches Album. Die Düsternis, die da stellenweise herrscht – vermutlich war Hendrix zu ehrlich, um sie zu verbergen.

Man sieht ihn gern als diesen einsamen, verschlossenen Typen, der sich nur auf der Bühne ganz öffnete und seine Farben durchs Publikum schickte. Das hat was Heroisches. Alle sind immer so fasziniert von seiner Weltferne. Ich stelle mir lieber seine menschliche Seite vor. Der Mann hatte auch eine Sozialversicherungsnummer, er kam nicht vom Mars.

Den Space-Gott haben die Merchandisingfirmen erfunden, und irgendwie ist er zu diesem Bild geworden. Aber wenn ich Hendrix höre, dann höre ich einen Menschen. Wenn man begreift, dass ein anderes menschliches Wesen zu dem fähig war, was er geleistet hat. Ich werde immer versuchen, diese Art von Kontrolle auf der Gitarre zu erreichen. Wer ich bin, das ergibt sich daraus, wie ich an Hendrix gescheitert bin. Das gilt für viele. Wo du stehen bleibst bei deinem Aufstieg hin zu ihm – das bist du.

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