Die 100 besten Musiker aller Zeiten: Nirvana – Essay von Vernon Reid

Ich glaube, dass Nirvana und Kurt Cobain auf gewisse Art und Weise tatsächlich perfekt waren: perfekt fehlerhaft.

Bei mir waren Nirvana eine klassische Plattenladen-Entdeckung. So was passiert einem ja immer seltener. Ich war im Rocks In Your Head in New York und fragte die Frau hinter dem Tresen: „Was gibt’s denn Neues?“

Sie legte „Smells Like Teen Spirit“ auf. Ich dachte: „Wow. Da hat’s jemand geschafft, Metallica und R.E.M. zu kombinieren.“ Der Begriff „Grunge“ war mir fremd, und ich wusste nicht, dass das ein Phänomen werden würde. Ich wusste nur, dass ich was Wichtiges hörte. Richtig große Musik.

Mein Lieblingslied auf „Nevermind“ war „Lithium“. Kurt Cobain sprach etwas in der Kultur an, was noch keiner vor ihm so ausgedrückt hatte: leidenschaftliche Ambivalenz. „I’m so ugly, but that’s okay/ ’Cause so are you.“ Er brachte auf den Punkt, welche extremen Gefühle es auslösen konnte, keine Gefühle zu haben.

Nirvana – „Lithium“:

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Cobain lenkte die Musik auf ganz neue Wege. Menschen, bei denen man zusehen kann, wie die Achse der Musikgeschichte sich um sie dreht, gibt es nur sehr selten. Hendrix war maßgeblich, Prince war maßgeblich, Cobain auch.

Sein Spiel durch den Big-Muff-Verzerrer, das kannst du nicht abziehen

Obendrein war er ein hervorragender Gitarrist. Ich hab das mal zu einem Joe-Satriani-Fan gesagt, und den machte das richtig wütend. Aber man kann Cobain nicht gleichzeitig für einen großen Songwriter und einen nur durchschnittlichen Gitarristen halten – weil er ohne die Gitarre diese Songs nicht geschrieben hätte. Sein Spiel durch den Big-Muff-Verzerrer, das kannst du nicht abziehen, das war essenziell für seine Musik, und seine geänderten Tunings waren unglaublich einflussreich.

Denke ich an Nirvana, dann denke ich auch an die Bad Brains, die Sex Pistols. Alle diese Bands waren radikal und eigenwillig und abseitig, aber ihre Songs sind unglaublich melodisch.

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Wenn’s um einen Smaragd oder einen Diamanten geht, da kann man von Reinheit reden. Aber bei Menschen – das haut nicht hin

Auf „Mistaken Identity“, meinem ersten Soloalbum nach der Auflösung von Living Colour, gibt es ein Stück, das heißt „Saint Cobain“. Ich werde nie den Tag vergessen, an dem ich von seinem Selbstmord erfuhr. Ein so immenser Erfolg, wie ihn Nirvana erlebten, wirkt traumatisch.

Und noch etwas ist ihm passiert, was in meinen Augen eine Schande war: Wegen des Erfolgs von Nirvana musste er sich immer gegen den Vorwurf verteidigen, er hätte sich verkauft, und diesen Anschein von makelloser Reinheit wieder herstellen. Wenn’s um einen Smaragd oder einen Diamanten geht, da kann man von Reinheit reden. Aber bei Menschen – das haut nicht hin. Das ist gefährlich.

Denkt doch mal: künstlerische Reinheit. Rassische Reinheit. Obwohl ich glaube, dass Cobain auf gewisse Art und Weise tatsächlich perfekt war: Er war perfekt fehlerhaft.

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