Die 100 besten Musiker aller Zeiten: Jay-Z – Essay von Ezra Koenig
Jay-Z bietet eine rare Kombination aus Intelligenz, Unberechenbarkeit, Ernsthaftigkeit und Pop-Appeal
MTV startete „Total Request Live“ im September 1998. Die TRL-Charts wurden zunächst von ’N Sync, den Backstreet Boys, Korn und Konsorten bevölkert, doch dann, sechs Wochen später, debütierte Jay-Zs „Can I Get A …“-Video auf Platz 10. Es war zwar nicht der Beginn seiner Karriere als Rapper, wohl aber der Beginn eines Pop-Phänomens namens Jay-Z.
Was Ende der Neunziger im US-Radio und -Fernsehen präsentiert wurde, ließ dem hoffnungsfrohen Teenager keine echte Wahl: Entweder er konnte wütende Männer in ärmellosen T-Shirts goutieren, die ihren Aggro-Rock herausprügelten – oder aber etwas kleinere Männer in ärmellosen T-Shirts, die windelweiche Balladen schmachteten.
Jay-Z war eine Alternative, die längst überfällig war. Womit nicht gesagt sein soll, dass Jay-Z nie ärmellose Shirts trug, aber er war – und ist noch immer – eine rare Kombination aus Intelligenz, Unberechenbarkeit, Ernsthaftigkeit und Pop-Appeal. Wenn man sich die Charts von damals anschaut, fällt es nicht schwer nachzuvollziehen, warum eine ganze Generation von Musikern, Kritikern und auch Fans sich zu den Texten eines Mannes hingezogen fühlte – auch wenn er in seinen Songs eine Welt beschrieb, zu der angeblich mindestens 50 Prozent seiner Hörer „keinen Bezug hatten“.
„Ich verstand den Song als eine Verneigung vor Kreativität und Einfallsreichtum, aber auch als Kritik am unkontrollierten Kapitalismus“
Seitdem ist Jay-Z der mit Abstand cleverste und aufregendste Musiker gewesen, der in schöner Beständigkeit Hits abliefert – und ich meine wirkliche Hits wie „Empire State Of Mind“. Ich erinnere mich, eine Gänsehaut bekommen zu haben, als ich ihn beim Coachella-Festival „On To The Next One“ performen sah. Er war ganz in Schwarz gekleidet und stand vor einer riesigen Videowand. Ich verstand den Song als eine Verneigung vor Kreativität und Einfallsreichtum, aber auch als Kritik am unkontrollierten Kapitalismus. Wer schafft es schon, dass 100 000 Leute die Arme hochreißen – und doch jedes einzelne Hirn in der Menge animiert wird, sich kritisch mit dem Zustand der Welt auseinanderzusetzen?
Seine Lyrics sind vielschichtig genug, um gelegentlich nach einer Interpretationshilfe zu verlangen – und verspielt genug, dass sich jedes mean girl auf meiner Highschool an seinen Vers auf Mariah Careys „Heartbreaker“ erinnerte. Auf „Public Service Announcement“ beschrieb er sich selbst als „Che Guevara with bling on“.