Die 100 besten Musiker aller Zeiten: Bruce Springsteen – Essay von Jackson Browne
Bruce hat sich nie davor gescheut, erwachsen zu werden. Er ist Familienvater mit Kindern und denselben Werten und Sorgen wie die amerikanische Arbeiterklasse.
Bruce Springsteen ist in vielerlei Hinsicht die Verkörperung des Rock’n’Roll. Er verbindet Hillbilly-Musik, Rockabilly, Blues und R&B, und seine Musik repräsentiert die ureigensten Werte des Rock’n’Roll: Leidenschaft, das Bedürfnis nach Freiheit und die Suche nach sich selbst.
In allen seinen Songs findet man eine Bereitschaft, selbst die einfachsten Aspekte des Lebens auf eindringliche und dramatische Weise zu porträtieren. Das erste Mal habe ich ihn in einem kleinen Club gehört, dem Bitter End in New York, wo er einen Gastauftritt hatte.
Ich fragte ihn, woher er käme, und er grinste ein bisschen und meinte, aus New Jersey. Damals machte man Witze über New Jersey. Die Leute von dort galten als nicht besonders helle. Das nächste Mal sah ich ihn dann schon mit seiner Band, in der David Sancious spielte.
So was hatte ich noch nie erlebt. Er spielte akustische Gitarre und tanzte über die Bühne, und die Gitarre war nirgendwo eingestöpselt. Für ihn war es nicht so wichtig, dass man jede Note hören konnte. Sein Zugang zur Musik war Drama. Ein Jahr später sah ich ihn in L.A. mit Max Weinberg, Clarence Clemons und Steve Van Zandt in der Band. Das war noch dramatischer – wie sie die Scheinwerfer einsetzten und alles auf die Bühne brachten.
Bruce hat sich nie davor gescheut, erwachsen zu werden
Als ich am zweiten Abend wiederkam, erwartete ich, noch einmal dasselbe zu sehen, aber es war komplett anders. Am tollsten war, dass sie selbst so viel Spaß hatten. Sie waren eine Bruderschaft, Außenseiter, die unglaubliche Kraft besaßen und eine Geschichte im Gepäck hatten, die erzählt werden musste.
Bruce hat sich nie davor gescheut, erwachsen zu werden. Er ist Familienvater mit Kindern und denselben Werten und Sorgen wie die amerikanische Arbeiterklasse. Das zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk, der Wunsch, diesen einen Menschen zu finden und zusammen mit ihm durchs Leben zu gehen.
Hör dir „Rosalita“ an. Ihre Mutter mag ihn nicht, ihr Vater kann ihn nicht ausstehen, aber er ist gekommen, um sie zu holen. Oder „The River“ – für diejenigen von uns, die mit Heirat nicht viel am Hut haben, wird der Kampf um Liebe in einer vergänglichen Welt von diesen beiden Menschen symbolisiert, die da nachts in den Fluss springen. Bruces Songs sind voll von solchen Bildern.
Bruce hat alle möglichen Einflüsse, von Chuck Berry und Gary „U.S.“ Bonds bis Bob Dylan und Woody Guthrie. Es gibt aber auch Ähnlichkeiten mit Montgomery Clift, Marlon Brando und James Dean – Leute, deren leises Murmeln besser zu hören war und mehr aussagte als das Geschrei anderer Leute. Bruce besaß immer eine enorme thematische und emotionale Bandbreite und Lautstärke – auch seine leisesten Sachen sind leiser als alles, was man je gehört hat.
Aber er hat immer ein Spektrum von fast heroischer Breite abgedeckt. Er ist einer der ganz wenigen Songwriter, die in der Lage waren, nach dem 11. September Worte zu finden. Sein Gefühl für Musik als heilende Kraft hat ihn nie verlassen: Er steht mit den Füßen auf beiden Seiten der Kluft zwischen schwarzem und weißem Gospel, Blues und Country, zwischen Rebellion und Erlösung.