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Die 100 besten Geheimtipps 2016, Teil 2
100 weitere Perlen der Popgeschichte, die kaum Beachtung fanden – bis jetzt.
Lesley Gore - „Someplace Else Now“ (1972)
„It’s My Party“: Sie war der jugendliche Traum der mittleren 60er-Jahre, sie hatte das Aussehen, sie hatte die Hits, sie hatte die Stimme. Quincy Jones produzierte ihre Platten, Marvin Hamlisch schrieb ihre Lieder. 1972 nahm sie diese Platte mit Soul-Songs auf, die sich gar nicht sehr von ihren Gassenhauern unterscheiden – nur in der Erfahrung. Gore veröffentlichte sporadisch weitere Platten, schrieb Songs für das Musical „Fame“, hatte eine TV-Talkshow und lebte 30 Jahre mit einer Frau.
Denny Freeman – „Out Of The Blue“ (1987)
Wie die bekannteren Vaughan-Brüder war Denny Freeman Anfang der Siebziger von Dallas ins musikalisch erwachende Austin gezogen, wo bald niemand mehr am Chef der Antone’s-Hausband vorbeikam. Mehr als Stevie Ray und Jimmie schaute der Gitarrist dabei gern mal über den Texas-Blues-Tellerrand. Wer wissen will, warum Freeman bald von Taj Mahal und Bob Dylan für deren Bands angeheuert wurde, muss den lässigen Instrumental-Eklektizismus von „Out Of The Blue“ hören.
Roger Glover And Guests – „The Butterfly Ball And …“ (1974)
Weil Jon Lord keine Zeit hatte, produzierte Deep Purples Bassist Roger Glover diese auf einem Kindergedicht basierende Rockoper und rekrutierte dafür wichtige Akteure aus der britischen Prog- und Hardrock-Szene bzw. dem Deep-Purple-Stammbaum. Die Musik vermengt Beatles-Psychedelik mit Theatermusik, 70s-Pop und mischt vorsichtig Prog-Rock unter – das Ergebnis ist ein großartiger Spleen. Besonders schön sind das von David Coverdale gesungene „Behind The Smile“ und Ronnie James Dios „Love Is All“.
Rodney Graham – „Rock Is Hard“ (2003)
Der kanadische Künstler Rodney Graham ist ein Meister aller Formen: Malerei, Fotografie, Multimediainstallation. 2003 versuchte er sich zudem als Sänger und Songwriter und nahm ein Doppelalbum mit dem zugegeben bescheuerten Titel „Rock Is Hard“ auf. Die Lieder des Mannes mit der Lou-Reed-Stimme sind allerdings allesamt vorzüglich: 60s-inspirierter Power-Pop mit leichtem Post-Rock-Einschlag, leichtfüßig arrangiert, mit vereinzelten Neil-Young-Gitarren verziert.
The Greg Foat Group – „Girl And Robot With Flowers“ (2012)
2012 wird nicht als das Jahr des Retrofuturismus und Space-Age-Jazz in die Geschichte eingehen. Greg Foat aber, Science-Fiction- Fan und Pianist, arbeitet bis heute von London aus an der Renaissance des Genres. Er verschmilzt Sun Ra mit Soft Machine; seine vom Flügelhorn dominierten Kompositionen sind einfach, aber nicht schlicht, cineastisch, aber keine Reizüberflutung. „Girl And Robot With Flow- ers“ klingt indes so, als würde der Mann seine ganz eigene Musik entwerfen.
Gruppo Sportivo – „Pop! Goes The Brain“ (1981)
Gruppo Sportivo waren einst die lustigste New-Wave-Band der Niederlande. Von „Who’s In Trouble“, über „Holland Now“ bis hin zu „Very Nice“: Das Album „Pop! Goes The Brain“ ist voller quirlig-selbstironischer Smashhits, die heute kaum noch einer kennt. Toll ist auch das mit einem Sichtfenster versehene Albumcover: Je nachdem wie man die Innenhülle dreht, posiert die Band mal als Punk-, Heavy-Metal- oder New-Romantic-Combo – und stets verirrt sich Sänger Hans Vandenburg ins falsche Bild.
Tommy Guerrero – „Loose Grooves & Bastard Blues“ (1997)
Kaum eine Platte eignet sich besser zum Nebenbeihören. Die Drums klappern wie ein Metronom, und der ehemalige Skateboardprofi Tommy Guerrero spielt auf seinem Debüt die entspannteste Rhythmusgitarre der Welt. Als hätte ein mit Downbeats sozialisierter JJ Cale ein Instrumentalalbum aufgenommen. Es sind beiläufige Skizzen, Impressionen aus der kalifornischen Hängematte, von Latin und HipHop inspirierter Skate-Folk (um dem Ganzen einen Namen zu geben). Macht sonst niemand.
Steve Hackett – „Voyage Of The Acolyte“ (1975)
Die beste Genesis-Platte, die nicht von Genesis ist: Nach dem Ausstieg von Peter Gabriel nahm der Gitarrist Steve Hackett dieses hervorragende Soloalbum mit Gastauftritten von Mike Rutherford und Phil Collins auf: schwelgender Prog-Rock mit ächzendem Mellotron, lieblichem Geflöte und im Vergleich zur Mutterband minderer Komplexität, dafür aber leichterer Zugänglichkeit. Zauberhaft ist der Gesang von Sally Oldfield in dem einzigen epischer ausladenden Stück, „Shadow Of The Hierophant“.
Hampton Grease Band – „Music To Eat“ (1971)
Colonel Bruce Hampton, Retired, wie sich Gustav Valentine Berglund III. heute meistens nennt, ist eine Art Southern-White-Trash- Version von Captain Beefheart. Seine Grease Band war ähnlich gut besetzt wie die Magic Band, Glenn Phillips (im späteren Leben u. a. SST-Recording-Artist) und Harold Kelling trieben das Jammen mit zwei Leadgitarren noch vor der Allman Brothers Band zu ungeahnten Höhen, dazu rezitierte der Colonel surrealistische Verse oder las aus der Zeitung vor.
Harpers Bizarre – „Harpers Bizarre 4“ (1969)
Es gab einige Versuche, Hippiepop in Easy Listening zu verwandeln – der Band um Beau-Brummels-Drummer John Peterson gelang der überzeugendste. Leon Russell und Van Dyke Parks arrangierten den so komplexen wie beschwingten Sunshine-Sound, „Knock On Wood“ und „Leaving On A Jet Plane“ wehen wie parfümierte Lüftchen, Ted Templeman haucht mehr, als dass er singt. Das vierte ist das beste Harpers-Bizarre-Album, schon wegen des herrlichen und selbsterklärenden Openers, „Soft Soundin’ Music“.
David Hemmings – „David Hemmings Happens“ (1967)
Britische Nonchalance traf auf Westcoast-Flippigkeit, als der coole Hund mit dem Babyface die Arbeit vor der Kamera vorübergehend gegen die im Tonstudio eintauschte. Hemmings war dem psychedelischen Folkrock verfallen, hatte die Bekanntschaft einiger Byrds gemacht und sich mit diesen zu Sessions verabredet. Das resultierende Album bietet etliche musikalische Finessen, Leon Russells Arrangement von Gene Clarks „Back Street Mirror“ etwa oder „Talkin’ L.A.“ mit einem brillierenden Hemmings.
Herr Nilsson – „Herr Nilsson ist ausgezogen“ (1999)
Im Berliner Prenzlauer Berg der 90er-Jahre erschuf die Band um Dichter, Sänger und Kastenbrillenträger Jan Böttcher dieses verschrobene Kleinod deutscher Popmusik, auf dem Wehmut und Komik sich ineinanderschmiegen, als wäre es das Selbst- verständlichste von der Welt. Alle 14 Stücke sind Kurzgeschichten für sich, wobei die Musik meist dem Inhalt folgt: spröder Funk zur Großstadtwanderung mit dem Falk-Stadtplan, düsterer Folk zum Familiendrama nach Ibsen.
Honey Ltd. – „The Complete LHI Recordings“ (2013)
Lee Hazlewood, der Welt stolzester Schnorresträger und schlimmster Finger obendrein, hatte diese vier Damen 1968 für sein Label LHI mitgeschnackt: herrlichster, wunderbar arrangierter Beat-Vokalpop mit der Wrecking Crew als Backing Band – eigentlich eine Platte mit Hits, Hits, Hits. Vielleicht weil das Label nur bis 1971 bestand und keine der Damen sich danach weiterhin groß solo durch die Ellenbogen-Rockwelt schlagen wollte, war diesen Mamas ohne Papas nie der große Erfolg vergönnt.
Hu Vibrational – „Universal Mother“ (2006)
Purer Rhythmus, erzeugt von altersweisen Jazzern auf handgemachten Instrumenten. Hu Vibrational ist das vierköpfige Projekt von Adam Rudolph, der bereits mit Größen wie Don Cherry, Pharoah Sanders und Yusef Lateef gespielt hat. Fast ausschließlich Trommeln und Perkussion weben auf diesem Album einen dichten Klangteppich. Die „Universal Mother“ zieht den Hörer schon nach wenigen Minuten in eine spirituelle, aber auch sehr körperliche Trance-Erfahrung.
Indigo Girls – „Become You“ (2002)
Der Weg ins Werk von Emily Saliers und Amy Ray führt in der Regel über das Album „Swamp Ophelia“ (1994), auf dem die beiden Musikerinnen ihren Folksound groß inszenierten. Doch „Become You“ (2002) legt das Herz der Indigo Girls frei: Saliers und Ray reduzieren Instrumentarium und Gastmusiker und arrangieren ihre Akustikgitarrenlieder mit famoser Schlichtheit und sanfter Introspektion. So strahlen die zweistimmigen Gesänge und die konzisen Lieder.
Wendy James – „Now Ain’t The Time For Your Tears“ (1993)
Für das Solodebüt der Transvision-Vamp-Sängerin schrieben Elvis Costello und seine damalige Gattin, die Ex-Pogues-Bassistin Cait O’Riordan, sämtliche Songs. Das Album fiel 1993 bei Kritik und Publikum durch – kein Jahr für clevere Popmusik, die wie ein missing link zwischen Pretenders und Blondie wirkt. Heute hört man genauer hin – und findet lauter fabelhafte Songs, etwa die betörend zuckrige Ballade „Basement Kiss“ und den unwiderstehlichen New-Wave-Stampfer „London’s Brillant“.
Kaada – „Music For Moviebikers“ (2006)
Das dritte Album des norwegischen Komponisten John Erik Kaada ist der perfekte Soundtrack für lange Winter. Eingespielt wurde das größtenteils instrumentale Werk mit einem 22-köpfigen Orchester auf so obskuren Tasteninstrumenten wie dem Tannerin und dem Typofon. Nichts für Menschen, die in dunklen Stunden zur Selbstentleibung neigen, aber für alle, die der Vorstellung etwas abgewinnen können, einmal auf einem weichen Sofa durch ein Eismeer zu treiben.
Karate – „Unsolved“ (2000)
Das vierte Album der Band aus Boston, die sich 2005 auflöste, vereint am schönsten die beiden Welten, aus denen sich Karate bedienten: leichthändigen Poprock und flüssigen Jazz. Ben Folds meets Steely Dan sozusagen, mit vertrackter Rhythmik und verknäuelten Gitarrenläufen. Dass sie auch in den progressiveren und verspielteren Momenten niemals die Songs aus dem Blick verlieren, ist Stärke und Schwäche zugleich: Für mehr Aufmerksamkeit hätten sie’s exzessiver angehen lassen müssen.
Nik Kershaw – „15 Minutes“ (1999)
Nach fast einer Dekade ohne Veröffentlichung meldete Nik Kershaw sich 1999 mit einem famosen Album voller harmonisch kluger Lieder zurück. Mehrere dieser 13 Songs nehmen eine unerwartete Wendung. Das war schon vorher der Anspruch des Künstlers, doch nirgendwo vermischen sich Handwerk und Seele so gut wie hier. Dazu kommt ein Sound, der die Klangästhetik der 80s hinter sich lässt und stattdessen geschmackvoll und weitestgehend zeitlos eine hervorragende Rockband inszeniert.
Lisa Kindred – „I Like It This Way“ (1965)
„Lisa is made of rhythm“, schreibt Peter La Farge in den Liner Notes. „Her superb body breaks into splinters of beats at the merest hint of music.“ Es ist nicht auszuschließen, dass der Laudator da auch seine Libido sprechen ließ, doch meinte er vor allem den Resonanzkörper der damals 25-Jährigen aus Buffalo/New York, die auf ihrer ersten LP einem Dutzend Songs aus dem Fundus von Blues, Folk und Hootenanny kraftvollen Ausdruck verlieh. Kindreds Stimme kennt aber auch nuanciertere Zwischentöne.
The Leather Nun – „Slow Death“ (1979)
Diese 1978 im schwedischen Göteborg gegründete Band darf man sich wie eine Mischung aus Hells- Angels-Bikern und sadomasochistischer Industrialsekte vorstellen; tatsächlich unterhielten sie beste Beziehungen zu Throbbing-Gristle-Gründer Genesis P-Orridge. Zu ihren ersten Hits gehörte ein ABBA- Cover („Gimme Gimme Gimme!); auf ihrer ersten Platte, der EP „Slow Death“, spielen sie einen schwer verlangsamten, kurz vor dem Ausbruch von Gewalttätigkeiten verharrenden Garagenrock.
Lime Spiders – „The Cave Comes Alive“ (1987)
Nachdem die Lime Spiders mit „Slave Girl“ den australischen Indie-Überhit des Jahres 1984 gelandet hatten, lief alles wie geschmiert für Mick Blood und seine Band. Jello Biafra, Iggy Pop und Joey Ramone schwärmten vom punkbeseelten Garagenrock, mit dem das 1979 gegründete Quintett dann auch ihr Debüt, „The Cave Comes Alive!“, füllten. Songs wie „My Favourite Room“, „Blood From A Stone“ und „Just One Solution“ läuteten ein 60s-Garagenpunk- Revival ein.
Abbey Lincoln – „People In Me“ (1973)
Abbey Lincoln nahm Ende der Fünfziger, Anfang der Sechziger unter dem Einfluss der schwarzen Bürgerrechtsbewegung Jazz-Meisterwerke („Abbey Is Blue“, „Straight Ahead“) auf. Dann wurde es still um sie. Erst 1973 entstand in Japan dieses grandiose Album mit der damaligen Tourband von Miles Davis, meist in nächtlichen Sessions, was den improvisierten Charakter der Stücke verstärkt. Vitaler, natürlicher und befreiender als im identitätsstiftenden Titelsong klang Lincolns Musik selten.
Lio – „Lio“ (1980)
Später begann Lio eine beschauli- che Schauspielkarriere, unter ande- rem für Avantgardisten wie Chantal Akerman. 1979, da war sie 17, er- oberte sie jedoch mit dem Single- debüt, „Le banana split“, die belgi-
schen Charts. Wie das dazugehörige Album lebt es von reizender Spielzeugelektronik. Innerhalb dieser New-Wave-Grenzen hört man hier auch großartige Quasi-Chic-Gitarrenlicks („Comix Discomix“), Fake- Latin („Speedy Gonzales“) und selbstbewusste Melancholie („Amicalement votre“).
Little Steven And The Disciples Of Soul – „Men Without Women“ (1982)
„Someday she’ll marry somebody that’s just like Daddy“, singt Ste- ven Van Zandt, der nicht nur als Gitarrist von Bruce Springsteens E Street Band und als Mobsterdar- steller („Sopranos“) eine Klasse für
sich ist. Dass er auch ein großer Songwriter ist, be- weist er zum Beispiel mit der traurig-schönen Bal- lade „Princess Of Little Italy“. Auch „Inside Of Me“ führt vor, dass Little Steven als Erzähler nicht nur vom Boss gelernt, sondern sich auch etwas bei He- mingway (Albumtitel) abgeschaut hat.
Loretta – „Little Do They Know That In Reality I Am …“ (1999)
Eigentlich könnte hier jedes Album von Loretta stehen, denn sie sind es ohne Ausnahme wert, entdeckt zu werden. Die Leichtigkeit, mit der Andreas Sauer Lieder schreibt, ist verblüffend. Loretta zuzuhören ist wie in Salzwasser treiben, mit der einen oder anderen Welle, die in den Augen brennt. Die Stuttgarter schwanken mit angenehmer Lässigkeit und feiner Ironie zwischen Pop und Country und ein bisschen Rock, die Texte sind niemals blöd, auch wenn ein Song „Put On Your Stockings, Baby“ heißt.
Love Gone Wrong – „Always The Bridegroom“ (1987)
In den Medien gern als australische Antwort auf Elvis Costello gefeiert, tat John Kennedy zwar eine Menge, diese Hochschätzung zu rechtfertigen, doch gelang dem in Liverpool gebürtigen Migranten unbegreiflicherweise nie der Durchbruch ins große Popgeschäft. Dem Bandvehikel, das Kennedy zur Umsetzung seiner großartigen Songs Mitte der 80er-Jahre unterhielt, gab er den Namen Love Gone Wrong – nicht von ungefähr, denn es geht in diesen Liedern vornehmlich um Fallstricke in Beziehungen.
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