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Die 100 besten Geheimtipps 2016, Teil 1
100 weitere Perlen der Popgeschichte, die kaum Beachtung fanden – bis jetzt.
Colin Blunstone - „One Year“ (1971)
Eines der schönsten und seltsamsten Liebeslieder heißt „She Loves The Way They Love Her“. Colin Blunstone hatte es noch für seine Band, The Zombies, geschrieben, doch die löste sich 1967 auf. Ein Jahr arbeitete der Brite mit der Seidenstimme an seinem Solodebüt – es blieb seine beste Platte. Neben besagtem beschwipst swingenden Eröffnungssong überzeugt vor allem das mit Orchester aufgepumpte „Caroline Goodbye“, ein Tränenzieher, wie es kaum einen Zweiten gibt.
Eden Ahbez – „Eden’s Island“ (1960)
Eden Ahbez hat „Nature Boy“ komponiert und sah schon in den 40er-Jahren wie Jesus aus. Er lebte unter dem „Hollywood“-Schriftzug auf den Hügeln, und als ein Polizist ihn einmal aufgriff, sagte er: „Ich sehe
vielleicht verrückt aus, aber ich bin es nicht.“ Er erklärte dem Polizisten, wie verrückt die Welt sei; der war überzeugt und bedankte sich. Ahbez’ einziges Album heißt „Eden’s Island“, eine unvergleichliche Musik dieses ersten Hippies, ein Klassiker des Exotica-Genres.
Anastasia Screamed – „Moontime“ (1991)
1991: Auf einmal entdecken alle Nirvana, Pearl Jam und Grunge, und zu viele verpassen Anastasia Screamed und deren zweites Album, „Moontime“. Vielleicht weil die Band, die wie die Pixies, Dinosaur Jr. und die Lemonheads der Post-Punk-Szene Bostons entstammt, nicht nach Seattle, sondern nach Nashville gezogen ist. Dabei fühlen sich Songs wie „Tornado“, „Stand By“ und „One Deep Breath“ heute an wie die knurrige, überempfindliche Quintessenz des Grunge.Anastasia Screamed – „Moontime“ (1991)
Annette – „Hawaiiannette“ (1960)
Die amerikanische Conny Froboess: Annette Funicello war noch ein Kind, da wurde sie in den USA als Mouseketeer im „Mickey Mouse Club“ berühmt. Die Musik, die Frankie Avalon und Paul Anka für sie
schrieben, ist das dichteste Vorbild des deutschen Schlagers, wie er während der Sechziger klang. Das Album „Hawaiiannette“ ist eine musikalische Strandparty und enthält neben frechen Songs eine Version des Hawaii-Evergreens „Hukilau“: sexy und unschuldig.
Ed Askew – „Ask The Unicorn“ (1968)
Wenn Ed Askew, ein junger Lehrer aus New Haven, seine intimen Traumprotokolle und surrealen Geschichten vortrug, klang das, als holte er sie unter großer Anstrengung aus den Tiefen seiner Seele. Dazu spielte er ein zehnsaitiges, einer Laute ähnelndes Instrument, das sich Tiple nennt. Seine erste Songsammlung, „Ask The Unicorn“, ein wahres Acidfolk-Meisterwerk, erschien 1968. Der Songwriter ward vergessen, bis er vor einigen Jahren über den neopsychedelischen Folk wiederentdeckt wurde.
The Associates – „Wild And Lonely“ (1990)
1980 weckte das Debüt der Associates, „The Affectionate Punch“, die schönsten Hoffnungen: Der schwüle Elektronikpop atmete den Geist der Zeit. „Sulk“ (1982) blieb aber der einzige Erfolg. Billy Mackenzie schrieb die meisten Songs, und als sein Partner Alan Rankine ging, war er die Associates. 1990 erschien „Wild And Lonely“, der letzte Versuch: Mackenzies Gesang strahlt wie tausend Sonnen, und die Melancholie von „Strasbourg Square“ und „Ever Since That Day“ bricht einem das Herz.
John Barry – „Walkabout“ (1971/2000)
Zwischen zwei glitzernden James- Bond-Scores komponierte John Barry diesen Soundtrack zu Nicolas Roegs Coming-of-Age-Drama. Zwei Kinder irren durchs Outback, in der australischen Wüste trifft das Mädchen einen Aborigine-Jungen, ihre Sexualität erwacht. Barry schrieb seine sehnsuchtsvollsten Stücke, arbeitete stärker denn je mit Chören. Die Filmmusik ist vergriffen, die Neueinspielung von Nic Raine und den Prager Philharmonikern, erschienen im Jahr 2000 – eine Offenbarung.
Lucio Battisti – „Il mio canto libero“ (1972)
Ein italienisches Wunder. In seinem Heimatland kennt jedes Kind den scheuen Songschreiber und Sänger, der einige der schönsten (und experimentellsten) Popsongs seines Landes zu verantworten hat. „Il mio canto libero“ ist eine seiner besten Platten: eingängig, lyrisch, oft verstiegen, manchmal exzentrisch. Mit beherzter Unschuldsstimme singt der 1998 verstorbene Cantautore Texte seines Autorenpartners Mogol. Später zog er sich zurück und kommunizierte nur noch über Platten.
Steven „Jesse“ Bernstein – „Prison“ (1992)
„Didn’t do well in school but handled pharmacy and the tools of street crime instinctively.“ Steven „Jesse“ Bernstein, der sich 1991 das Leben nahm, war wie der kleine Bruder von William S. Burroughs: ein labiler, drogensüchtiger Poet mit schnarrender Stimme, dessen Schaffen erheblichen Einfluss auf die Grungeszene hatte. Um mehr Lärm bittet er auf „Prison“, und Produzent Steve Fisk tat ihm den Gefallen, indem er Bernsteins Rezitation mit Cool Jazz, düsteren Ambientklängen und Noise unterlegte.
Jello Biafra With NoMeansNo –
„The Sky Is Falling And I Want My Mommy“ (1991)
Punk engagé: Der kaputte, ins Drastische gesteigerte Funk-Einschlag von NoMeansNo lässt einem die Ohren schlackern. Ob im Stil der Ramones oder gruselig die Spannung aufbauend, ob es um Genmanipulation oder gigantische Ratten geht: Der Bollerbass der Hardcore-Punks rückt Jello Biafras ätzenden Vortrag ins rechte Licht. Nach Auflösung der Dead Kennedys hat er sich mit Lard, D.O.A. und den Melvins die Zeit vertrieben. Seine beste Zusammenarbeit ist aber diese.
Peter Blegvad – „King Strut & Other Stories“ (1990)
Bekannt wurde Blegvad als Teil der Canterbury Scene und als Mitglied von Slapp Happy. Nach dem Ende des Trios, Mitte der Siebziger, versuchte er sich als Songschreiber, am überzeugendsten auf dem von Andy Partridge und Chris Stamey produzierten „King Strut & Other Stories“. Das Artwork des großenteils akustischen Albums mit Peter Holsapple und Danny Thompson erinnert nicht umsonst an ein Penguin-Taschenbuch: Blegvad als gewitzter, scharfsinniger Storyteller.
James Booker – „Classified“ (1982)
Von Dr. John als „the best black, gay, one-eyed junkie piano genius New Orleans has ever produced“ gewürdigt, blieb Booker ein Geheimtipp, weil er kaum Studioaufnahmen zustande brachte. Auch die Sessions zu „Classified“, das ein Jahr vor Bookers Tod erschien, litten unter seinem Drogenkonsum. Das Album zeigt sein unfassbares Talent: Booker verleibte sich Jazz, Blues, Ragtime, Klassik und Rock’n’Roll mit einer Besessenheit ein, die nur jemand haben kann, der schnell verglüht.
Brainstorm – „Among The Suns“ (2000)
Beim Song Contest 2000 reichte es für den dritten Platz (es gewannen die Olsen Brothers), aber wer ein Herz für überdrehten Pop hat, wird den Auftritt der Letten nicht vergessen: Brainstorm hatten mit „My Star“ den besten Song, und Renars Kaupers sang das Lied von den Träumen, den Sternen und der Liebe mit Euphorie. Bei „Among The Suns“ kippt seine Stimme, er lässt sich vom Himmel verwirren und von den Frauen verrückt machen, und am Ende fordert er vergeblich: „All Right, Chill Out“.
Francoiz Breut – „Une saison volée“ (2005)
Calexico und Herman Düne nahmen Songs mit ihr auf, Howe Gelb schrieb ihr eine glühende Hommage: Die sommersprossige Françoiz Breut entspricht keinen Moment lang dem Klischee der säuselnden Mademoiselle. „Une saison volée“ ist das Meisterwerk der Sängerin. Die amerikanischen Einflüsse sind unüberhörbar, der Himmel über den Liedern scheint unendlich weit. Ebenso präsent ist aber auch das klassische Chanson, der Geist von Françoise Hardy.
Butter 08 – „Butter 08“ (1996)
Nach einem Barbesuch stolperten Yuka Honda und Miho Hatori von Cibo Matto mit Russell Simins von The Jon Spencer Blues Explosion und Rick Lee von Skeleton Key in ein Studio, um eine Runde zu jammen. Heraus kam dieser wahnwitzig zwanglose, groovende Bastard aus Noise-Punk und Retropop, den die Beastie Boys sofort für ihr Label haben wollten. „Butter Of ’69“ hätte die Indiehymne der 90er-Jahre werden müssen, und bei „It’s The Rage“ hat Sean Lennon einen seiner ersten Auftritte.
Chairmen Of The Board – „The Chairmen Of The Board“ (1970)
COTB aus Detroit waren in der Soulhistorie nur eine mittelwichtige Erscheinung. Doch auf ihrem Debüt unter der Ägide von Holland– Dozier–Holland deutet sich bereits der Post-Motown-Groove auf dem Weg zum Philadelphia-International- und Disco- Sound an. Der Midtempohit „Give Me Just A Little More Time“ ist ein Highlight der damaligen Orchester-Arrangements, „Come Together“ eine ungewöhnliche Beatles-Coverversion, und man gibt sich alle Mühe, den Motown-Style aufzuknacken.
Shirley Collins & The Albion Country – „No Roses“ (1971)
Eine der tollsten Platten, die das britische Folkrevival hervorgebracht hat. Shirley Collins singt mit heller, nie seichter Stimme englische Volkslieder über die Mühsal des Daseins und den Schrecken des Todes – und modernisiert sie, indem sie in ihren Arrangements traditionelle Instrumente wie Konzertina, Fiedel und Hackbrett neben elektrische Gitarren und Bässe setzt; auch der Saxofonist Lol Coxhill hat einen erstaunlichen Auftritt. Elektrischer Folk ohne Natur-, Ethno- oder sonstigen Hippiekitsch.
Alice Coltrane – „Ptah, The El Daoud“ (1970)
Sie erhob das Befreiungsstreben des Free Jazz ins Spirituelle: Mit dem Piano, der Wurlitzer und der Harfe, die ihr Gatte, John, ihr zur Hochzeit geschenkt hatte, nahm Alice Coltrane einige erstaunliche Alben auf, erhaben und radikal in ihren Klangbildern und Konstellationen. „Ptah, The El Daoud“, ihr drittes Solowerk, ist vom Zusammenspiel mit Joe Henderson und Pharoah Sanders geprägt, am tollsten bei „Blue Nile“, als ornamentales Flötenduo im Kontrast zu Coltranes Harfe.
Bobby Conn – „The Golden Age“ (2001)
Er ist der Springsteen des US- Underground, aber er geht tiefer unter die Gürtellinie als der „Boss“. Conn singt von den Verlierern unter den Verlierern des amerikanischen Traums, über Blowjobs von zahnlosen Nutten („Whores“), von Kokainentzug und von Musikern, die nie eine Platte verkaufen werden („An- gels“). Er ist auch einer der größten Parodisten, die Chicago je hervorgebracht hat: Der Kuhglockenrock plus Falsett von „You’ve Come A Long Way“ vereint Hawkwind mit Prince.
Craig Davies – „Groovin‘ On A Shaft Cycle“ (1990)
Craig Davies hat nur zwei Platten aufgenommen. „Groovin’ On A Shaft Cycle“ ist die zweite. Der Mann aus Manchester singt überbordende Chansons und theatralische Balladen mit brechender Stimme, er ist Jacques Brel und Scott Walker ohne Form und Stilistik – alles ist Gefühl. Es wurde nichts daraus, nicht einmal eine kleine Indiekarriere. „Groovin’ On A Shaft Cycle“ aber klingt noch immer wie ein Versprechen: keine Frühvollendung, sondern ein ewiger Anfang.
Dion – „Alone With Dion“ (1961)
Die Tage chromblitzender DooWop-Herrlichkeit in der Bronx waren unwiderruflich vorbei, nachdem sich Dion im Streit von den Belmonts getrennt hatte. Als Solist glaubte der begnadete Sänger seinen musikalischen Vorstellungen besser gerecht werden zu können. Doch plagten ihn auch Selbstzweifel. So ist seine erste Solo-LP ein Dokument der Stilsuche, DooWop informiert natürlich, aber auch mit fingerschnippendem Swing, im Vertrauen auf die bewährte Statik romantischer Standards.
Dirty Three – „Whatever You Love, You Are“ (2000)
Die Nick-Cave-Alben „No More Shall We Part“, „Nocturama“ und „Push The Sky Away“ wären ohne Warren Ellis’ klagend-fiebrige Violine nicht denkbar. Den Sound dafür hatte er bereits mit dem australischen Experimentaltrio Dirty Three entwickelt, am schönsten nachzuhören auf „Whatever You Love, You Are“. Wie sich darauf Jazzrhythmen zu einem sonischen Mahlstrom wie „I Offered It Up To The Stars & The Night Sky“ erheben, das ist von wahrhaftiger Transzendenz.
Divine Styler – „Wordpower 2: Directrix“ (1999)
Der gebürtige Brooklyner Marc Richardson veröffentlichte sein De-büt, „Word Power“, 1989 für Ice-Ts Label Rhyme Syndicate. Verwegen getextet blieb es musikalisch eher konventionell. Sein nächstes Album feierte 1991 experimentell seine Konversion zum Islam, danach tauchte er jahrelang nur mit gelegentlichen Produktionscredits auf. 1999 meldete er sich mit diesem reduzierten, elektronisch-perkussiven Trip voll seltsamer Five-Percenter-Raps, Muezzin- Samples und abstrakter Beats zurück.
The Dukes Of Stratosphear – „25 O’Clock“ (1985)
Würde man sich eine Reminiszenz an die psychedelische Phase der Sechziger ausdenken, dann hieße sie genau so. Eigentlich sind die Dukes die Band XTC aus Swindon, doch als die Herren um Andy Partridge irgendwann mal keine Lust mehr hatten, Pläne für Nigel zu machen, steckten sie ihre besten LSD-Ideen hinter ein Op-Art-Pop-Art-Cover, gaben sich psychedelische Pseudonyme und gingen musikalisch trippen. „25 O’Clock“ klingt, als wären die frühen Pink Floyd kurz mal 20 Jahre in die Zukunft gereist.
The Earlies – „These Were The Earlies“ (2004)
Eine Beerdigung und die Frage, wer hier eigentlich zu Grabe getragen wird. „Maybe I didn’t see I was buried today/ Wasting away and sleeping all alone“, singt Brandon Carr in „One Of Us Is Dead“, das zu Beginn dieses Albums die Grauzone zwischen Schlafen, Träumen, Sterben erkundet. Das Debüt des US-Kollektivs lässt sich wie ein Traumtagebuch eines Toten lesen. Euphonium und Oboe treffen auf Sequenzer und Synthesizer, Choräle und Elektropop zerschmelzen zu einem Epos der Schwermut.
Eggs Over Easy – „Good ’N’ Cheap“ (1972)
Bei einem Trip nach England, der eigentlich dazu dienen sollte, ein Album mit Chas Chandler aufzunehmen, verlor das Trio aus New York seine Plattenfirma. Es erspielte sich aber auf einer kleinen Tour eine große Fangemeinde, aus der schließlich der Pubrock hervorging. Zurück in der Heimat fanden Eggs Over Easy ein neues Label und nahmen mit Link Wray elf ihrer insgesamt um die 50 eigenen Songs auf. Das Ergebnis, „Good ’N’ Cheap“, ist ein sehr süffiges Countryrock-Album.
Jad Fair And Daniel Johnston – „It’s Spooky“ (1989)
Fair trat vor allem mit seinem Bruder, David, im Artpunk-Duo Half Japanese in Erscheinung. Johnston wiederum ist ein toller melodiöser, aber schizophrener Songwriter aus Texas, dessen Werk man, von den selbst produzierten Kassetten abgesehen, Ende der Achtziger durch ein paar Alben seiner Fans bei Homestead kennenlernen konnte. Das bröcklige, berührende Album dokumentiert die Zusammenarbeit zweier Geister, die über das normative Bewusstsein hinaus verwandt sind.
Fingers Inc. – „Another Side“ (1988)
Ein untypisches Format der frühen House-Ära. Statt der üblichen Sammlung von 12-inch-Tracks ein in London produziertes Doppelalbum, dessen Cover Larry Heard, Robert Owens und Ron Wilson als smarte Electro-Dandys zeigt. Vier Seiten mit jeweils vier Songs, darunter der Acid-House-Klassiker „Can You Feel It“. Das später so dominante Four-to-the- Floor-Gebolze der Berliner Technoschule ist hier noch weit weg. Nie mehr war Chicago House so luftig und elegant.
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