Deutschland Swingt – Von der Depression ins Tausendjährige Reich, von den Trümmern in die Cocktail-Bar
n der Heimat des gepflegten „HolFleri-Du-Dödel-Di“, wo allabendlich die Henker der Volksmusik dem Publikum glauben machen, dass nur das Banalste gut genug sei fürs deutsche Wohnzimmer, hat der Hot-Freund mitunter die lustigsten Erlebnisse. „Was, ein Swingfan bist Du? Sind das nicht die Typen, die ständig mit anderen Bettpartnern™?“ – „Swing, das ist doch James Last, Paul Kuhn und so, stimmt’s?“ So und so ähnlich klingen dem Swingfan die kenntnisreichen Kommentare seiner Mitmenschen in den Ohren, und desillusioniert stellt er fest, dass die Zeiten vorbei sind, in denen Namen wie Benny Goodman und Louis Armstrong (genau, der aus der Opel-Reklame!) zur Allgemeinbildung gehörten. Und doch lässt schon das Wort Swing etwas von dem erahnen, was sich dahinter versteckt: Da schwingt etwas, da ist Bewegung, Spaß, Dynamik. Das klingt doch eigentlich nach Popkultur, und – Treffer! – genau das ist es auch. Mit Neo-Swing-Bands wie den Cherry Poppin‘ Daddies, dem Brian Setzer Orchestra, Indigo Swing oder Big Rüde Jake schwappt seit letztem Jahr eine neue Swing-Wfelle aus den USA nach Europa. Aber was an diesem Swing ist denn nun „neo“, und was gab’s davor? Mit der Aufnahme „It Don’t Mean A Thing If It Ain’t Got That Swing“ hatte Duke Ellington 1932 dem Stil nicht nur einen Namen gegeben, sondern auch die 30er Jahre zum Swing-Jahrzehnt ausgerufen. Meist 16-köpfige Swing-Orchester brachten die Ballsäle zum Kochen, die „Big Band-Ära“ war auf ihrem Höhepunkt. Dabei waren es vor allem schwarze Bandleader von der musikalischen Genialität eines Duke Ellington oder Fletcher Henderson, die in punkto Arrangements die Standards setzten. Und nachdem die swingende Tanzmusik in den USA der Standard geworden war, prägte sie via Schallplatte umgehend auch die europäische Szene. Auch hierzulande versuchten die Bands, ihr Repertoire mit virtuoser „Hotsolistik“ zu würzen, also zu einem durcharrangierten Titel frei zu improvisieren. Heiß sollte es klingen, energiegeladen, Lebensfreude zum Ausdruck bringen. Ungemein tanzbar war dieses swingende Elixier, gleichzeitig aber auch anspruchsvoll genug, um daheim auf der Schellackplatte goutiert zu werden. Nach dem nur mühevoll überstandenen Chaos der Weltwirtschaftskrise wollten die Menschen wieder Freude am Leben finden, Ablenkung von den Widrigkeiten des Alltags. Auch in Deutschland hatte die typisch amerikanische Kunstform Jazz eingeschlagen, und so geschah es am Anfang der Dreißiger zum ersten Mal, dass das Swing-Virus in Deutschland grassieren konnte. Die musikalische Evolution ging hier langsamer vor sich, und sie war auch – anders als in den USA – nicht mit juveniler Massenhysterie verbunden. Der Jazz und seine populärste Ausformung, der Swing, konnte sich schon aufgrund der soziokulturellen Struktur der USA nur dort entwickeln. Er ist gleichsam die Versinnbildlichung des amerikanischen Mythos, angereichert mit den Werten von kultureller Freiheit und Demokratie. Jedenfalls tat der Mythos ein übriges, die neue Musik auch für die deutsche Jugend interessant zu machen und immer mehr hiesige Kapellmeister auf sich einzuschwören. Was dabei akustisch herauskam, war nicht gerade original amerikanischer Swing – wie auch, denn Improvisationskunst und das gewachsene „Feeling“ kann man nicht vom Notenblatt spielen. So haben noch heute die meisten deutschen Swingbands mehr Ähnlichkeit mit Feuerwehrkapellen als mit hochprofessionellen US-Formationen. Aber man eiferte immerhin ehrlich den modernen forbüdern hinterm Großen Teich (und auch hinter dem Kanal!) nach. Die großen Metropolen wie Berlin und Hamburg entwickelten sich zu den Swing-Hauptstädten, ihre Tanzcafes und Ballsäle zu Hot-Tempeln. Hier wurden einheimische Bands gefeiert wie etwa die von James Kok, Erhard Bauschke oder Kurt Hohenberger. Auch englische Spitzenorchester wie das von Jack Hylton gastierten regelmäßig. Ab 1935 begann – zwischen Berliner Olympiade und Hamburger Tanzcafes – der Stern des jungen Schweizer Bandleaders Teddy Stauffer zu leuchten, der für den Swing im Nachrkriegs-Deutschland neue Maßstäbe setzte. Das allzu menschliche Bedürfnis der Jugendlichen, mit einer Clique Spaß zu haben und zu einer angesagten Musik zu tanzen, steckte sicher ebenso dahinter wie die nicht minder verbreitete Provokation der Eltern-Generation. Für die Eltern (die meisten zumindest) war Swing damals „Urwaldmusik“ und genauso ungenießbar wie heute Hip-Hop oder Techno. Obendrein kreierten die „Swings“ ihren extravaganten „Swingtanz“ (der nichts mit den Standard-Tanzschritten zu tun hatte, wie man sie heute wieder in jeder Tanzschule lernen kann). Auch er sollte so unangepasst und provozierend wie möglich wirken: Man tanzte allein oder paarweise, wobei das Geschlecht des Partners überhaupt nicht entscheidend war. Ehrensache, daß die Schritte und das ganze Verhalten so „abgefahren“ wie irgend möglich waren – nur schräg musste es aussehen! Derart unzivilisiertes Verhalten stieß allerdings nicht nur bei den Eltern auf Unverständnis: In Deutschland war seit 1933 die „nationale Revolution“ in vollem Gange, und der allgegenwärtigen NSDAP-Führung war das „undeutsche Treiben“ ein Dorn im Auge. Die Zeichen der Zeit standen nicht gerade auf friedlichen Ausgleich und Kulturaustausch. Die den Deutschen angeblich „blutseigene“ Kultur war es, die wiedererweckt werden sollte, und zu diesem Behufe predigte die Partei unverhohlenen Rassismus gegen alles Fremde. Märsche, Volkslieder und die harmlose Unterhaltung (mit der Betonung auf Haltung 1 .) wurden favorisiert – ob das Volk es nun hören wollte oder nicht. Der Swing war genau der Gegenpol zu diesen angestrebten Werten. Viele seiner Musiker und Komponisten waren schwarzer oder jüdischer Herkunft, weshalb er mit solchen Verbal-Scheußlichkeiten wie „Verjudete Negermusik“, „Urwaldgedudel“ und „Kulturbolschewismus“ belegt wurde. Die Swingfans gaben sich dazu noch betont lässig-britisch und wollten so gar nicht in das Idealbild der Hitler-Jugend passen: „Der Boy, das Girl, sie lieben den Hot und meiden die sture Meute HJ.“ Die Staatsgewalt konterte: „Was mit Ellington anfangt, hört mit einem Attentat auf den Führer auf.“ Die Fronten waren klar. Der Nazis forderten Unterordnung und nationalen Gehorsam sein, die Swings wollten das genaue Gegenteil. Sie leisteten damit noch nicht unbedingt Widerstand, aber sie waren auf jeden Fall in einer Opposition, die der totalitäre Staat nicht dulden mochte. Swingmusik war in Deutschland „unerwünscht“, und bereits im Oktober 1935 erließ man ein „Verbot des Nigger-Jazz“ für den Deutschen Rundfunk. Vielfaltig liefen die lokalen Verbote und Beschränkungen, die sich die erbosten Nazis gegen den Swing ausdachten, allerdings ins Leere. Ein komplettes „Swing-Verbot“ für das gesamte Reich gab es nicht. Die NS-Funktionäre kannten oft selber nicht, was sie da verbieten wollten, und so wirken manche Maßnahmen aus heutiger Sicht eher belustigend. Die Menschen allerdings, die von der Härte der NS-Justiz“ getroffen wurden, fänden dies weniger lustig: So manche Hotfreunde bezahlten ihre Liebe mit der Freiheit oder gar dem Leben. Der Hamburger Günter Discher sein Lebensgeschichte Vorbild für den US-Spielfilm „Swing Kids“ war, stand nicht nur zur geliebten Musik – er handelte sogar eifrig mit den verbotenen Platten. Das brachte ihm Gestapo-Verhöre ein und zwei Jahre Haft im Jugend-KZ Moringen. Obwohl seitdem gesundheitlich angeschlagen, ist der heute 75jährige- noch immer in Sachen Swing aktiv und tourt erfolgreich als „Deutschlands ältester DJ“ durch die Lande. Die meisten Swingfans sind nun wieder jugendliche, und seine DJ-Abende sind so gut besucht, dass alle tief einatmen müssen, um noch hineinzupassen. Doch das ist schon der dritte Triumph des Swing in Deutschland, und soweit sind wir noch nicht.