Deutsche im Ausland

Unser Kolumnist Rocko Schamoni erklärt am eigenen Beispiel, was so alles schief laufen kann, wenn man fremden Kulturen und Tunneleinfahrtshöhen allzu ignorant und überheblich begegnet

Dieses Mal möchte ich Ihnen meine eigene Beschränktheit anhand einer Urlaubsgeschichte erläutern. Es ist eine Geschichte der Völkerbegegnung.

Sommer in Frankreich, in der Bretagne. Wir verbrachten entspannte Wochen an den wilden Stränden zwischen alten deutschen Bunkeranlagen, was für eine außerordentlich schöne Küste, was für eine Vorstellung hier leben zu dürfen, hier ein Haus zu besitzen, eventuell eines mit Blick auf das Meer – ein nahezu unerfüllbarer Wunschtraum, denken wir Deutsche auch heute noch, wenn wir hier sind.

Eines Nachmittags fuhr ich mit meiner kleinen Urlaubsgruppe nach Saint Malo, der legendären, steinernen, alten Seeräuberstadt an der Nordküste, und wir ließen uns dort durch die Gassen treiben. Im Schaufenster eines Maklers entdeckte ich unter verschiedenen anderen Grundstücksangeboten das Foto einer kleiner Felsinsel im Meer direkt vor der Küste, auf der ein längliches, altes Steingebäude stand. Darunter waren verschiedene französische Informationen über das Objekt abgebildet – und der Preis von: 150.000 Euro. Ich muss dazu bemerken, dass ich des Französischen nur sehr eingeschränkt mächtig bin. Ich konnte es gar nicht glauben. In Europa, in Frankreich, in der Bretagne, heutzutage, eine eigene Insel, sogar noch mit einem alten Haus darauf und das alles für nur 150.000 Euro! Wie dekadent muss man als Franzose sein, über so ein Angebot hinweg zu sehen? Oder wo war der Haken an der Sache? Vielleicht war das Haus baufällig? Ohne Heizung? Mit Wasserschäden? Mit schwarzem Schimmel oder einer schlechten Dämmung? Vorsichtig blickte ich zu allen Seiten, um festzustellen, ob einem der anderen Flaneure womöglich ebenfalls dieses unglaubliche Angebot ins Auge gefallen sein könnte. Aber niemand schien darauf zu achten, ich war augenscheinlich der Erste, der es entdeckte. Ich gab den Frauen und Kindern, die mich begleiteten, ein unauffälliges Zeichen, auf das Angebot zu schauen und versuchte ihnen durch die bedeutungsstarre Erregtheit meiner Augen zu verstehen zu geben, dass wir eventuell heute Vormittag den Kauf unseres Lebens tätigen könnten. Eine Zukunft in Frankreich, auf einer eigenen Insel, im Atlantik. Ab Morgen schon! Unser jämmerlicher Campingurlaub könnte heute endlich in das mondäne Leben münden, von dem ich schon seit meiner Jugend wusste, dass ich es eigentlich verdient hätte. Wir bauten uns drinnen mit mehreren Stühlen vor der jungen Maklerin auf, und ich bat sie – auf Englisch – um die Unterlagen zu der Insel: „I would like to see the informations of the island.“ „Pardon?“ „The Island! You know – from your window!“ Immer wieder erklärte ich ihr, dass wir an der Insel interessiert wären, der Insel von dem Foto draußen, die kleine, billige Insel mit dem alten, schrottigen Haus – für 150.000 Euro. Die Dame sprach kaum Englisch. Meine Begleiter, zwei Frauen und zwei Mädchen, waren mittlerweile ebenfalls leicht angeturnt von der Aussicht auf dieses fantastische Schnäppchen. „Don’t you know what I mean? You have a photo of an island in your window. Very cheap island. With little, old house. Cheap! We want.“ Langsam aber sicher wurde ich echt sauer auf die Maklerin. Wann würde die dumpfe Nuss denn nun endlich mit den Grundstückspapieren rausrücken? „Don’t you understand, you stupid, silly french woman!“, hätte ich am liebsten laut gesagt. Schließlich begriff die Maklerin ganz langsam, was ich denn meinen könnte, und antwortete uns auf Französisch. Das Lächeln in ihrem Gesicht war dabei eher erfroren, fast peinlich betroffen, vielleicht sogar säuerlich beleidigt, ich konnte es nicht wirklich deuten und ärgerte mich insgeheim über die unfreundliche Bedienung in diesem Land. Immer wieder fiel der Begriff „Fornational“ und langsam schälte sich die entscheidende Information hinter dem Bild heraus: Dieses Foto war der Blick aus einer kleinen Einzimmer-Wohnung im Hafen von Saint Malo, die von ihrer Küche aus einen recht gute Sicht auf die dem Hafen vorgelagerte Insel mit dem Fort National hatte. Und diese kleine Wohnung mit dem schönen Blick war für 150.000 Euro zu verkaufen. Das Fort National – muss man dazu sagen – ist ein Heiligtum der Bretagne, seit Jahrhunderten Widerstandsbollwerk der Franzosen gegen die angreifenden Engländer, trutziges Warnsignal, Inbegriff des bretonischen Nationalstolzes.

Wir begriffen immer noch nicht. Selbst nachdem die Dame mehrmals und nachdrücklich den Begriff „Fort National“ gebellt hatte, wollte unsere Verblendung nicht weichen. „Ja was – Fort National. Na und? Wenn das so billig ist nehmen wir das! We take. Is it empty?“

Ein aus dem Nebenzimmer herbeieilender Mitarbeiter versuchte in den Nebel unsere Dumpfheit auf Englisch vorzudringen. „Pardon. Hallo. Fort National not for sale. Never. Is just view on Fort National. Understand? The View on Fort National cost 150 000 Euro. Do you understand what I say???“ – „You stupid German Asshole, if I could I would shit right in your face!“ Stand als Subtext zum eben gesagten in sein Gesicht geschrieben.

Als die Information endgültig zu uns durchgedrungen war und wir uns untereinander flüsternd darüber abgesichert hatten, saßen wir einige Sekunden still und betreten mit gesenkten Häuptern vor der Maklerin, die uns mit strengem Blick musterte. Da wollte also eine norddeutsche Kleinfamilie das Nationalheiligtum der Franzosen für einen Preis kaufen, für den man auch in ihrer piefigen Heimatstadt ganz sicher keine Einzimmerwohnung mehr erstehen könnte. Wollte das Fort National als Ferienwohnung ausbauen, um dann im Sommer mit ihren norddeutschen Freunden auf dem Wehrbalkon Bier zu saufen und Wurst zu fressen, während die Bürger von Saint Malo dabei zusehen müssen – was der Krieg nicht schafft, das schafft der Kapitalismus. „Denkt Ihr Euch wohl, ihr Spinner“, dachte sich die Maklerin. Die Scham lag zentimeterdick in die Luft zwischen uns genagelt, man hätte sie greifen und mit Zangen entfernen müssen, um den Blick von Angesicht zu Angesicht wieder frei zu bekommen. Unter einer leisen verschämten Verabschiedung mit einigen „Aha“s und „Pardon“s verließen wir mit betretenen Gesichtern das Geschäft, taperten wie gebeugte Schatten zu unserem Gebrauchtwagen, um damit zurück auf unseren Campingplatz zu fahren.

Leider hatten die Demütigungen dieses Tages noch nicht ihren finalen Höhepunkt erreicht – oder mit anderen Worten: Für diese, unsere Überheblichkeit hatte der Gott der Verblendung eine direkte und harte Strafe bereit! Mit niedergeschlagener Stimmung bestiegen wir das Auto, auf dessen Dach ich zwei hochwertige Rennräder geschnallt hatte, und verließen den städtischen Parkplatz, um in das Dorf zurück zu fahren, in dem wir campierten. Im Zentrum von Saint Malo gibt es eine große Kreuzung, an der sich die Straße aufteilt: Entweder fährt man dort durch einen Tunnel unter der Kreuzung hindurch, oder man hält oben an einer Ampel und wartet geduldig ab, bis es grün wird. Genervt von der Demütigung der Maklerin, bat ich meine Freundin, die den Wagen fuhr, doch bitte nicht umständlich oben an der Ampel anzuhalten, sondern – schlau wie vermutlich die meisten Einheimischen – durch den Tunnel zu fahren und so viel Zeit zu sparen, während die dämlichen deutschen Touristen oben an der Ampel die ihrige verplemperten. Gestresst von meinen harschen Anweisungen achtete sie nicht auf ihren warnenden Instinkt, sondern gab Gas in Richtung Unterführung. Ich weiß noch, dass mir in diesem Moment die rot-weiße Markierung über der Tunneleinfahrt auffiel und der etwas abstrakte Hinweis „Attention 2,30 m“. Etwa eine Sekunde später gab es ein unglaubliches Geräusch, erst einen gigantischen Knall, danach ein langes ziehendes Kreischen und gleichzeitig dabei ein Prasseln von Metall auf Metall – links und rechts von uns flogen Funken, Reifen quietschten, die Kinder schrien, wir machten eine Vollbremsung. Alle Autos hinter uns taten es uns nach, es bildete sich sofort ein Stau, Leute stiegen aus, zeigten auf uns, redeten über uns, blafften uns an. Ich stieg ebenfalls aus und blickte mich um, immer noch geblendet von der eigenen Dummheit, in Zeitlupe bauten sich in meinem Kopf die Informationen zu einem sinnvollen Bild zusammen. Dann musste ich möglichst schnell und auf allen Vieren mit vor Scham rotem Kopf die Einzelteile der komplett zerborstenen Rennräder von der Fahrbahn des Tunnels sammeln und den verbogenen Müll in unseren Kofferraum laden. Die einzige Genugtuung für mich war: Der Boden des Tunnels war übersät mit alten Schrauben und Bolzen von all den Arglosen, die vor uns ebenfalls in diese böse Falle von Saint Malo gefahren waren. Später bekam ich heraus: Einheimische fuhren übrigens nie durch diesen Tunnel, sie kannten ja den ewigen deutschen Stau hier unten und blieben lieber an der oberen Einfahrt stehen, um dem touristischen Unfalldesaster belustigt zuzuschauen.

Auf der Fahrt nach Hause blieb es im Wagen lange still.

Autorenbild von Kerstin Behrendt

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