„Der Zwerg frass sich in mein Hirn“
George R. R. Martins romane sind seit Jahren bestseller. er hielt sie für unverfilmbar, Doch der Erfolg von „Game Of Thrones“ hat ihn eines besseren belehrt
Der Autor, klein, rund und stämmig, gibt uns eine Führung durch sein Büro. An den Wänden hängen die Andrucke von Buchcovern aus aller Welt, meist Illustrationen mit schwert-schwingenden Rittern und knallbunten Superhelden. In mehreren Zimmern befinden sich Glasvitrinen mit dreidimensionalen Kulissen, in denen Miniatur-Ritter und andere bemalte Figuren ihre epischen Schlachten schlagen. Martin, in New Jersey geboren, aber längst in Santa Fe/New Mexico sesshaft geworden, hatte vor Jahren das Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite gekauft und in sein kleines Reich umfunktioniert – komplett mit geheimnisvollen Bleiglas-Fenstern und einem Turm, der seine Bibliothek beherbergt.
Mit seinen 63 Jahren hat Martin noch immer die Begeisterungsfähigkeit eines pubertierenden Nerds, gleichzeitig aber auch die Geistesabwesenheit eines tattrigen Zauberers. „Ein Tanz mit Drachen“, der fünfte Teil seiner siebenteiligen Serie „Das Lied von Eis und Feuer“, wurde letztes Jahr veröffentlicht und steht seitdem in der Bestenliste der „New York Times“ (in Deutschland wurden die Bücher in bisher zehn Bände aufgeteilt). Der Nachfolger wird von Fans in aller Welt ungeduldig erwartet. „Ich habe 1991 mit den Büchern angefangen“, sagt er kopfschüttelnd. „Ich bin seitdem so viel älter geworden, während die Charaktere gerade mal zwei, drei Jahre gealtert sind.“
Wie lässt es sich erklären, dass zu Beginn der Serie auf Magie fast völlig verzichtet wird?
Ich liebe Fantasy, aber ich liebe auch historische Romane. Ich wollte die bes-ten Elemente der beiden Genres verknüpfen – was aber bedeutet, dass man sich der Welt der Magie nur behutsam nähern sollte. Ich habe den größten Respekt für Tolkien und „Herr der Ringe“, und wenn man sich Mittelerde anschaut, dann liegt das Magische zwar ständig in der Luft, doch wirklich greifbar ist davon vergleichsweise wenig. Gandalf wirft nicht mit Lichtblitzen um sich. Wenn auf jeder Seite Magie ist, verliert sie schnell an Wirkung.
Es gibt Schriftsteller, die jedes Element der Handlung minutiös planen, andere improvisieren bewusst. In welche Kategorie fallen Sie?
Ich habe sogar Namen für diese beiden Kategorien von Schriftstellern – ich nenne sie „Architekten“ und „Gärtner“. Der Architekt hat alle Baupläne zur Hand, wenn er einen Nagel einschlägt; er weiß genau, wie das Haus später aussehen wird und wo die Rohre verlegt sind. Der Gärtner gräbt ein Loch in den Boden, legt ein Samenkorn hinein, bewässert es – manchmal sogar mit seinem eigenen Blut – und wartet ab, was herauskommt. Er weiß, was er gepflanzt hat, aber es gibt auch Überraschungen. Nun ist sicher kaum ein Autor nur Architekt oder nur Gärtner, aber im Zweifelsfall bin ich eher Gärtner. Ich kenne das Ende dieser Buchserie, ich kenne das Schicksal aller Protagonisten, aber es gibt Nebenfiguren und andere Details, die sich erst beim Schreiben einstellen. Als Leser wie auch als Schriftsteller geht es mir primär um die Reise selbst – und nicht um das Ziel.
Ihre Bücher leben von einem subtilen Horror: Der Leser hat das Gefühl, dass jede der Figuren im nächsten Moment sterben könnte.
Niemand kann sich sicher fühlen, weil die Handlung nun mal während des Krieges spielt. Ich selbst war Kriegsdienstverweigerer und deshalb nie im Krieg; ich hatte aber Freunde, die mir von Vietnam berichteten. Eine ihrer elementaren Erfahrungen war: Es spielte keine Rolle, ob man der beste Schütze war oder die meis-ten Liegestützen machen konnte – jeder konnte jederzeit getötet werden.
Wie entstand die Figur des Tyrion Lannister, des intriganten Zwergs?
1981 schrieb ich mit Lisa Tuttle ein Buch mit dem Titel „Sturm über Windhaven“. Darin steht ein eigentlich beiläufiger Satz: Einer der Charaktere erzählt davon, dass er eine weit entfernte Insel besucht habe, auf der ein Zwerg lebe, der der hässlichste, aber auch der gerissenste Mann sei, den er je getroffen habe. Aus irgendeinem Grund blieb diese Zeile in meinem Gedächtnis hängen, und als ich mit „Game Of Thrones“ anfing, war der Zwerg umgehend zur Stelle. Irgendwie schaffte er es, sich in mein Hirn zu fressen und zu einem der lebendigsten Charaktere des Buchs, ja der ganzen Buchreihe zu werden.
Haben Sie mit dem Erfolg der Fernsehserie gerechnet?
Meine Bücher sind eigentlich so geschrieben, dass sie nicht verfilmt werden können. Ich schrieb sie, nachdem ich zehn Jahre lang in Hollywood gearbeitet hatte, wo man mir ständig erzählte, dass meine Drehbücher großartig seien, aber in der Umsetzung viel zu teuer. Ob ich nicht mit weniger Personen auskommen könne? Ob wir nicht aus der Schlacht ein Duell machen könnten? Es war eine Arbeitsweise, die mir nicht sonderlich Spaß gemacht hat. Als ich also wieder zu den Romanen zurückkehrte, dachte ich mir: „Prima, über Budgets brauchst du dir nun keinen Kopf mehr zu machen.“ Ich gab den Romanen so viel Platz und Raum, wie es meine Fantasie erlaubte und hätte mir nie träumen lassen, dass sie eines Tages verfilmt werden. Nun sind es (die HBO-Produzenten) David Benioff und Dan Weiss, die sich mit Migräneanfällen herumschlagen müssen, nicht ich.
Wie weit sind Sie mit „The Winds Of Winter“, dem nächsten Buch?
Leider nicht so weit, wie ich’s mir wünschen würde. Es wird wohl wieder ein Schmöker mit 1.500 Seiten werden, aber ich habe gerade 200 davon geschrieben.
Haben Sie Angst, dass die Fernsehserie den Stoff so zügig umsetzt, dass sie mit dem Schreiben nicht nachkommen?
Angst vielleicht nicht, da der Puffer doch noch ziemlich groß ist. Aber fragen Sie mich das in einem Jahr noch mal! Ich jongliere gleichzeitig noch mit ein paar anderen Projekten und muss lernen, Nein zu sagen, wenn mich Leute um eine Kurzgeschichte oder ein Vorwort bitten. Die ganze letzte Woche habe ich damit verbracht, Einleitungen zu drei verschiedenen Büchern zu schreiben. Denn dummerweise schreibe ich eher langsam – egal ob es nun ein epischer Roman oder ein Vorwort ist. „Es sind doch nur 1.000 Wörter – die haust du doch an einem Nachmittag raus!“ Nein, kann ich nicht. Ich schwitze drei Tage darüber.
An welchem Tag ist Ihnen bewusst geworden, dass Sie sich um Geld keine Sorgen mehr machen müssen?
Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Tag schon gekommen ist. Als Kind wuchs ich in einer Armensiedlung in Bayonne/New Jersey auf. Ich habe erfahren, was es bedeutet, wenn das Portemonnaie plötzlich leer ist. Als ich damals die Rechte an „Armaged-don Rock“ (seinem Rock’n’Roll- und- Mystery-Roman von 1983) verkaufte, bekam ich 100.000 Dollar. Ich hatte etwa ein Jahr daran gearbeitet und dachte: Aha, du verdienst also jetzt 100.000 Dollar im Jahr. Was ein elementarer Denkfehler war. Ich kaufte ein Haus und einen neuen Wagen, doch das Buch lag wie Blei im Regal. Wir mussten eine zweite Hypothek aufnehmen, und ich quälte mich ständig mit der Frage: Womit soll ich bloß die monatlichen Rechnungen zahlen? Wenn ich heute einen Scheck bekomme, frage ich mich immer noch: Was passiert, wenn dies der letzte Scheck gewesen sein sollte?
Selbst wenn es der letzte gewesen wäre: Es müssen doch in jüngster Zeit reichlich Schecks eingetrudelt sein.
Ich bin mein Leben lang Schriftsteller gewesen. Schon als Kind verkaufte ich handgeschriebene Geschichten an andere Kinder. 1971 kaufte mir eine etablierte Zeitschrift erstmals eine Story ab, seit 1979 ist die Schriftstellerei mein einziger Broterwerb, und es ist mir recht gut damit gegangen. Aber in den letzten Jahren bin ich so etwas wie ein „Promi-Schriftsteller“ geworden – und das ist etwas anderes als ein „erfolgreicher Autor“. Man erkennt mich in Restaurants oder am Flughafen – und jedes Mal falle ich aus allen Wolken. Schriftstellern passiert das eigentlich nicht. Cormac McCarthy lebt auch hier in Santa Fe, aber ich habe keine Ahnung, wie er aussieht. Er könnte hinter mir an der Kasse im Supermarkt stehen und ich würde ihn nicht erkennen.
Fragen Sie sich manchmal, wie viel Zeit Ihnen als Autor noch bleibt?
Das ist ein Thema, das von meinen Fans regelmäßig angesprochen wird: Ob ich Vorkehrungen für meinen Tod getroffen habe? Und wer dann die Serie zu Ende schreiben würde? Also, ich habe nicht vor, in absehbarer Zeit den Löffel abzugeben. Natürlich habe ich ein paar Wehwehchen, die sich mit dem Alter einstellen, aber grundsätzlich erfreue ich mich bester Gesundheit. Ich hoffe, dass mir noch 20 Jahre vergönnt sind, in denen ich noch viel schreiben kann. Und wer weiß, wie es dann mit dem medizinischen Fortschritt aussieht? Vielleicht werde ich ja sogar unsterblich. Ich hätte nichts dagegen.
Es gibt Leute, die sich über die Freizügigkeit der TV-Serie beschweren – wobei Ihre Bücher sich ja dem Thema Sex auch nicht verschließen. Sind Sie dafür je angegriffen worden?
Ich bekomme ständig Zuschriften dieser Art. Da spricht die typisch amerikanische Prüderie. Man kann detailliert beschreiben, wie sich eine Axt in einen Schädel bohrt – und keiner regt sich auf. Aber wenn man in der gleichen Weise beschreibt, wie ein Penis in eine Vagina eindringt, bekommt man haufenweise Briefe, dass man meine Bücher künftig boykottieren werde. Warum zur Hölle? Penisse, die in eine Vagina eindringen, bringen der Welt doch nun wirklich erheblich mehr Freude als Äxte, die sich in einen Schädel bohren.
Haben Sie spezielle Rituale, wenn Sie sich an die Arbeit setzen?
An meinen besten Tagen – die leider viel zu selten sind – verliere ich jedes Gefühl für Raum und Zeit. Ich lasse mich morgens in meinen Stuhl fallen, und wenn ich wieder aufschaue, ist es draußen dunkel und mein Rücken tut weh. Ich denke oft darüber nach, welchen Stellenwert die Fiktion in unserem Leben hat – und wie unsere Erinnerungen Teil unseres Lebens werden. Ich habe ein paar Fotos aus meinem dritten Schuljahr: Ich erkenne mich selbst und einige meiner engsten Freunde. Aber wer zum Teufel sind all die anderen Kinder? Ich kann mich nicht mal an ihre Namen erinnern. Meine Welt in Bayonne bestand aus genau fünf Häuserblocks: Unser Haus war in der ersten Straße – und die Schule fünf Straßen weiter. Aber meine Fantasie wünschte sich eine viel größere und aufregendere Welt. Also las ich über ferne Planeten und das alte Rom, Shanghai und Gotham City.
Und diese Neugier hat einen Autor aus Ihnen gemacht?
Ich war bei den Gartenpartys des gro-ßen Gatsby dabei, aber sie kamen mir immer realer vor als vieles von dem, was ich am eigenen Leib erlebte. Wenn wir die Summe unserer Erfahrungen sind – woran ich fest glaube -, dann sind Bücher ein wichtigerer Teil meines Lebens als das Leben selbst. Und genau das versuche ich mit meinen Büchern zu erreichen: fiktive Personen zu kreieren, die in den Augen meiner Leser realer sind als die Menschen, denen sie in ihrem Alltag begegnen.
George R. R. Martin schrieb schon Drehbücher für die Serien „Twilight Zone“ und „Die Schöne und das Biest“, letztere produzierte er auch. Die 1. Staffel von „Game Of Thrones“ gibt es auf DVD, die 2. läuft seit 21.11. auf TNT Serie.