Der Winter des Patriarchen: ‚The Godfather Part II“ kommt in die Kinos
Eigentlich konnte Francis Ford Coppola nur alles falsch machen, als er mit Mario Puzo an der Fortsetzung des "Paten" schrieb. Entstanden ist mit "The Godfather Part II" jedoch eine bis heute einzigartige Parabel über den Kapitalismus in Amerika.
In Wes Cravens Horror-Klamauk „Scream“ wird einmal gefragt, ob es überhaupt die Fortsetzung eines Films gibt, die an den ersten Teil heranreicht – und einer der Jugendlichen ruft sofort: „,Der Pate II‘!“ Schon den ersten Film hätte es beinahe nicht gegeben, weil Paramount keinen Regisseur fand (Franklin J. Schaffner, Arthur Penn, Constantin Costa-Gavras und Lewis Gilbert hatten abgelehnt) und keinen Hauptdarsteller (als Don Corleone waren Keith Carradine, Charles Bronson, James Caan und Ernest Borgnine im Gespräch), und der Produzent Albert Ruddy war nicht wohlgelitten.
Schließlich übernahm Francis Ford Coppola, der mit Mario Puzo am Drehbuch gearbeitet hatte, die Regie und setzte Marlon Brando und Al Pacino durch. Während der Dreharbeiten zweifelte er selbst an seinem Werk („Leute, die in dunklen Räumen reden“) und wäre fast entlassen worden, bevor er die tödlichen Schüsse auf den Polizeidirektor in einem naturgemäß italienischen Restaurant inszenierte. Nach der Premiere des „Paten“ 1972 staunte Henry Kissinger darüber, dass der Tod eines Mannes, der Menschen umbringen lässt, so anrührend sein kann, und attestierte dem Film den Rang eines Kunstwerks: „It’s touching greatness.“ Zuschauerrekorde, Kritiker-Elogen und Oscars folgten.
Francis Coppola konnte also nur alles falsch machen, als er mit Mario Puzo an der Fortsetzung schrieb. In einem kühnen Kunstgriff verbanden die Autoren die Erzählung der frühen Jahre des Vito Corleone, ehemals Antolini, mit dem Schicksal seines Sohnes Michael und seines Clans in den späten 50er-Jahren. Als junger Vito wurde Robert de Niro besetzt, der schon für „Der Pate“ vorgesprochen hatte – vorher sollte Brando gewonnen werden, der aber richtig erkannte, dass er keinen jungen Mann mehr spielen konnte (und wahrscheinlich auch keine Lust dazu hatte). Thalia Shire, Robert Duvall, John Cazale und der vorzügliche Michael V. Gazzo wurden aus dem ersten Film übernommen. Al Pacino spielte abermals Michael Corleone in der Darstellung seines Lebens. Der Produktions-Designer Dean Tavoularis entwarf die Sets – er gestaltete einen gesamten Straßenzug in New York City im Stil des frühen 20. Jahrhunderts, er baute das Immigrationsamt auf Ellis Island nach, er inszenierte die Dominikanische Republik als Kuba vor der Revolution und nutzte ein steinernes Anwesen am Lake Tahoe als Schauplatz der emotionalen Versteinerung Michael Corleones. Auf Sizilien wurden einige Rückblenden gedreht: der Trauerzug für Vitos Vater, die Ermordung seines Bruders und seiner Mutter, seine Flucht aus dem Dorf – und seine spätere Rückkehr und Rache.
Der ingeniöse Kameramann Gordon Willis gab den Bildern eine goldene und braune, manchmal tief dunkle Färbung. Die Szenen in den Innenräumen am Lake Tahoe (Michael im Gespräch mit seiner Mutter, seiner Schwester und schließlich Bruder Fredo) zeigen kaum mehr als die Gesichter im Dunkeln; beim Gespräch mit Fredo ist Pacinos Gesicht nur im Profil und im Schatten erkennbar. Die Ermordung Fredos im Ruderboot ist schließlich ein Schattenriss auf dem See: erst zwei Männer beim Angeln im Ruderboot, der eine betet – dann ein Mann im Ruderboot, der den Außenbordmotor anwirft. Michaels Gesicht ist durch das Fenster des Wintergartens zu sehen. Und es schneit in Nevada.
Die Paten-Saga ist – so wollte es Coppola – eine Familienchronik und eine Parabel über den Kapitalismus in Amerika. Sie ist auch – wie später Michael Ciminos „Heaven’s Gate“ – eine große Erzählung von der Einwanderung und der Gewalt, mit der das Land in Besitz genommen wurde, eine Studie über Macht und Machismo, Ehre und Verbrechen. Sogar Steven Spielberg glaubte, dass er ein solches Panorama niemals entwerfen könnte (und er konnte es auch nicht). Von der ersten Sequenz, der Kommunionsfeier am Lake Tahoe, bis zu Michaels starrer Einsamkeit auf einem Stuhl im Garten vollzieht sich ein Königsdrama, in dessen Verlauf Michael Corleone sich behauptet, indem er alle verliert, die er liebte – wenn er denn lieben könnte: seine Mutter, seine Schwester und seinen Bruder; dem Stiefbruder Tom Hagen ist er entfremdet. Die Familie, in deren Namen er gehandelt hat, wird ausgelöscht, das Erbe von Vito Corleone zerstört. „Willst du denn alle vernichten?“ fragt ihn Hagen, und Michael antwortet: „Nur die Feinde.“ Am Ende ist er Außenseiter geblieben, kein Weg führt in die Legalität. Der Tod des schlauen Feindes Hyman Roth (von Lee Strasberg, dem berühmten Schauspiellehrer des Actor’s Studio, mit unvergesslicher Listigkeit gespielt) ist ein leerer Triumph, Kuba gefallen, die Kohorte geschwächt. Die Mutter hatte ihm gesagt, dass der Vater die Familie über alles stellte – worauf Michael murmelte: „Die Zeiten ändern sich.“
Später löste Coppola die Doppelhelix von „Der Pate II“ auf und erzählte den ersten und den zweiten Film chronologisch, in vier Folgen für das Fernsehen. In „Der Pate II“ gibt es am Ende einen Rückgriff auf eine Szene, die offenbar für den ersten „Paten“ gedreht wurde: Zum Geburtstag des Patriarchen, am Tag nach dem Angriff auf Pearl Harbor, sitzt die Familie (ohne Vito Corleone) am Tisch, und Michael erzählt, dass er sich freiwillig zur Marine gemeldet habe – zum Entsetzen von Bruder Sonny und zum Gram von Tom Hagen, der mit dem Don bereits über Michaels Zukunft gesprochen hatte. Als Vater Vito eintrifft, bleibt Michael allein am Küchentisch sitzen.
Michael Corleone liebte sein Land.