Der weiße Schwan
Auf verschlungenen Schicksalswegen landete die dänische Sängerin Oh Land überraschend im Popgeschäft. Zum Glück!
Indianer kennen keinen Schmerz, sagt man bisweilen zu Kindern. Insofern ist es nicht einfach nur cool, dass Nanna Øland Fabricius ihre eigenwilligen Popsongs gemeinhin mit dem Kopfschmuck eines Indianerhäuptlings aufführt. Die 26-jährige Dänin, die aussieht, als wäre sie die Tochter von Claudia Schiffer und die jüngere Schwester von Heidi Klum, hat an der Schwelle zum Erwachsenwerden so einige Prüfungen bestehen müssen. Seit ihrer Kindheit tanzte sie an der elitären Königlich Dänischen Ballettschule, die Rolle der Primaballerina vor Augen. Doch der Traum von der gro-ßen Karriere zerplatzte mit 19 nach einer schweren Rückgratverletzung.
„He said ’sorry but you’re never gonna dance again’/ But my feet just keep me moving“, singt Oh Land heute im Song „Break The Chain“ über ihr Trauma nach der damaligen Diagnose. Sie sei in eine schwere Identitätskrise gestürzt, erzählt die Sängerin, und man muss zwangsläufig an Natalie Portmans Leidensweg im Aronofsky-Thriller „Black Swan“ denken. Fabricius hat den Film natürlich gesehen: „Ein sehr schönes Beispiel dafür, dass man in einer Bühnenrolle komplett aufgehen muss, damit große Kunst entsteht. Man muss sich aber auch zurücknehmen können, damit die Rolle einen nicht auffrisst. Genau das ist mir allerdings passiert. Wenn ich zu dieser Zeit in den Spiegel sah, sah ich nicht Nanna, das Mädchen, sondern nur noch die Ballerina, zu der ich geworden war.“
Kein Wunder, dass es für die junge Dänin schwer war, vom Tanzen abzulassen. Zwei Jahre verkroch sie sich, ehe sie heimlich begann, in ihrem Kinderzimmer ein Heimstudio einzurichten und Songs aufzunehmen: „Als ich zwei Lieder fertig hatte, habe ich sie auf CD gebrannt und unterwegs im Auto meiner Eltern gehört. Anschließend habe ich sie dort liegen lassen. Nach einigen Tagen fragte mich meine Mutter: ‚Bist du das auf der CD? Das ist brillant.'“
Eine durchaus überraschende Reaktion: Daheim in Kopenhagen ist die halbe Familie künstlerisch tätig. Fabricius‘ Vater ist Organist, die Mutter Opernsängerin. „Als Kind war Beethoven mein Popstar. Richtiger Pop war in unserer Familie das Werk des Teufels. Trotzdem wollte ich nie die neue Maria Callas werden.“
Nanna Fabricius ist zudem die Ur-Urenkelin des Geistlichen Otto Fabricius, der im 18. Jahrhundert Grönlands Natur erforschte. „Fauna“, der Titel ihres Debüts aus dem Jahr 2008, ist eine kleine Ehrerbietung an den Ahnen, der in der Heimat ein Nationalheld ist. Auf dem Album ist wunderlicher, verspielter Bastel-Pop zu hören, als Einflüsse nennt sie Kraftwerk, Autechre und den estnischen Komponisten Arvo Pärt. Auch ihr zweites Album ist von dieser virtuosen Leichtigkeit des Balletts durchweht. Es gibt mit „Lean“ orchestralen Diva-Pop, für den Vater und Tochter die Arrangements geschrieben haben. Und sie hat mit einer Riege an Top-Produzenten an mystischen, sehr eigenen Pop-Stücken gefeilt. Nur die etwas übertunte Single „Sun Of A Gun“ steht der Schönen nicht so ganz. Denn Nanna Øland Fabricius ist ein weißer Schwan – kein schwarzer. Christoph Dorner