Der Unvollendete: Zum Tod von Val Kilmer
Val Kilmer wollte ein Star sein, und er hatte auch das, was den „Movie Star“ von einem „Actor“ unterscheidet. Präsenz, ohne spielen zu müssen.

Es gibt nicht viele Schauspieler, die Tom Cruise in einem Film zum Weinen bringen würden. Oder könnten. Val Kilmer aber war so einer. In „Top Gun“ 36 Jahre zuvor war er noch ein ziemlicher Trottel. Man kann sich denken, dass jemand, dessen Rollenname „Iceman“ ist, auch nicht sonderlich viele Emotionen hervorzurufen vermag.
Und da saß Iceman nun in seinem Bürostuhl, 36 Jahre später. Und war nicht Iceman, sondern Val Kilmer. Er konnte nicht sprechen, denn er litt an den Folgen von Kehlkopfkrebs. Das Gesicht aufgedunsen. Auf das, was Tom Cruise alias „Maverick“, sagt, antwortet er mit kurzen Sätzen, die er in eine Tastatur tippt.
Aber dann steht Iceman doch auf. Weil Maverick die Tränen nicht zurückhalten kann. „Die Navy braucht Maverick“, sagt Kilmer sanft. „Der Junge braucht Maverick. Deshalb habe ich für dich gekämpft. Deshalb bist du noch hier“. Kilmer spricht über den Ziehsohn Mavericks, der sich von ihm entfremdet hat. Wir alle, sagt Iceman, kämpfen für die nächste Generation.
Die nächste Szene zeigt die Beerdigung von Admiral Tom „Iceman“ Kazansky.
Val Kilmer war für andere Rollen geboren
Es war die letzte Rolle des Val Edward Kilmer, der am Silvestertag 1959 geboren wurde und am gestrigen Dienstag (01. April 2025) an einer Lungenentzündung gestorben ist. Und die erste Kinorolle seit acht Jahren. Der Kehlkopfkrebs hatte seine Hollywoodkarriere, von der nicht viel übrig geblieben war, endgültig beendet. Wer Kilmer zum ersten Mal als gebrechlichen Iceman neben dem weinenden Tom Cruise sah, konnte nicht glauben, dass Kilmer eigentlich für andere Rollen berühmt gewesen war.
Die Filmografie des Kaliforniers ist kurios. Sie erzählt die Geschichte eines Mannes, der ganz eindeutig zu oft falsch besetzt wurde, und, kein Wunder, deshalb mit Pöbeleien am Set anfing. Seine erste Rolle war – das kommt selten vor – sogleich eine Hauptrolle, 1984 in der ZAZ-Agentenkomödie „Top Secret!“. Ein Flop, der heutzutage als „Kult“ umgedeutet wird.
Der Iceman in „Top Gun“ 1986 war flach, im Rocky-4-Jahr konnte man ihn auch leicht mit Ivan Drago verwechseln. Aber, immerhin: Tom Cruise musste sich hier erstmals mit dem Gedanken beschäftigen, dass ein Nebendarsteller bei den Frauen besser ankommt. Was Cruise 1994 bei „Interview mit einem Vampir“ auch erfahren musste, als er unklug genug war, Brad Pitt als sein Love Interest zu engagieren.
Dann, 1988, die erste Heldenrolle. Im letzten Jahr des ausklingenden „Sword & Sorcery“-Trends spielte Val Kilmer für Regisseur Ron Howard den schwertkämpfenden Helden im Märchenland. Einspielergebnis: mehr als 100 Millionen Dollar. Kein Misserfolg. Aber niemand, Kilmer am wenigsten, wollte einen zweiten Teil.
Er hätte den Oscar verdient gehabt
1991 dann der Film, über den seit Val Kilmers Tod wieder alle reden: Oliver Stones „The Doors“. Kilmer als Jim Morrison. Ein unerträglich geschwätziger Musikfilm mit Dauerberieselung der größten Doors-Hits. Aber was soll man sagen! Kilmer hätte den Hauptdarsteller-Oscar sowas von verdient gehabt.
Viele vergessen aber, dass er gar nicht nominiert wurde. Er wurde zeit seines Lebens kein einziges Mal nominiert. In jenem Jahr hätte er gegen Robert De Niro („Cape Fear“) und Anthony Hopkins („Das Schweigen der Lämmer“) aber leider auch keine Chance gehabt.
In Kilmer floss schwedisches Blut, irisches, deutsches – und das der Cherokee. Die Szenen mit den Indigenen in „The Doors“ waren ihm wichtig. So wie die mit den Lizards. Von Kilmer stammt auch die Idee für die Szene, als Jim Morrison sich im Fahrstuhl von einem Groupie befriedigen lässt, seine ahnungslose Partnerin Pamela Courson (Meg Ryan) von außen die Fahrstuhltür öffnet, und Morrison sie dann einfach auslacht.
Ab dem Method Acting von „The Doors“ galt Val Kilmer als „schwierig“. Man kann auch sagen, dass er damals, mit 31, seinen Höhepunkt in Hollywood erreicht hatte. Er wurde nun vor allem als sehr guter Wingman gebucht. Vielleicht, weil man dann weniger Ärger mit ihm hatte. „Tombstone“, „True Romance“ (ein Cameo als Elvis), und als Nachwuchsganove Chris in Michael Manns „Heat“, wo er das Pech hatte, dass sein Understatement auf das Understatement Robert De Niros traf; und zu wenige Szenen mit Al Pacino hatte, dessen Fünf-Zündstufen-Gebrüll Feinheiten eines Gegenübers, wie Kilmer sie beherrscht, zulassen könnte.
„Heat 2“ als sein Vermächtnis
Unvergessen die Szene, als Chris sich von seiner Partnerin (Ashley Judd) für immer verabschieden muss. Aus der Ferne, ohne Körperkontakt also, weil sie von den Cops observiert werden. Falls Michael Mann „Heat 2“ drehen sollte, wird Kilmers Figur des Chris immer mitschwingen. Denn der „Heat 2“ zugrunde liegende Roman macht Chris Shiherlis zur Hauptfigur.
Auch „Heat 2“ ist damit Val Kilmers Vermächtnis.
In „Heat “ war er Nebendarsteller, und in gewisser Weise war auch seine zweitgrößte Rolle nach Jim Morrison, die des Bruce Wayne in „Batman Forever“, eine Wingman-Rolle. Kilmer wusste nicht recht, was er da sollte. Der eher eklig anzusehende Joel-Schumacher-Streifen bot schrille Darbietungen zweier weiterer ausgesprochener Alphamänner, die sich 1995 auf dem Höhepunkt ihrer Potenz befanden. Jim Carrey war nach „Die Maske“ als Riddler zu sehen, und Tommy Lee Jones, nach dem „Fugitive“-Oscar, als Harvey Two-Face.
Präsenz, ohne spielen zu müssen
Val Kilmer wollte ein Star sein, und er hatte auch das, worin Quentin Tarantino wohl den Unterschied zwischen einen „Movie Star“ und einem „Actor“ sah. Präsenz, ohne spielen zu müssen. Kilmer war also sehr gut darin, zu wirken statt spielen zu müssen. Vielleicht machte es das seinen Co-Stars zu schwierig, ihn zu akzeptieren. Vielleicht ist das auch ein Zeichen dafür, dass jemand nicht gut schauspielern kann. Aber das traf bei Kilmer nicht zu. Er konnte schauspielern. Die Angebote ließen jedenfalls nach. Den perfekten (Anti-)Heldentypen nach Jim Morrison fand er nicht mehr. Er bleibt der Unvollendete.
In den letzten 30 Jahren reihte sich in Kilmers Filmografie eine schräge Rolle an die andere. John Frankenheimers „Die Insel des Dr. Moreau“, da spielte er neben einem desinteressierten Marlon Brando. Ein weiteres Mal für Oliver Stone, als Ensemblemitglied, er spielte in „Alexander“ den König von Mazedonien. Im animierten „Prinz von Ägypten“ sprach er Moses. Und Gott. Den Direct-to-Video-Angeboten konnte er sich nicht mehr entziehen.
Für Ed Harris‘ „Pollock“ war er im Jahr 2000 als Willem de Kooning zu sehen. Die Rolle des expressionistischen Malers war ihm wichtig. Als er gegen den Kehlkopfkrebs kämpfte, wandte er sich notgedrungen von der Schauspielerei ab und seiner Malerei zu. Seine Themen als Künstler waren Hollywood, Ruhm, Sprache und Identität. Er liebte Basquiat, Warhol und Ed Ruscha. Das Ergebnis war Street Art (erschaffen in der Villa) und Pop Art. Die Bilder, die er auf seiner Website zeigt, sind gut. Man muss ihn nicht für einen „Schauspieler, der halt malt“, halten.
Val Kilmer hatte den Kehlkopfkrebs besiegt, aber galt als angeschlagen. Er war gläubiger Christ und misstraute der Medizin. Er verstarb nun an einer Lungenentzündung, hinterlässt zwei erwachsene Kinder.
In seinem letzten Instagram-Video, das vor fünf Wochen erschien, setzt er sich aus Spaß eine expressionistisch farbverklekste Batman-Gummimaske auf, sagt „I’m ready“, und lacht. Sein Batman-Comeback nach 30 Jahren.
Sein letzter X-Post ist erst eineinhalb Wochen alt. Er bewirbt den Verkauf eines von ihm gemalten Bilds. „Es hat dieses Leuchten der späten Nacht“, schrieb er dazu. „Kühle Töne mit leisem Brennen. Wie wenn das Lagerfeuer abkühlt, Sie aber noch hellwach sind. 12 x 20 Zoll, Plexiglas, signiert und fertig zum Aufhängen.“ Der Link führt ins Leere, ein Val-Kilmer-Fan, oder ein Kunstliebhaber, hat also zugeschlagen, das Bild ist verkauft.
Als Künstlernamen nutzte Kilmer „VALHALLA“ (eine Mischung aus „Val“ und „Walhalla“). Valhalla stammt aus der nordischen Mythologie. Und bezeichnet die Halle der Gefallenen, eine Art mythisches Paradies für tapfere Krieger.