Der Tod eines Teddybären
Der britische Autor John Burnside erinnert sich in einem brillanten Buch an seinen gewalttätigen und trunksüchtigen Vater – und erkennt sich in seinem Erzeuger doch ohne Selbstmitleid wieder.
Unlängst hat der Literaturkritiker Fritz J. Raddatz in einem Interview erzählt, dass sein Vater ihn als Kind regelmäßig mit der Hundepeitsche verprügelt hatte. Der Nachbarsjunge, mit dem ich die Hälfte meiner Kindheit verbrachte, wurde von seinem Vater aus nichtigen Anlässen mit einer Siebenstreifenpeitsche versohlt.
Väter sind so unvermeidlich wie schlechtes Wetter oder ein Gegentor in der 91. Minute. Man kann sich mit ihnen abfinden, ihnen vergeben, sich an ihnen abarbeiten, sie idealisieren, sie versuchen zu verstehen – nur aus dem Gedächtnis löschen kann man sie nicht. Sie sind beliebt in der Literatur, verführen sie doch den Leser zu einem Vergleich mit der eigenen Kindheit.
Mag sich der eine oder andere bei diesen Romanen an die Leerstellen im eigenen Leben erinnern, so bietet John Burnside ein anderes Leseerlebnis. Wer glaubte, eine harte Kindheit gehabt zu haben, dem sei „Lügen über meinen Vater“ (Knaus Verlag, 19,99 Euro) nahegelegt. Der schottische Schriftsteller schildert in seinem biografischen Text, wer sein Vater war: ein selbstsüchtiges, gewalttätiges, unberechenbares Monster.
Es ist Burnsides drittes Buch, das in Deutschland erscheint. Die beiden Vorgänger wurden zwar hymnisch besprochen, doch ist er immer noch ein Unbekannter; nicht einmal für einen Wikipedia-Eintrag reicht es. Auf der Insel ist er anerkannt als einer der sprachmächtigsten Autoren, „Lügen über meinen Vater“ war 2006 in Großbritannien ein Bestseller, wohl auch, weil es nüchtern und unpathetisch über eine schlimme Kindheit erzählt, eine Kindheit, die einen mitleiden lässt.
Burnsides Vater wurde 1926 geboren, er war ein Findelkind, einer der in den armen Bergarbeiterstädtchen Schottlands aufwuchs. „Niemand möchte ein Findelkind sein, und Etwas zu sein, war gewiss besser, als Nichts zu sein.“ So wäre er dann fast Profifußballer geworden, so hätte er bei der britischen Armee fast eine glanzvolle Karriere hingelegt, so hätte sich eine Frau fast seinetwegen ertränkt, nachdem er als Soldat Deutschland endgültig verlassen hatte. In Wirklichkeit arbeitete er als Gelegenheitsarbeiter auf dem Bau, war ein Trinker und Spieler. Er verlor den letzten Penny beim Pferderennen und war zudem ein schlechter Mensch: Die Palette des alten Burnside reicht von roher Gewalt bis zur Verbrennung des Lieblingsspielzeugs, eines Teddys. Er habe halt auf dem Boden gelegen, da sei eine Lektion nötig gewesen.
Die Trennlinie zwischen Pädagogik und Sadismus ist fließend, „wie für eine ganze Generation von Männern der Arbeiterklasse war Grausamkeit für meinen Vater eine Ideologie.“ Beklemmend kann es werden, wenn man sich nach den Gemeinsamkeiten mit seinem Vater fragt. Das alte Versprechen „Du sollst es mal besser haben“ ist abgelöst worden durch den Anspruch „Ich will mal ein besserer Mensch werden“. Burnside hat das Buch auch geschrieben, um sich selbst zu bespiegeln: „Ich habe die gleiche Persönlichkeit wie mein Vater“, sagt er, „ich bin ein impulsiver Mensch, ich neige zum Suchtverhalten, ich bin leicht reizbar und habe eine gewalttätige, selbstzerstörerische Ader.“ Diese Bewusstwerdung ist niederschmetternd. So hart konnte sein Vater gar nicht zuschlagen.