Der Tod des Brian
Als die Nachricht im Sommer ’94 Schlagzeilen machte, dachte man zunächst an die klassische Sommer-Ente. Brian Jones, Gründer der Rolling Stones, nicht im Swimmingpool ertrunken, sondern kaltblütig ermordet? Nicht Opfer von unkontrolliertem Drogenkonsum, sondern ertränkt von alkoholisierten Bauarbeitern? Die hochgradig berechtigte Skepsis gegenüber der britischen Yellow-Press verflüchtigte sich, als im Herbst dieses Jahres gleich fünf Bücher erschienen, die minutiös die Umstände von Brians Ableben aufrollten. Und die zu dem Schluß kamen, daß die vermeintliche Zeitungs-Ente doch mehr als ein Papiertiger war…
London, 6. November 1993. Bei Richard Keylock, einem einstigen Bodyguard und Tourmanager der Stones, klingelt das Telefon: Sein Freund Frank Thorogood liegt im Sterben und möchte ihn nochmal sehen. Keylock hatte Thorogood Mitte der 60er das verschafft, was man einen Traumjob nennt: Angestellter der Rolling Stones. Keylook fahrt also ins Londoner Middlesex Hospital und tritt an Thorogoods Totenbett. Es gebe etwas, was er loswerden wolle, flüstert Thorogood: „Ich habe Brian Jones umgebracht.“
„Ich war geschockt“, erinnert sich Keylock in einem Interview mit Terry Rawlings, das dieser in seinem Buch „Who killed Christopher Robin?“ zitiert. „Ich hab’s zunächst nicht glauben können und hab ihn gefragt, wie denn das passiert sei. ,Ich hab ihn mir geschnappt‘, habe Thorogood geflüstert. ,Und dann ist es passiert. Mehr gibt’s da nicht zu sagen.‘ Am nächsten Tag war Frank tot.“
London, 2. Juli ’69. Brian Jones, seit ein paar Wochen nur noch Ex-Stone, hat die Schnauze voll. Hunderttausende hat er schon in die Renovierung seines Landhauses „Cotchford Farm“ gesteckt, und draußen sieht es immer noch aus wie in einer Baugrube. Richard Keylock hatte ihm diesen Frank Thorogood vermittelt, angeblich einen Bauprofi, und der wiederum hatte ein halbes Dutzend Kumpel angeschleppt. Seit Monaten hausten die nun auf dem Grundstück, luden Mädchen ein, tranken seinen Whisky und schwammen in seinem Pool. Brian hatte gute Miene zum bösen Spiel gemacht und sogar zu Thorogoods Andeutung geschwiegen, er könne ihm jederzeit ein Kilo Marihuana unterjubeln und ihn bei der Polizei verpfeifen. An diesem 2. Juli aber handelt Brian: Er ruft im Stones-Büro an und stoppt die Zahlungen an Thorogood. Als dieser später die Lohntüten abholen will, erfahrt er, daß er entlassen ist.
Am Abend scheint Brian das schon wieder leid zu tun – auf jeden Fall lädt er Thorogood und dessen Freundin Janet Lawson zu einem Versöhnungs-Drink am Pool ein. Mit dabei ist außerdem Brians damalige Freundin Anna Wohlin – das jedenfalls werden die drei Überlebenden dieses Quartetts später aussagen. Und obwohl sich ihre Schilderungen in so gut wie allen Punkten widersprechen, baut die Polizei später eine Art „Best of“-Version in ihren offiziellen Bericht ein: Gegen 23.30 Uhr springt ein angetrunkener Brian noch einmal mit Frank in den Pool. Fünf Minuten später kommt Thorogood ins Haus und will sich ein Handtuch holen. Zeitgleich entdeckt Anna Brians Körper auf dem Boden des Pools. Ertrunken. Zumindest daran gab es niemals Zweifel: Nüchtern konstatierte der Leichenbefund: „Wasser in beiden Lungenflügeln.“ Aber warum ertrinkt ein so sportlicher Schwimmer wie Jones sang- und klanglos? Alkohol, behauptete die Polizei. Und Drogen. Und vielleicht noch ein Asthma-Anfall.
Daß Brian an diesem Abend laut seinen Blutwerten nicht mehr als drei, vier Gläser Bier getrunken haben konnte, daß die Amphetamine, die man in seinem Urin fand, keinen Einfluß mehr auf seinen Organismus hatten (eben weil sie schon im Urin nachgewiesen wurden), das schien im Juli ’69 niemanden nachdenklich zu machen. Und einen Asthma-Anfall, sagt Amerikas bekanntester Gerichtsmediziner Dr. Cyril H. Wecht in Guilianos Buch „Paint It Black“, „einen Asthma-Anfall als Todesursache halte ich für absolut ausgeschlossen.“
Ausgeschlossen scheint inzwischen noch ein ganz anderer Tatbestand zu sein: daß es nämlich nur vier Personen waren, die sich an jenem Abend in Brians Garten aufhielten. Auch wenn die Recherchen der Jones-Biografen in dieser Hinsicht etwas voneinander abweichen, führen sie doch beide Dutzende Zeugen auf, die von einer regelrechten Poolparty sprechen. Auf deutsch: Brian starb nicht ohne Zeugen.
Was ist wirklich passiert am Abend des 6. Juli 1969? Frank Thorogoods Totenbett-Geständnis wird durch die anonyme Aussage eines seiner Bauarbeiter bestätigt, den Geoffrey Guiliano für seine „Paint it Black“-Biografie interviewt hat. Auch noch 25 Jahre nach der Tat erinnert sich dieser „Joe“ in erschreckend genauen Details an den Tathergang: Nachdem er und Thorogood mehrmals mit Brian über ihre Entlassung gesprochen hätten, seien sie in den Pool gesprungen. Brian hätte ihnen gezeigt, wie spielerisch leicht er zwei Bahnen unter Wasser schwimmen konnte. Und sie hätten gedacht: Jetzt ist dieser Arsch nicht nur reich, berühmt und kann jedes Mädchen haben nein, er schwimmt auch noch wie ein Fisch. „Joe“ weiter: „Das erste Mal, als ich ihn packte, hab ich mich auf seine Schultern gestützt und gesagt: ,Du bist also gut unter Wasser, was Brian? Du bist also verdammt gut unter Wasser..?‘ Dann hab ich ihn runtergedrückt..
Er hat gejapst und nach Luft geschnappt, und ich hab ihn erneut untergetaucht. Weil er sich so heftig wehrte, ist mir Frank zu Hilfe gekommen. Und als Brian zappelte, hat er ihn runtergedrückt, wieder und wieder.“
Und die anderen? Hat niemand eingegriffen? Oder wenigstens etwas gesagt? Irgendwer am Pool habe gemeint, sie sollten aufhören mit dem Mist, erinnert sich „Joe“, den habe er aber mit einem „Fuck off!“ ruhig gestellt. Rund zehn Minuten sei das so gegangen. „Dann hat er wieder versucht, abzuhauen, aber Frank und ich hatten ihn fest im Griff und haben ihn wieder unter Wasser gedrückt. Wir wollten ihn nicht umbringen. Ich meine: Wir hatten das nicht geplant. Es ist einfach passiert.“
Niemand versuchte, den bewußtlosen Brian aus dem Pool zu ziehen. Jedenfalls nicht, solange noch Zeit war. „Jemand schrie: ,Er ist tot! Laßt uns abhauen‘,“ erinnert sich besagter „Joe“ in Giulianos Buch. „Frank schrie, wir sollten uns nicht erst anziehen, sondern unsere Klamotten packen und machen, daß wir verschwinden. Und dann sind wir gerannt.“
Brian Jones ist ermordet worden, daran lassen die beiden neuen Bücher keinen Zweifel. Die Frage nach dem Warum können aber auch sie nicht klären. Wahrscheinlich war es erschreckend simpel, ein Mord aus Neid sozusagen: „Thorogood und die anderen haßten Brian“, schreibt Rawlings,“ sie haßten ihn, weil er reich war, nicht arbeiten mußte und immer die schönsten Frauen hatte. Als er sie dann entlassen hatte, sind ihnen nach ein paar Drinks die Sicherungen durchgebrannt.“
War es so? Weder Giuliano noch Rawlings kommen bei ihrer Suche nach möglichen Hintermännern so richtig voran. Vom Tisch wischen sie hingegen so wirre Spekulationen wie eine mögliche Mafia-Beteiligung und ein von Jagger ausgehecktes Komplott. Trotzdem: So ganz glaubhaft scheint den Biografen die These vom Mord ohne Hintergrund doch nicht zu sein. Vor allem nicht, weil besagter „Joe“ Giuliano gegenüber ausgesagt hat, er habe ein paar Tage nach dem Verbrechen 350 Pfund von Thorogood zugesteckt bekommen, angeblich nur so, ohne Begründung. Er solle bloß seine Klappe halten, habe Thorogood ihm gesagt „Ich habe Frank dann langsam aus den Augen verloren – aber er schien plötzlich eine Menge Kohle zu haben. Ein nagelneues Auto und so.“
Falls Thorogood also doch ein Handlanger war – für wen führte er den Auftrag dann aus? In den Wochen vor seinem Tod war Brian damit beschäftigt, eine neue Band zusammenzustellen, „a band bigger than anyone can imagine“, wie er sagte. Jimi Hendrix war im Gespräch, Steve Marriott hatte mit Jones gejammt, täglich tauchten neue prominente Musiker auf Brians Landsitz auf. Es gibt Hinweise, daß auch John Lennon bei Brians Dream-Team mitmachen wollte. Die Beatles waren 1969 so gut wie am Ende, und das Auftauchen einer Megastar-Formation hätte den Marktwert der Fab Four als auch der Stones nicht gerade erhöht Beide Bands wurden von Allen Klein gemanagt – und als der von Brians Plänen erfuhr, soll er einen Wutanfall bekommen haben.
Und die Stones? Daß selbst sie niemals offiziell Zweifel an der Unfall-Theorie angemeldet haben, obwohl einige Zeugen noch jahrelang in ihrem Umfeld lebten – etwas merkwürdig ist das schon.
Fallen deshalb Richards wenige Kommentare zum Fall Jones so heftig aus? „Verdammt nochmal, wie soll ich das wissen?“, knurrte er auf die Frage, was er von der Angelegenheit halte. Das mit Brian habe ihn überhaupt nicht überrascht, sinniert er da. „Ich habe mir seinen Tod nicht gewünscht – aber es gab eine ganze Menge Leute, die das gerne gesehen hätten. Es war also nicht überraschend, und wenn ich ehrlich bin, hab ich ihm keine Träne nachgeweint. Ich dachte nur: Wow, er ist weg! Gott sei dank!“
Wenn Englands Justiz anders denkt, könnten die Untersuchungen in Sachen Brian Jones wieder aufgenommen werden. Ein Täter und diverse Zeugen leben noch.