Der Tag des Falken
Der einzige Welt-Popstar aus Wien. Der erste deutschsprachige Rapper. Oder ein Zwei-Hit-Wunder für lauwarme Achtziger-Parties? Falco hat schon in seiner größten Zeit genervt und begeistert, die Nummer eins in den USA erreicht und den Ruhm nie verkraftet. Zum 50. Geburtstag am 19. Februar und zum neunten Todestag am 6. - die Story eines schnellen Aufstiegs und langen Falls.
A1s 1978 der Sänger Hans Hölsel, genannt Falco, mit 21 Jahren die Hälfte seines Lebens hinter sich hatte – was er damals nicht wissen konnte muss es ein ganz furchtbares Gefühl für ihn gewesen sein, wenn er in den Straßen seiner Heimatstadt Wien die Kinoplakate sah, zum Beispiel die mit dem tollen John Travolta im Saturday-Night-Anzug. Eine Angst, irgendwie doch am falschen Ort oder im falschen Jahrzehnt zu sein, oder beides. Oder ein wichtiges Stichwort verpasst zu haben, auf das er bloß ganz einfach hätte antworten müssen. Das juckende Unbehagen, das diejenigen Leute kriegen, die sich – der englische Ausdruck ist hier unschlagbar anschaulich – larger than life fühlen, zu Größerem bestimmt, zu groß für das Leben, obwohl sie gleichzeitig in einem relativ kleinen Leben relativ fest drinstecken.
Falco verdiente damals sein Geld als Bassist und Sänger einer Tanzkapelle, einer Kommerzpartie, wie Wiener Musiker das nennen, fuhr nebenher unter anderem Haarprodukte aus und experimentierte mit Wet Gel. Zusätzlich war er eben noch bei der stadtberüchtigten Rock’n’Roll-Blut-Kotze-Schockgruppe Drahdiwaberl eingestiegen, und als er einmal in der gebügelten weißen Hose zum Auftritt kam, fragte der Bandleader ihn in der Garderobe: „So willst auf die Bühne?“ Falco: „Ja!“ – „Bist deppert? Du schaust ja aus wie ein Student, der grad zur Messe geht!“
Heute ist das Falco-Bild, das den meisten als erstes in den Kopf kommt, dagegen wohl die Anfangsszene des berühmten „Rock Me Amadeus“-Videos von Rudolf Doleza! und Hannes Rossacher: wie die Kutsche vor dem Palais Schwarzenberg in Wien vorfährt, wie Falco wahnsinnig dünn im schwarzen Anzug und mit Fliege und hingeschmierten Haaren aussteigt, die Nase rümpft, eigentlich sein gesamtes Gesicht rümpft, langsam das Spalier von Rokoko-Leuten durchschreitet, als sei ihm der Empfang arg lästig. Wie er zu rappen anfangt – „Er war ein Punker, und er lebte in der großen Stadt“ — und sich mit gestreckten Zeigefingern nach links und rechts selbst dirigiert. Praktisch überall, wo damals Menschen lebten, war Falco mit „Amadeus“ ganz weit oben, im irren Sommer 1985, der für ihn nonstop bis zum Frühjahr 1986 dauerte, denn da stand er sogar in Großbritannien und den USA auf Nummer eins.
Es war sein großer Coup, sein Grand Slam, seine Sieger- und Arschloch-Faust, das Ding, das ihm auch die vielen Feinde gönnten. Und es ging um alles. Hätte das nicht geklappt, also hätten sich die Leute beispielsweise tot gelacht über den Mann mit der Mozart-Perücke, was ja auch möglich gewesen wäre—dan n wäre Falco aus Wien seitwärts in die Popgeschichte geflutscht als der Typ mit dem kuriosen Neue-Deutsche-Welle-Hit „Der Kommissar“ und sonst nichts, aha. Das wusste er. Das muss Falco vor Augen gehabt haben, als sie im Palais das Video drehten. Manche behaupten, er habe nie ernsthaft daran gezweifelt, irgendwann reich zu werden, und als Kind soll er auf die Frage der Lehrerin, was er später werden wolle, „Popstar!“ geantwortet haben. Aber Kinder haben leicht reden.
Es gibt noch mindestens 15 Fragen über Falco, die in diesem Artikel ganz bestimmt nicht beantwortet werden. Hier sind schon mal fünf davon: Was war er so für ein Mensch? Fand er sich selbst lustig? War er mit dem monströsen dänischen Model Brigitte Nielsen im Bett oder nicht? Warum genau gingen die Vertragsverhandlungen mit dem New Yorker New-Wave-Baron Seymour Stein in die Hose? Und hätte Falco seinen kanonischen Ruf als einziger österreichischer Pop-Weltstar aller Zeiten vielleicht ganz kaputt gekriegt, wenn er heute noch leben würde?
„Vor allem die Österreicher haben alle darauf gewartet, mich sterben zu sehen, nach dem Motto: mit wehenden Fahnen auf den Zentralfriedhof‘, sagte Falco im Dezember 1986 in einem Interview mit dem „Musikexpress“, als die Nach-Amadeus-Platte „Emotional“ erschien. „Das liegt so an dem sozialen Gefüge und den österreichischen Journalisten, die nie, wie in Amerika oder England, mit den Stars befreundet sein könnten… Menschlich wirst du für diese Herren erst mit dem Tode.“
Sicher war Falco brillant gelaunt, als er das sagte. Man findet solche Sprüche haufenweise in seinem Repertoire, denn wenn er schon den Star spielte, dann musste der Tod logischerweise sein Buddy sein – in letzter Konsequenz bis in den posthum veröffentlichten Song „Out Of The Dark“ hinein, in dem er das noch mal gesungen hatte: „Muss ich denn sterben, um zu leben?“ Als er kurz danach in der Dominikanischen Republik im Mitsubishi mit einem Bus zusammen stieß, war das ja auch kein großer Abgang, sondern mehr das, was in Polizeiberichten „Disco-Unfall“ genannt wird.
Die weniger brillanten Wintertage sind freilich die bessere Zeit, um in die zartbitter morbide Wien-Touristenstimmung zu kommen und schön auf den Zentralfriedhof zu gehen. Laut Lageplan ist die Gruppe 40 im westlichen Teil für „Ehrengräber und Bombenopfer“ bestimmt — auf den Pfosten eines der gefächerten Wegweiser hat tatsächlich jemand mit blauem Stift „Falco“ geschrieben, einen Pfeil daneben gemalt, aber keiner würde ernsthaft erwarten, dass hier so viel los sein könnte wie bei Jim Morrison. Das coolere Prominentenviertel mit Beethoven, Schubert, Schönberg, Curd Jürgens und dem Mozart-Denkmal war halt schon voll, Falco liegt im neuen, noch ziemlich dünn besiedelten Ehrenhain mit Kapellmeistern, Volksschauspielern, Wienerlieder-Interpreten und Paul Kont, dem laut Steinaufschrift „Schöpfer der dritten Tonalität“.
Immerhin haben sie nur neben Falcos Grab einen kleinen Extra-Gehweg ins Gras gepflastert. Es ist ein seltsames Ensemble, das von weitem mehr wie das Industriedenkmal einer Kleinstadt aussieht: der hohe, blank polierte Obelisk mit dem letzten offiziellen Falco-Logo, daneben der kleine, hutzelige Stein mit den Lebensdaten und dem Taufnamen, dazwischen die riesige
halbrunde Plexiglasscheibe, darauf das Batman-Umhangfoto vom „Nachtflug“-Plattencover und, zu allem Überfluss, eine Auswahl von Songtiteln. Labelübergreifend, falls es jemanden interessiert. Und wenn man sich dann flapsig fragt, wieviele verschiedene Menschen hier eigentlich begraben sind, dann hat man die mutmaßliche Messsage dieses Arrangements schon getroffen. Hier liegt der Charakter Falco, hier liegt der Mensch Hans Hölzel. Wem das als abgedroschene popkulturelle Dialektik erscheint, diese im Grunde so triviale Unterscheidung zwischen Künstlerperson und Kunstfigur, der dürfte sich ausgesprochen wundern, wie zielsicher alle Freunde und Mitarbeiter auf diese Spaltung zu sprechen kommen, sobald sie sich ein wenig an Falco erinnern.
Wahrscheinlich war er dankbar für jeden, der vom privaten Falco gar nichts wissen wollte – die meisten meinten eh den anderen, der immer „because“ und nie „weil“ sagte. Die Zeitschrift „Tempo“ meinte ihn, „die Stimme, die ein Jahrzehnt auf den Punkt brachte: hektisch und trotzdem gelangweilt“, im Achtziger-Sonderheft, in dem Falcos 1982-er Debüt „Einzelhaft“ zur sechsundneunzigsrwichtigsten Platte des Jahrzehnts gewählt wurde – Bowie war auch nur auf 50. „Hier ist ein Interpret mit sich selbst und mit einer ganzen Region identisch“, schrieb Heinz Rudolf Kunze 1986 als Gastautor der „Vogue“ und bezog sich auf den „Kommissar“, „eine mürbe, ironische Koks-Feier mit unwiderstehlichem Refrain, dargeboten als Rap mit böhmisch-jiddischem Zungenschlag.“
Darüber gehen die Meinungen auseinander: Viele sehen gerade Falcos kosmopolite, weltmännische Züge mit als Grund für den internationalen Erfolg-andere sagen mit etwas mehr Recht, dass ein auf Englisch rappender Österreicher dadurch ja noch viel österreichischer wird, als er sowieso schon ist. Wie die Verschmelzung von James Bond mit seinem eigenen europäisch-barbarischen Bösewicht-Gegner muss der anzugtragende Amadeus-Falco auf die Amerikaner gewirkt haben. Und bei allem Respekt: Mehr als eine schrille Novelty-Figur war er ihnen wohl nicht. Der US-Rolling Stone bezeichnete ihn noch 1998 im Nachruf als „two-hit wonder“ und hatte in der Original-Rezension zum Hitalbum „Falco3“ angemerkt, man solle die Import-Export-Beschränkungen zwischen den USA und Österreich vielleicht doch verschärfen.
Im Frühjahr 1986, bei der improvisierten Feier zur US-Nummer-eins, sei Falco —wie mehrfach verbürgt ist — auffallend betrübt gewesen. Wie es denn jetzt weitergehen solle, nachdem der Triumph nie mehr zu toppen sei, habe er verzweifelt gefragt – Nummer römisch eins könne man ja nicht werden. Er hatte völlig recht: Danach kam nichts Besseres mehr, höchstens Schlimmeres. Es stellte sich schlicht heraus, dass Hans Falco Hölzel, entgegen der eigenen Vermutung, gar nicht so sehr viel größer als das Leben war – plötzlich war es genau umgekehrt, plötzlich war ihm sein Leben zu groß. Ist das Ziggy Stardust, the rise and fall, der Mythos von einem, der sich an der Sonne verbrannt hat, die typische, tragische Geschichte?
Das ist tatsächlich so. Das ist eine äußerst tragische Geschichte“, sagt Bernhard Rabitsch. „Falco konnte schon immer sehr dramatisch sein, wenn ihm etwas über die Leber gelaufen war. Wenn ihn zum Beispiel eine Frau verlassen hat, dann hat er gleich den totalen Weltschmerz gehabt. Oder als er damals mit dem .Kommissar‘ so schlagartig berühmt wurde: Da ist er länger auf Promotiontour gegangen und rumgeschickt worden, fast ein Jahr lang war er weg. Als ich ihn dann zum ersten Mal wiedergesehen habe… also, gut ist es ihm nicht gegangen.“
Auf dem Sofa im Tonstudio von Bernhards Bruder Thomas hat eben noch der deutsche Ambient-Experimentalist Hans-Joachim Roedelius gesessen, doch jetzt, kurz nach Mitternacht, räumen die zwei markigen Rabitschs aus Wien-Ottakring ihre aktuellen Musikprojekte für einen Moment vom Couchtisch. Mit Falco haben sie schon Ende der 70er Jahre zusammengespielt, Thomas im Zappa- und Hippie-benachbarten Rocktheater Hallucination Company, Bernhard in der notorischen Tanzband Spinning Wheel, beide bei Drahdiwaberl. Als Falco eine Gruppe brauchte, um für die ersten Soloalben zu touren, stand Thomas Rabitsch am Keyboard, Bernhard Rabitsch spielte Trompete. 1993, bei seiner letzten großen Tour, waren sie immer noch dabei. Angeblich hasste Falco es, mit Leuten aufzutreten, die er nicht sehr gut kannte. Als ein Veranstalter ihm die Begleitband des Rock-Opernsängers Peter Hofmann unterjubeln wollte, schaute er nur kurz verächtlich.
Hans oder Hansi hätten sie ihn immer genannt, bis zum Schluss, meint Bernhard. Es ist sicher keine Absicht, aber wenn sie heute von ihm erzählen, sagen auch die Rabitsch-Brüder meistens Falco.
Den Künstlernamen hatte er noch nicht mal, als Bernhard Rabitsch dem 19-jährigen Hölzel in der Jazzabteilung des Wiener Konservatoriums begegnete. Länger als ein halbes Jahr habe Falcos Bass-Studium nicht gedauert, aber erinnern kann Rabitsch sich bestens an den Vogel. „Er war ein auffälliger Typ. In jeder Szene,
in der er sich bewegt hat, hat er sich perfekt adjustiert. Auf dem Konservatorium kam er so Beatnik ähnlich daher, mit einem langen Ledermantel und einer Pullman-Kappe. Wenn man ihn sah, dachte man sich: Genau so muss ein Jazz-Bassist aussehen! Bei der Hallucination Company kam er dann immer im gestreiften Anzug und mit Hut. Und egal, wieviel die verdient haben: Er ist immer mit dem Taxi zum Gig gefahren. Zu Hause hatte er nicht mal fließend Wasser, und der Hausmeister musste einem nachts mit der Taschenlampe leuchten, weil es im Treppenhaus kein Licht gab. Aber die Wohnung selbst war komplett gestylt, mit hippem Zeug an den Wänden. „Heroes“ von David Bowie lief, und er sagte immer: „Das ist es! Das ist es!“.
Spinning Wheel spielten in Wintersport-Orten und Hotelbars, und die Kollegen merkten bald, dass der junge Falco die Mucke keineswegs als lästigen Job spürte: Die Bühnen und die Aufmerksamkeit waren ja echt, und seinem Darstellungstrieb stand hier weniger im Weg als bei der besonders wertvollen Hallucination Company, wo er nicht ans Mikrofon durfte. Während Rabitsch und die anderen ihre Bee Gees und Stevie Wonder so adäquat wie möglich sangen, verwandelte Falco jeden Leadgesang in einen widerspruchslosen Falco. Aus dem Spinning Wheel-Programm stammt-später schrieb er ja nur noch Texte – eine der wenigen überlieferten Hölzel-Kompositionen: „Chance To Dance“, ein Disco-Funk-Song mit Eunuchen-Chor, Boney M.-Synthesizer. Und einem schnippischen Nonsens-Sprechgesang, der ganz übereifrig beweist, dass der Sänger Hans Hölzel, genannt Faico, mit 21 längst bereit war.
Mit 24 hatte er, im Team mit dem schlauen Produzenten Robert Ponger, den „Kommissar“. „Spinning Wheel mussten in München noch einen Vertrag erfüllen“, erzählt Bernhard Rabitsch, „und da hat Falco gesagt: ,Okay, den spiel ich noch mit.‘ Da war die Single in Österreich schon Nummer eins. Als Tanzband musste man damals immer eine Floor Show haben, eine Mitternachtsshow mit Kabarett-Einlagen, und sein Act war eben, dass er mit uns den ‚Kommissar‘ gesungen hat. Und da kam ein Münchener Zuschauer und sagte zu mir: ,Euer Bassist sieht aus wie Falco, singt wie Falco – aber so gut wie das Original ist er nicht!'“ Wer und wie das Original war: Heute, beim Resümee über gut zehn Jahre Tour mit Falco, wissen die Rabitschs das selbst nicht genau. Thomas zeigt Backstage-Filme von einem Konzert in Salzburg 1993, als sie auf der „!Nachtflug“-Tour die kleineren Hallen aus der Frühzeit wiedersahen. Mit dem Pappbecher sitzt Falco in der Runde, lacht über die Witze fremder Leute, neben sich den Zwarer, den damaligen Präsidenten des Wiener Biker-Clubs „Outsiders“, der eine Zeit lang sein persönlicher Roadie war. „Hier war er völlig entspannt“, sagt Rabitsch. „Auf der 1985-er Tour war er noch anders, da war er mehr in der Schablone drin. Da war er halt der Falco, und man hatte es sehr schwer mit ihm.“
Arrogant und unnahbar waren der Charakter Falco und der arme kleine Hölzel sicher aus ganz unterschiedlichen Gründen: Der Star lebte 1985 schon im grundnatürlichen Verfolgungswahn, dass alle nur auf sein Geld spechteten. Er umgab sich mit reichen Wiener Bürgersöhnen, denn die brauchten bei ihm nicht zu schnorren. Er aß bei Oswald & Kalb, das konnten die alten Freunde sich nicht leisten, und nach dem Konzert kam der Chauffeur und nahm ihn ins Hotel mit. Und ob Falco dort ein Girl küsste, Kokain benutzte oder Schnaps trank, stand dann drei Tage später in der Zeitung.
„Der Hans war das, was man einen Quartalsäufer nennt“, sagt Thomas Rabitsch. „Drei Monate bist du komplett trocken, und wenn du dann einmal am Glas nippst,
kippst du um und hörst die nächsten zwei Wochen nicht mehr auf. Und dann wieder Mineralwasser. Die Mineralwasserzeit war immer höchst angenehm, weil er da ein völlig klarer Mensch war, mit dem man irrsinnig gut arbeiten konnte.“
Als Rabitsch mit Falco 1995 hier im Studio arbeitete, der Umzug in die Dominikanische Republik wurde schon diskutiert, entschuldigte sich der Sänger kurz, um am Würstlstand vor der Tür Zigaretten zu holen. Später kam heraus, dass ihm dort ein paar Fans begegnet waren, die nicht wussten, dass Mineralwasserzeit war, und ihn zu einem Sekt einluden. Drei Stunden wartete Rabitsch auf Falco. Der war bei der Rückkehr derart sprach- und orientierungslos, dass die Mutter kommen und ihn heimbringen musste.
Es ist erstaunlich, wie offen die alten Freunde, die Falco garantiert nichts Böses ¿wollen, über solche Sachen sprechen. Weil das halt Berufskrankheiten und Pendelausschläge eines exzentrischen Wesens waren. Weil es ja immer auch exzellente Zeiten gab, und vielleicht auch, weil Falco seit dem „Kommissar“ sogar zu den ältesten Komplizen einen derartigen Sicherheitsabstand aufgebaut hatte, dass bis auf ein, zwei Auserwählte sowieso keiner mehr das Getühl bekam, ihm besonders nahe zu stehen.
Trotzdem erinnert sich Thomas Rabitsch an so einen Moment, der mit Falcos erstem Total-Nullpunkt zusammenfiel. Im Herbst 1988 war die Band auf Tour für das abgestürzte „Wiener ß!ut“-Album, hatte gerade in Oldenburg gespielt, als der Veranstalter alle restlichen Europa-Konzerte mangels Vorverkauf abblies. Zwei Jahre nach Amadeus.
„Wir saßen die ganze Nacht im Hotelzimmer“, erzählt Rabitsch, „und das war das erste Mal nach fünf Jahren, dass ich wieder normal mit ihm reden konnte. Vorher war er in einer anderen Welt gewesen, ständig umringt. Er hat zu mir gesagt: ,Ich weiß nicht, was ich machen soll – die Leute erwarten von mir immer den Falco, und ich würde doch so gerne ganz andere Sachen machen.‘ – Schau den Peter Gabriel an, hab ich gesagt, und er: ,Nein, bei mir geht das nicht.'“
Kurz vor seinem Tod, als Falco die später als Vermächtnis veröffentlichte „Out Of The Dark“-Platte längst verworfen hatte, soll er mit der Arbeit an einem neuen Live-Konzept sehr weit gewesen sein. Mit kleiner Band, Tänzern, Videokunst. Möglicherweise wäre das ganz schrecklich geworden. Aber vielleicht hätte Falco sich so von der Sucht befreit, immer allen gefallen zu wollen.
Es kommt darauf an, was du unter Business-Seite verstehst“, sagt Falco in einem ORF-Fernsehporträt vom Herbst 1986, das ihn bei der Arbeit am Album …Emotional“ zeigt, auf die Frage, ob ihn die – tja – Business-Seite des Popstar-Seins sehr mitnehme. „Verstehst du unter Business-Seite das, was mein Bankdirektor täglich auf meinem Konto zählt? Oder verstehst du unter Business-Seite das, was es in Anspruch nimmt… einzuchecken? Zu fliegen? Auszuchecken? Einzuchecken? Zu fliegen. Auszuchecken. Einzuchecken. Zufliegen. Einzuchecken. Auszuchecken. Ein. Aus… Das nimmt mich sehr her!“
Gerechterweise sind alle Leute aus Falcos Umfeld schon aus irgendeiner Richtung als Leichenfledderer beschimpft worden, wenn sie Remixe, DVDs, Bücher oder am besten gleich Musicals verkauft haben. Falco war ein weltbekannt langsamer Textdichter und fädelte jede Gesangsaufnahme so weit durch die Deadline hindurch, dass gar keine Zeit war, um irgendwelchen verwertbaren Überschuss zu produzieren. Zum 50. Geburtstag kommt eine Greatest Hits namens „Hoch wie nie“, auch eine DVD mit demselben Titel, die Dolezals und Rossachers altes Fernsehspecial zeigt. Ein unveröffentlichtes Konzert mit Orchester liegt noch im Archiv, Constantin und MR-Film drehen den Falco-Spielfilm mit Robert Stadiober. Womit bereits die Planungsphase für den zehnten Todestag 2008 erreicht wäre.
Sowas, auch die Zeitungen schreiben gerade viel über ihn. Ende November ging es ums Erbe, um 1,3 Millionen Euro, die Falcos später Busenfreund Ronald Seunig vom Konto der 80-jährigen Mutter Hölzel abgehoben haben soll, ohne den Zweck anzugeben. Seunig-Betreiber einer Duty-free-Shopping-Stadt an der tschechischen Grenze und ein unter Falcos Weggefährten grotesk unbeliebter Mann – entgegnete, er könne alles nachweisen.
Im Prozess um den Kokain-Kronzeugen Rainhard Fendrich hatte man Falco dagegen echt früher erwartet. Knapp vor der Urteilsverkündung erklärte Fendrich, er habe eine verfängliche Formulierung von ihm geklaut- beim Anblick eines Abschleppwagens habe Hansi mal zu ihm gesagt, das könne ihm nicht passieren: „Mei Ferrari parkt in meiner Nas’n!“ Im Internet wurde Fendrich sofort der Falsch‘ aussage überführt: Nie und nimmer hätte Falco mit ihm geredet.
Stefan Weber allerdings, immer noch furchteinflößender Sänger der Aktionisten-Schock-Band Drahdiwaberl, mit 60 Träger eines Rock-Schlapphuts und einer Che-Guevara-Lederjacke, erinnert sich genau an eine Postkarte, die Falco an Fendrich geschrieben haben soll. Von der Japan-Tour, die ganze Band habe unterschrieben unter Falcos Gruß: „Lieber Raini, ich wünsche dir viel Glück für dein Konzert in Gramatneusiedl. Es wird schon alles gut gehen! Liebe Grüße von Falco, derzeit in Tokio.“
Eben im Januar war Weber selbst wieder auf Tournee. Der Arzt hätte es ihm verboten, aber Drahdiwaberl sollen leben, sie müssen die eigenen Wiener Rock-Happenings bezeugen, mit Fleisch, Blutkapseln, Sado-Maso, ausgekotzten Hamburgern und dem entgeisterten Alfred Biolek, der erst während des TV-Studioauftritts von Drahdiwaberl merkte, dass die Redaktion sie mit der EAV verwechselt hatte. Aber dass Stefan Weber 1978 auch noch der Karriere von Falco den entscheidenden Schubs gegeben hat, das scheint ihm gar nicht so recht zu sein, denn Neureich-Ideale und Salonpolitik verachtet er aufrecht.
„Der Thomas (Rabitsch) hat gemeint, der sei super am Bass und würde gut aussehen, und das war der Fall“, brummt Weber. „Er war in Wien irgendwie schon bekannt als eine Art David Bowie, sehr modebewusst, aber ich hab nicht kapiert: Was finden die Leut an dem? Jetzt weiß ich’s. Damals dachte ich: Kasperl im Anzug.“ 1986, nach dem weit diskutiertem ,Jeanny“-Hit, machte Weber mit Drahdiwaberl das Album „Jeannys Rache“. Das Covergemälde zeigt, wte sichern grauenerregendes Zombiemädchen über den treffend porträtierten Falco hermacht.
Als er noch Mitglied von Drahdiwaberl war, Bassist im hinteren Bereich, hatte Falco sogar eine Solonummer bekommen. Weber war es recht, weil er währendessen in Frieden das Kostüm wechseln konnte. Und Falco durfte sich mit der nächsten Eigenkomposition produzieren: „Ganz Wien ist heut auf Heroin. Ganz Wien träumt mit Mozambin“, ein obercooler Funk mit drei Basstönen und null inhaltlicher Authentizität, denn ganz so war das damals auch nicht in der Stadt. „Wichser!“ riefen ein paar Zuhörer, wenn der Popper nach vorn kam.
Der Filmkritiker Markus Spiegel dagegen, der gerade seine Plattenfirma Gig Records aufbaute, war tief berührt: „Er stand innerhalb dieser Gruppe und passte nicht dazu. Was daran lag, dass er sich schon vorher als Figur formatiert hatte, als etwas iugcnständiges. Aufgefallen ist er mir auch deshalb, weil er dem jungen Alain Delon sehr ähnlich sah. Das hat sich später verflüchtigt, aber damals war es eine ganz eigene Mischung.“ Wie gesagt, Falco war längst bereit, auch wenn kaum jemand wusste, was das werden sollte mit ihm. Die EMI hatte ihn schon abgelehnt, und Spiegel meint, dass ihn damals außer ihm wohl niemand in Österreich gesignt hätte.
Man darf ja nicht vergessen, dass die Verklärung der Achtziger als kühles, gelacktes und verkokstes Neon-Jahrzehnt vor allem rückwirkend stattfand – in den echten 80er Jahren galt man primär als arroganter Depp, wenn man so wie Falco rumlief. Man muss zum Test mal den anderen deutschsprachigen Star der Dekade danebenstellen. Nena. Ihre Achselhaare. Ihr Altrocker-Schweißband.
„Falcos größtes Glück und gleichzeitig größtes Malheur war, dass die Amerikaner schneller da waren als die Deutschen“, sagt Spiegel. „Schneller als die Osterreicher sowieso, die Falco bis heute nicht kapiert haben. AcsrM Records hatten in Paris ja einen Europa-Beauftragten sitzen, Russ Curry, und deshalb haben sie schon angefragt, bevor ,Der Kommissar‘ überhaupt in Deutschland in den Charts war. A&M war das Artist-Oriented Label international, ein höheres Levelgab es nicht.“ Spiegel war mit Gigdie ersten fünf Jahre Falcos Plattenboss, verkaufte sieben Millionen „Kommissar-Singles, weltweit drei Millionen „Falco 3“-LPs. Und als der Künstler wegwechselte, weil er zu groß geworden war, verpasste Spiegel gar nicht mehr viel.
:r in Amerika Nummer eins ist, dann hat er den amerikanischen Markt zu beackern“, sagt Spiegel über die Zeit nach „Amadeus“. „Und als Wiener wollte Falco das nicht. Er kam nach Kalifornien und konnte mit dieser Mentalität nichts anfangen, mit der Pseudo-Höflichkeit und so weiter. Der Schmäh, den er hatte, den hatten die nicht, und sie verstanden nicht im Geringsten, warum er überhaupt so erfolgreich war. Die wussten nur, dass man halt irgendwie von den crazypeople lebt.“
Also doch: zu wienerisch! Immerhin trat Falco auf MTV auf, interviewte per Bildtrick sein Alter Ego mit Mozart-Perücke, in improvisiertem Austro-Englisch, und es war lustig. Nun ja, lustig. Hätte Schwarzenegger das wohl gemacht oder hätte ihn das die Roboterrolle gekostet?
Den Spätsiebziger-Hörern, die weder mit Sampling-Musik noch mit den Massen-Coverversionen der Neunziger vertraut waren, müsste damals gleich aufgefallen sein, dass der Großteil von Falcos frühen Hits geklaut war. „Der Kommissar“ war „Super Freak“ von Rick James, „Helden von heute“ war David Bowies „Heroes“ „Junge Römer“ eine ganze Bowie-Compilation, und den Anfang von „Rapper’s Delight“ der Sugarhill Gang, ein Genuschel aus „boogie“ und „beat“, benutzte Falco noch Jahre später, wenn ihm nichts anderes einfiel.
Wahrscheinlich war das Absicht und sollte wiedererkannt werden – Produzent Ponger ist auf den ersten zwei Alben ohnehin blendend geschickt beim Nachbauen aktueller US-Hip-Hop-Sounds und war vielleicht schon von der Sample-Idee inspiriert. „Einzelhaft“ und „Junge Römer“ sind heute die Falco-Werke, mit denen theoretisch auch die Leute etwas anfangen können, die Nostalgie gefährlich finden – trotzdem hat Falco erst unter der Direktive der Brüder Rob und Ferdi Bolland aus Amsterdam den Sound bekommen, der ihm allein gehörte. Kunstsinnig und subtil war der nicht, aber einen Meister des Subtilen hatte Falco ja nicht mal im Bekanntenkreis.
„Wir hatten unseren südafrikanisch-holländischen Mix“, analysiert Ferdi Bolland, am Samstagmorgen per Telefon von seinem Studio aus, „dazu liebten wir alles Anglo-Amerikanische. Und Falco hatte die englisch klingenden Raps mit Wiener Dialekt und sein Ah-ah-uh-uh – was für eine Kombination! Ein crazy Mix aus Nationalitäten und Kulturen.“
Falco hatte die Zusammenarbeit gewünscht, nachdem er in einem Hamburger Club einen Remix des Bolland-Songs „The Boat“ gehört hatte. Die Brüder wiederum schlugen vor, Falco auch selbstkomponierte Stücke zu liefern, und nachdem das „Junge Römer“-Album sich so mies verkauft hatte, war das Label um jedes Experiment froh. Rob und Ferdi kannten nur den „Kommissar“, hatten Falco nie gesehen, sprachen nur am Telefon mit ihm – „Rock Me Amadeus“ war gleich das erste, was sie vollendeten, angelehnt an den Milos-Forman-Film, konzipiert als Erkennungsmelodie für Falco. „Wir drängten ihn, den Irrsinn des Films irgendwie in das Lied und das Video hineinzubringen“, sagt Ferdi Bolland. „Er meinte: ,Ich bin doch kein Irrer!‘ Und wir: ,Aber wenn du in Japan und Amerika Erfolg haben willst, musst du übertreiben! Du musst für sie der bescheuerte Ausgeflippte aus Wien sein, in dem sich eine gequälte Seele verbirgt!'“
Die erste Begegnung in Amsterdam war ein kleiner Kultur-Clash. Die Bollands standen um neun Uhr mit hochgekrempeltenÄrmeln und gespitzten Bleistiften im Studio, Falco kam gegen zehn und war vom Frühstück – zu dem er damals gern Cognac mit Schokomilch nahm – schon derart besoffen, dass die Brüder ihn gleich zurück ins Hotel schickten. „Erst später merkten wir, dass einige seiner besten Sachen in diesem Zustand entstanden waren. Als wir zum Beispiel ,The Sound Of Musik‘ aufnahmen, konnte er kaum noch stehen. Ich saß im Kontrollraum, Rob stand neben ihm, führte ihn durch den Song, sang ihm die Noten vor und so weiter.“
Daheim erzählte Falco, wie gerne er mit den Bollands arbeitete – er müsse sich um nichts kümmern, bekomme nach der Anreise die fertigen Stücke, würde einfach 30 Tonbandspuren vollsingen und die Produzenten das beste aussuchen lassen. Gemeinsam wurde hier mit sadistischer Freude der „Jeanny“-Skandal ausgeheckt, zu dem man dann offiziell aus allen Wolken fiel. Quantenphysikalisch erarbeiteten die Brüder den passenden MLx für jeden nationalen Markt, allein 22 verschiedene „Amadeus“-Versionen. Mit dem „Salieri Mix“ war Falco besonders unglücklich: Man hörte seine Stimme kaum, die Rap-Strophen fehlten, ein Frauenchor sang stattdessen. Diese „Amadeus“-Variante war es übrigens, die in England und den USA Nummer eins wurde. Auf seinem Welt-Hit hatte Falco eigentlich gar nicht gesungen.
Dann kam den Bollands zu Ohren, dass Falco für die geplante „Wiener Blut“-Platte heimlich mit anderen Produzenten herumprobiert hatte. Das Vertrauen war gestört, die Vibes waren weg, Falco verabschiedete sich und wechselte zum Frankfurter Duo Mende De Rouge, die für Jennifer Rush arbeiteten. Eines Tages kam in Amsterdam per Kurier ein gewaltiges Mozart-Poster an, mit der Aufschrift „Lieber Rob, lieber Ferdi, ein Nummer-eins-Hit muss keine Sackgasse sein!“-und die reuige Rückkehr. Er habe die Bollands mal ein bisschen erziehen wollen, plusterte sich Falco dann im „Musikexpress“-Interview auf, als Ende 1988 „Wiener Blut“ erschien. Seine erste richtig grausige Platte, und nicht die letzte.
„Falco wirkte auf mich wie ein Heimatloser“, sagt Ferdi Bolland. „Er war gerne bei uns in Amsterdam, und es kam mir oft so vor, als wolle er gar nicht mehr nach Wien zurück, weil da nichts war, zu dem er zurückkommen konnte. Er hat uns auch von seinen Beziehungsproblemen erzählt, wir haben die Tragödie aus der Ferne mitbekommen. Dann kam der Punkt, an dem er einfach komplett die Kontrolle über sein Leben verlor. Und weil wir in jeder Hinsicht Control-Freaks sind, war das das Ende der Zusammenarbeit.“
Warum der hervorragende Musiker Hans Hölzel nie mehr selbst die Gitarre aufs Knie genommen und ein Lied komponiert hat? Das habe er auch nie begriffen, sagt Bolland.
Wenn man die Freunde und Kollegen fragt, was ihrer Meinung nach die verheerendste Fehlentscheidung sei, die Falco je getroffen habe, dann läuft es nie auf Musik oder Management heraus, sondern immer auf die Sache mit der Tochter. Oder die Sache mit der einsamen Insel.
Fehlentscheidung eins: nicht etwa das knappe Jahr Ehe, das Falco i988/’8o mit der Grazer Ex-Schönheitskönigin Isabella Vitkovic erlebte. Vitkovic war 1985 kurz nach dem ersten Treffen schwanger geworden, und als die Tochter Katharina Bianca größer wurde, bekam Falco schlimme Zweifel, ob er wirklich der Vater sei. In Wahrheit war das Kind von Vitkovics Ex-Mann, wie der Test im Herbst 1993 ergab. Oft hat Falco gesagt, dass ihm diese Nachricht – als Hammer nach vielen kleinen Kopfnüssen – die gute Hoffnung endgültig zerstört habe.
„Da war ich wirklich angefressen“, sagt Bernhard Rabitsch. „Er hat zu mir gesagt: Jetzt hab ich diesen Vaterschaftstest gemacht, jetzt weiß ich, das Kind ist nicht von mir. Und jetzt schmeiß ich eine Party, und morgen wissen’s alle! Und dann schreiben sie’s auch!’War das notwendig? Ich hätte das niemandem gesagt, allein schon dem Kind zuliebe. Wieso war ihm das so wichtig, da wieder in jeder Zeitung zu stehen?“ Rabitsch-Bruder Thomas hatte auch abgeraten. „Ich hab gesagt: ,Du hast doch trotzdem eine Beziehung zu ihr, ich würde das nicht machen.’Aber er hat sich da überhaupt nix sagen lassen, er war völlig aus dem Häuschen. Er hat das richtig generalstabsmäßig öffentlich gemacht.“
Als Rache war Falcos Informationspolitik freilich wirkungslos, denn die Pappenheimer von der „News‘-Illustrierten stürzten sich lieber auf ihn, den bereits Verletzten, den sie selbst angeschossen hatten.
Fehlentscheidung zwei, zwei Jahre später: der Umzug in die Dominikanische Republik, in ein Ressort in der Nähe von Puerto Plata, aus gemischten Gründen -Wetter, Steuern, allgemeine Trübsal, Einflüsterung.
Hans Mahr, damals Berater und enger Freund Falcos: „Das war kein Gang ins Exil, das war der Abgang. Falco wollte weg aus der Welt, die ihn so kritisiert hatte, denn er wollte nicht die Konsequenzen ziehen, auf die Kritik auch mal zu hören und sich zu ändern. Er hatte schlechte Freu nde, die ihm da zugeredet haben, Leute, deren Nähe er nur gesucht hat, weil die ihn nie kritisiert haben. Ein Falco, der mit Haut und Haaren an seiner Stadt hängt, am pulsierenden Wien und seinen Trends: Wenn der plötzlich im Urwald lebt, ist auch künstlerisch nichts mehr drin.“
„Ich kenne Leute, die ihn in der Dom-Rep gesehen haben“, sagt Bernhard Rabitsch, „und die haben erzählt: Da kommen halt die besoffenen Österreicher und brüllen: ,Öööaa, der Falco!‘ Ich hab ihn gefragt: Wie kannst du ausgerechnet in so ein Touristenressort gehen, in ein Ghetto, wo draußen die Leute verhungern?‘ Und er: ,Geh, Alter, des is’ja gar net so, was redst’n?‘ Und gedacht hab ich mir: Wegen der Steuer hätte er ein bisschen früher auswandern müssen, jetzt ist zu spät.“
Ein früherer Tontechniker besuchte Falco auf der Insel und wollte dann nicht mehr hin, weil er den Autoverkehr für lebensgefährlich hielt. Wie Falcos Unfall am 6. Februar 1998 genau ablief, wurde in so vielen Boulevardsendungen gruselig nachgestellt, dass man das Mysterium kleinhalten sollte. Laut Obduktion war er bekifft, bekokst und besoffen, aber im Urlaub sind Leute schon mal etwas fahrlässiger. „Man muss daran denken, dass er dort in einer ganz anderen Welt war“, sagt Thomas Rabitsch. „Er ist abgeschossen worden von dem Bus, um vier Uhr nachmittags beim Rausfahren vom Parkplatz. Das war schlicht ein depperter Autounfall.“
Es hätte unzählige Zitate aus Songs und Interviews dazu gegeben. Am besten passte wieder das „Rock Me Amadeus“-Video, denn so ähnlich, wie der Falco-Mozart da von den Rockern durchs Palais geschleppt wird, trugen die langhaarigen „Outsiders“-Kerle den Sarg zur Gruppe 40 des Zentralfriedhofs. Echte Rocker. Keine Sturzhelm-Statisten.
Ich denke, dass es an der Zeit ist, emotional zu werden“, sagt Falco im selben Fernsehporträt vom Herbst 1986, aus dem der Einchecken-Auschecken-Spruchkommt. „Und ich werd jetzt nicht heilig, undich werd auch sicher nicht heiliggesprochen. Und wenn sie mir jemals in Wien ein Kino bauen – dann kommen auch nur Hunde hin und pinkeln es an.“
Um sinnloses Pathos zu vermeiden, wäre es gut, wenn man Falcos Open-air-Konzert beim Wiener Donauinsel-Fest vom 27. Juni 1993 heute irgendwie noch einmal ansehen könnte, ohne dabei von seinem Tod zu wissen. So könnte man testen, ob es nicht doch am posthumen Windhauch liegt, dass dieser Auftritt etwas so eigenartig Würdevolles, Anrührendes, den Dämonen Trotzendes an sich hat. Sachen, die man in der Regel öfter über Johnny Cash sagt als über Falco.
Zu der Zeit hatte er in Osterreich noch einmal ein spätes, kurzes Hoch erlebt, es waren 100 000 Leute da, die Falco mitten im „Kommissar“ todernst und rhetorisch fragte: „Ist dieses Wien noch mein Wien?“ Die Band entriss die besten Lieder der gewohnten Eighties-Drum-Maschinenhaftigkeit, und der Sänger, ganz in weitgeschnittenem Schwarz, verzichtete weise auf alle Gesten, die bei einem 36-Jährigen leider nicht mehr so cool aussehen wie bei einem 24-jährigen Blitz Kid.
Und das Wetter tat ihm den Gefallen. Ein letztes Mal, dass die Elemente den Handbewegungen Falcos gehorchten, wie damals, als sich vor dem Amadeus die Menge teilte. Ein unglaubliches Gewitter krachte los, aber die Leute blieben da. Sie gingen nicht mal, als ein Blitz neben der Bühne einschlug, die Anlage lahmlegte, und die Musik der unbeirrt durch die Monitorboxen weiterspielenden Band praktisch unhörbar machte.
Dann, komplett durchnässt, sang Falco „Helden von heute“, seine Version von Bowies „Heroes“, dem Mann und dem Song, ohne die er nie den Mumm für all das gekriegt hätte. „Wir ham den Fuß am Gas und die Mode fest im Griff/ Uns entgeht kein letzter Schrei, unser Outfit hat den neuesten Schliff, und an genau dieser Stelle ging wie von Gruselhand die Anlage wieder an, und die 100 000 schrien alle gleichzeitig.
Mit dem, was Falco wollte, als er sich mit Arroganz und Akkuratesse im römischen Ballsaal selbst zur Welt brachte, hatte das überhaupt nichts mehr zu tun. Der definitive Falco-Moment war es trotzdem.