Der Tag, an dem Bob Dylan die elektrische Gitarre anstimmte
Augenzeugen berichten, dass er die Bühne mit Tränen in den Augen verließ
25. Juli 1965: Dichterkönig unter Strom – Bob Dylan elektrisiert das Newport Folk Festival
Der umstrittenste Auftritt im Rock’n’Roll dauerte 15 Minuten: drei Songs, gespielt in ohrenbetäubender Lautstärke von einer elektrifizierten Blues-Band, angeführt vom jungen Dichterkönig, beim geheiligten Jahreskongress der Akustik-Puristen, dem „Newport Folk Festival“. In dieser Viertelstunde am 25. Juli 1965, einem warmen Sonntagabend, verkündete Bob Dylan, 24, mit der vollen Stromladung der Paul Butterfield Blues Band im Rücken, seine Unabhängigkeit von der Orthodoxie der Folkszene.
Dafür zahlte er einen hohen Preis. Augenzeugen berichten, dass er die Bühne mit Tränen in den Augen verließ – geschockt vom Geplärre und Geschimpfe aus dem Publikum –, bevor er noch einmal zurückkehrte, um mit zwei akustischen Nummern Buße zu tun. Butterfield-Gitarrist Mike Bloomfield meinte, Dylan habe „richtig verstört“ ausgesehen …
Als Dylan in Newport die Bühne betrat, in schwarzen Hosen und grünem Hemd, eine Fender Stratocaster im Arm, zeigte er sich das erste Mal seit seiner High-School-Zeit öffentlich mit einer elektrischen Gitarre. Einen Monat zuvor hatte Dylan seinen ersten Top-Five-Hit, „Like A Rolling Stone“, in New York mit einer Band aufgenommen, zu der auch Kooper und Bloomfield gehörten.
Bei seinem ersten Auftritt an jenem Wochenende, einem Workshop am Samstag, hatte er noch Folksongs gespielt. Danach wurde Kooper von Dylans Manager Albert Grossman angesprochen. „Er sagte, Bob würde nach mir suchen. Ich ging hinter die Bühne und Bob sagte: ‚Am Sonntag will ich elektrisch spielen.‘“ Dylan, Kooper, Bloomfield und der Rest der Butterfield Band probten den ganzen Samstagabend mit Pianist Barry Goldberg in einer nahe gelegenen Villa. „Es war ein anstrengender Abend – schwierig, unangenehm“, erinnerte sich Kooper.
Der Star des Newport-Programms war schneller von der Bühne, als manche Folkies für eine Mörderballade brauchen
Die Ad-hoc-Formation schaffte nur drei Songs: das beißende „Maggie’s Farm“, „Like A Rolling Stone“ und dem neuen „It Takes A Lot to Laugh, It Takes A Train to Cry“. Die mangelnde Vorbereitung zeigte sich gleich zu Beginn ihres Sets: Drummer Sam Lay drehte den Beat in „Maggie’s Farm“ um, was die ganze Band in Verwirrung stürzte. Folk-Ikone Pete Seeger gestand, Dylans Auftritt habe ihn derart erbost, dass er am liebsten das Mikrofonkabel durchtrennt hätte, aber nur deshalb, weil Dylans Stimme so verzerrt gewesen sei.
Die Menge regte sich vermutlich eher auf, weil der Star des Newport-Programms schneller von der Bühne war, als manche Folkies für eine Mörderballade brauchen. Die Folkszene erholte sich nie von dem Schock, Rock’n’Roll war danach auch nicht mehr derselbe, und Dylan wusste, dass er die Verantwortung trug. Maria Muldaur erinnerte sich, wie Dylan bei bei der anschließenden Party allein in der Ecke saß. Sie fragte ihn, ob er tanzen wolle. „Ich würde schon“, antwortete er, „aber meine Hände brennen.“