Der Sphinx-Stadl
Schon lange bevor ihr Debüt-Album erschien, galt die junge Österreicherin Anja Plagsch alias Soap&Skin bereits als Pop-Sensation
Seit einem guten Jahr raunt und raschelt es im deutschen Blätterwald und in den Foren des Internet. Von einem 18-jährigen Wunderkind ist die Rede, einer stets schwarz gekleideten Bauerstochter aus der Steiermark mit milchweißer Haut, sinnlichem Mund und somnambulem Betragen. Die mittels Notebook produzierten Lieder dieses Mädchens fließen über vor desolater Schönheit, sind aber auch erfüllt von einer verzehrenden teenage angst. Sie heißen „Thanatos'“, oder „Extinguish Me“ und wirken bei aller Todessehnsucht immer auch ein wenig verspielt. So als würden Kinder feierlich ein geliebtes Haustier zu Grabe tragen. Nur der nach Beauty Parlor klingende Künstlername Soapfer’Skin passt nicht so recht in die romantische Inszenierung. Doch die junge Künstlerin, die eigentlich Anja Plaschg heißt, verweigert dazu jede Erklärung. Im Alter von 14 Jahren habe sie sich für Soap&Skin entschieden – Punkt. Bestimmt sind ihr die Worte eines Nachts im Traum erschienen.
Zwei Jahre lang studierte Anja Plaschg bei dem Maler Daniel Richter an der Wiener Akademie der Bildenden Künste. Aber vor einigen Monaten hat sie das Kunststudium einfach hingeworfen – um für sich Prioritäten zu setzen: „Das war doch nur eine Zwischenlösung, damit ich einen Raum zum Musik machen habe“, haucht sie fast unhörbar leise mit verlegenem Lächeln.
Soap&Skin scheint nicht auf einem Karriere-Plan zu basieren, sondern auf Hingabe. Anja Plaschg möchte sich ausliefern an etwas, das sie nicht kennt, höchstens fühlt: „Das Musik machen und auch das Klavierspielen war für mich schon sehr früh ein Pakt mit dem Unterbewussten, dem Unbekannten, dem Unsichtbaren“, flüstert es aus vollen Lippen. „Ich kann unmöglich sagen, jetzt mache ich ein Lied, sondern das kommt einfach. Da ist auch ganz viel Angst mit dabei. Weil ich eben nicht weiß, wann oder wie es kommt. Und weil ich mich dann wie ein Gefäß fühle, oder wie ein Medium.“
So wie sie das sagt, klingt es, als würde bisweilen der heilige Geist oder dessen romantischerer Widersacher in sie fahren. Doch es ist wohl eher die Tatsache, dass die Gefühlswelten von Teenagern auch heute noch dem größenwahnsinnigen Sturm und Drang ähneln, den man schon bei Goethes „Werther“ findet und auf den Sturm umtosten „Wuthering Heights“ von Emily Bronte. Vielleicht sollten wir einfach mal hinabsteigen in den Keller des Unterbewussten. Auf der MySpace-Seite von Soap6? Skin werden wir fündig: Ein grob gepixeltes Foto zeigt einen Stall voller Schweine, und inmitten der Schweine kauert ein nacktes junges Mädchen. Die Köpfe sind ganz nah beieinander, so als würde das Mädchen mit den Tieren reden, vielleicht sogar mit ihnen einen Plan aushecken.
Natürlich ist es Anja Plaschg selbst, die wir auf diesem seltsam berührenden Bild sehen. Sie ist die Tochter eines wohlhabenden Schweinezüchters, aufgewachsen zwischen Ställen und Misthaufen in einem Dorf namens Gnas: „Das Foto ist ein Ausschnitt aus einem Video, das ich gedreht habe, weil mich diese Tiere als Kind sehr geprägt haben. Allein wenn man in ihre Augen sieht… Ich spüre das bei keinem anderen Tier. Und dann die Lebensumstände: die Schweine in ihrer Box… monatelang in der selben Box. Sie werden dort groß und fett und haben nichts als einen Holzklotz zum spielen. Ich sehe immer die Schönheit dieser Tiere in der Verbindung mit der Entsetzlichkeit ihres Schicksals. Für meine Eltern ist das Schlachten etwas völlig Normales, aber für mich war es immer wieder sehr verstörend.“ Wundert sich da noch wer über die Themenwahl in den Liedern von Soap&Skin?
Ein Gespräch mit Anja Plaschg ist kein normales Interview. Eher eine Art Spurensuche. Man stellt eine Frage — und es vergeht meist eine ganze Weile, bis die stockende Antwort einsetzt. Dabei ist Anja durchaus nicht so verschüchtert, wie sich das vielleicht anhört. Man hat nur das Gefühl, dass sie viele Dinge anders wahrnimmt als andere Menschen. Vielleicht fühlt sie sich deshalb der tragischen Velvet Underground-Diseuse Nico so nah: „Sie berührt mich sehr… Aber ich kann mich nicht mit ihr vergleichen. Überhaupt nicht. (Pause) Ich kann auch nicht sagen, dass sie mich inspiriert hat. Dafür habe ich sie viel zu spät kennengelernt.“
Aber warum ist Anja Plaschg dann im Theaterstück „Nico — Sphinx aus Eis“ aufgetreten und hat in der Berliner Volksbühne an einem Tribute-Konzert teilgenommen? „Ich fand es schön, dass man mich gefragt hat, und ich hab auch verstanden, warum.“ Es folgt ein endloses Schweigen. Dann kommt es, ganz langsam, wie ein Gedanke, der sich formt: „Es sind die vielen Dinge, die sie gesagt hat. Die kann ich verstehen.“