DER SPATEN IM LUSTGARTEN

Mich als Schriftstellerin konfrontiert jeder Stoff früher oder später mit der Frage, ob meine Figuren Sex haben sollten. Meist ist die Antwort ja. Alles andere hielte ich für lückenhaft. Es gibt natürlich opponierende Stimmen: Der kluge Autor müsse es besser wissen, er strebe ja Literatur und keine Wichsvorlage an -und letztlich: Ist nicht alles schon geschrieben? Inzest, Orgien, Arschkrümelsex a la ,,Feuchtgebiete“, jede denkbare Form von Perversion. Gibt es nicht überdies Abermillionen Varianten von Blümchensex, ist nicht sogar der Sadomasochismus – bei de Sade und Sacher-Masoch noch ungeheuerlich, fast kriminell – mit „50 Shades Of Grey“ in der Mitte der Gesellschaft angekommen?

Ich schreibe trotzdem Sex. Meine Figuren sind nicht glaubwürdig, wenn sie sublimieren. Die Stoßrichtung -man verzeihe mir das Bild -ist in den Helden und Heldinnen bereits angelegt. Ist meine Figur zwanghaft und pedantisch, dann ist ihr Sex wie ein Sofakissen, akkurat geteilt durch Handkantenschlag, wie ein Kleiderbügel, über den man eine Hose hängt, Bein auf Bein, exakt auf Bruchfalte. Ist meine Figur eine Sau (wie Erfolgsproduzent Müller in meinem neuen Roman „Zungenküsse mit Hyänen“), die frisst wie eine Sau und säuft wie eine Sau, dann wird auch der Sex säuisch sein, da werden Mösen mit Schwänzen gefickt, dass es kracht, und gut.

Die Figur aber, die verschwurbelt und romantisch ist und zum Kitsch neigt, wird niemals ficken, sondern von Lieben, Verschmelzen, Miteinanderschlafen schwadronieren, Myriaden von Sternen sehen und sich bei der Schilderung der körperlichen Vorzüge des Partners in Verniedlichungen ergehen, sie wird durch die Körperlichkeit wie ein Storch durch den Sumpf waten und jede sprachliche und physische Grobheit vermeiden.

Sex in der Literatur kann ein Spaten sein, mit dem man den Lustgarten umgräbt, er kann das Symptom einer Krankheit, einer Perversion sein, Vorbote von Verbrechen und Tod, Dolch im Fleisch, Himmelfahrt -er ist ein Kommunikationsweg. Sein Charakter ist immer Ausdruck der Gefühlslage der Figuren. Im wirklichen Leben tun sie immer dasselbe, wenn es sie zueinander drängt: kopulieren, masturbieren, ejakulieren, aber in der Literatur tun sie es immer anders.

Schauspieler sagen gern, dass sie sich nur dann nackt ausziehen, wenn es die Rolle erfordert. Filmstudenten der Columbia University in New York lernen zwei gegensätzliche Möglichkeiten, Sex in Bildern zu erzählen: „Wenn der Postmann zweimal klingelt“(wild, geil, mehlverschmiert, Ekstase auf dem Backtisch) und „Wenn die Gondeln Trauer tragen“(vertraut, innig und, da die besinnungslose Lust in langjähriger Ehe abhanden gekommen ist, auf eine verschwisterte Art keusch). In der Literatur wären diese beiden Pole etwa Henry Miller und Thomas Mann. Wir anderen sind dazwischen und fragen uns: Wann erfordert die Literatur die explizite Darstellung von Sex? Und wenn ja, wie soll es geschehen? Am Anfang ist das Vokabular. Sagt man Glied, Penis, Schwanz, sagt man Scheide, Möse, Vagina, Vulva? Millionen von Autoren haben weltweit dieses Problem gewälzt. Sie haben beim Akt in sich hineingelauscht, sich in Stimmungen gesuhlt, nach monströsen Bildern gesucht, nach Worten, die das unmöglich Beschreibbare beschreiben. Wie schreibt man geil, aber nicht platt, explizit, aber nicht eklig, wie überschreitet man Grenzen, ohne gleich über den Jordan zu gehen, wie spritzt man literarisch ab, ohne abzustürzen? Schmaler Grat, sag ich nur.

Vom Schreibenden tief empfundene Geilheit kann Behauptung bleiben, wenn sie sich nicht auf den Leser überträgt. Der Schreiber, von Wollust gebeutelt, muss nachher erstaunt in den Kritiken lesen, dass die sexuellen Ausflüge seiner Helden an den Haaren herbeigezogen, ja, unglaubwürdig seien. Dabei hat er doch präzise Lust geschildert, hat geschwitzt, geschwelgt, gelitten – und nachher glaubt ihm keiner. Er steht nackt da, alle anderen bleiben unerregt. Lässt man doch lieber alles weg, beschreibt das Hindrängen zum Akt, die erotische Verstrickung, aber endet beim Kuss, frei nach Tucholsky: „Beim Happy-End wird abjeblend'“?

Von Else Buschheuer ist soeben der Roman „Zungenküsse mit Hyänen“ erschienen (Aufbau Verlag)

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates