Der Spanier Rafael Reig überrascht mit dem Trash-Bastard „Überall Blut“
Die literarische Postmoderne hat sich gern der Trivial- und Genreliteratur bedient, als ironische Anspielstation sozusagen, als Referenz- und Hallraum. Ecce Eco! Und sie tat gut daran, weil man in den oft unübersichtlichen meta-literarischen Verweislabyrinthen so wenigstens ein paar Handlungsschnitzel ausgestreut bekam, denen man als einfacher Leser folgen konnte. Dass sie nur Zweitverwertung waren, wen störte das? Man nahm, was man kriegen konnte. Aber dann war es auch schon gut, und sie wurde weggeheftet in den betreffenden Ordner der Literaturgeschichte. Wer vermisst da eigentlich was?
Aber jetzt, wo das alles quasihistorisch ist, lässt sich immerhin gut darüber scherzen. Der mit allen literarischen Wassern gewaschene spanische Romancier und Literaturwissenschaftler Rafael Reig tut genau dies und schreibt mit „Überall Blut“ (Rogner & Bernhard bei 2001, 14.90 Euro) eine ziemlich virtuose Persiflage dieser Barockmoderne. Reig fleddert nicht eine Trivialgattung, um damit sein Buch aufzurougen, er nimmt sie sich gleich alle vor: Science-fiction, Private-Eye-Thriller nach Chandler-Art, Western, Superhelden-Comic, Porno, Literatur-Satire – alles drin, was Spaß macht. Dass sich all diese Stilbrüche und Fiktionsklitterungen nicht zu einem geschlossenen, womöglich sogar homogenen Roman fügen, sollte klar sein. Das hier ist ein ziemlich ausgekochter, manchmal etwas wirrköpfiger, surrealistischer Trash-Bastaid, der nur mit Ach und Krach den Plot zu einem halbwegs einsichtigen Ende führt.
In einer alternativen Gegenwart oder nahen Zukunft haben die Kommunisten nach Francos Tod die Wahlen gewonnen – und die USA die iberische Halbinsel annektiert. Englisch wird zur Pflichtsprache, und weil fossile Brennstoffe längst zur Neige gegangen sind, das Fahrrad zum Hauptverkehrsmittel neben dem Schiff. In Madrid ermittelt der ziemlich heruntergekommene Privatdetektiv Carlos Clot in verschiedenen Fällen, die sich dann aber chandleresk zu einem einzigen verzwimen. Ein verbrecherisches Großunternehmen, Chopeitia Genomics. schmiert nicht nur die Politik und kontrolliert den Drogenhandel mit mörderischer Hand, es stellt auch verbotene Gen-Versuche an Menschen an. Qot, der desillusionierte und deshalb saufende Moralist, der nur noch weitermacht wegen seiner stark geistig behinderten Tochter, gerät an ein Dokument, das die Experimente belegt, und könnte den Laden nun eigentlich auffliegen lassen. Aber dann hat seine Tochter einen Unfall und fallt ins Koma, und die Organisation um den skrupellosen Manex Chopeitia bietet ihm einen Deal an. Das Dokument gegen ein Präparat, das Qots Tochter nicht nur wieder zurückholt aus der geistigen Umnachtung, sondern auch ihre Behinderung heilt. Unerwartete Hilfe bekommt Qot jetzt von Spunk McCain. Dieser aus dem unvollendeten Roman „Überall Blut“ von Phil Sparks entsprungene Cowboy begibt sich mit dem Detektiv auf die Suche nach seiner ebenfalls absenten Partnerin Mabel Martinez, ohne die der Roman im Roman nicht weitergehen kann, und beschützt ihn vor Dee Dee Reeves, einer von Chopeitia gedungenen Auftragsmörderin, die ihre Opfer zu Tode vögelt und ihnen mit ihren Brustwarzen die Augen aussticht… Das muss jetzt reichen!
Man sieht wohl auch so schon, dass es sich hier um einen multiplen Schmarren handelt, eine entfesselte literarische Phantasie sozusagen, vollgestopft mit Anspielungen, nicht nur auf die populäre Literatur, sondern auch auf Klassiker wie Pirandello und Unamuno und wohl auch auf die zeitgenössische spanische Literatenszene. Leider ist sie meistens bloß Papier – wie so oft bei diesen postmodernen Kartenhäusern. Die utopische Madrider Lebenswelt bleibt schwarzweiß, und die Charaktere sind nicht wirklich tiefenscharf.
Aber an ein paar Stellen bekommt man doch den Eindruck, dass man hier nicht bloß einem literarischen Vexierspiel beiwohnt. Wenn Reig zum Beispiel Clots Liebe zu seiner behinderten Tochter schildert, seinen Stolz, oder dessen Enttäuschung über den Konformismus seiner Ex-Frau, vormals eine engagierte Journalistin, dann hat das mal keinen intertextuellen, sondern einen emotionalen Gegenwert, ist Carlos Clot kein Wiedergänger mehr.